Goethes Briefe: GB 2, Nr. 260
An Jeanne Rahel d'Orville

Frankfurt a. M. , 〈5. September? 1775. Dienstag?〉 → 〈Offenbach〉


Da ist Käs liebe Frau und gleich in Keller mit ihm. Der Kerl ist wie ich, solang er die Sonne nicht spürt, und ich Lili nicht sehe, so sind wir feste tapfre Kerls.    Drum in den Keller mit ihm, wie ich auch gegenwärtig in Franckf. sizze, vollkommen wie in einer Eisgrube. Hierauf folgt die gewöhnliche Litaney von Empfehlungen an den Kayser und das heilige R. Reich mit einem treugemeinten

Amen.

Die Jahreszahl ergibt sich aus der Erwähnung Lili Schönemanns (210,20). Die Anspielung auf die warme Jahreszeit (vgl. 210,19–21) legt nahe, dass der Brief nach der Schweizer Reise im Sommer oder Spätsommer 1775 geschrieben worden ist. Der scherzhaft vertraute Tonfall wie auch das Fehlen einer Anrede oder einer einleitenden Wendung lassen vermuten, dass Goethe die d'Orvilles nach seiner Rückkehr am 22. Juli bereits gesehen hatte und der alte freundschaftliche Verkehr mit ihnen wieder aufgenommen worden war. Goethe war im August mindestens dreimal in Offenbach, zuletzt am Samstag, dem 26. (vgl. AB, 13). Der nächste Besuch ist für den 10. September belegt (vgl. Datierung zu Nr 262). In der Zwischenzeit könnte eine Lebensmittelsendung mit dem vorliegenden Begleitbillett zu den Offenbacher Freunden geschickt worden sein. Laut „Ausgabebüchlein“ ging am 5. September ein Brief an Herrn d'Orville nach Offenbach ab, für den kein Porto vermerkt ist (AB, 14). Er wurde demnach von einem Boten gebracht, der auch den im Brief erwähnten Käs (210,19) geliefert haben könnte.

H: Verbleib unbekannt. – 1 Bl. 16,7 cm × 10,5(–10,8) cm, Bordüre aus gereihten Krönchen (vgl. Mick, Nr 1), 1 S. beschr., egh., Tinte; unten rechts Ergänzung von späterer Hd: „Handbillett von Goethe“ (Angaben nach dem Faksimile). – Faksimile: GSA 29/369,V,1.

E: Pirazzi (1879), 231.

WA IV 2 (1887), 279, Nr 346 (nach E).

Textgrundlage: Faksimile.

Ein Bezugs- und ein Antwortbrief sind nicht bekannt.

Postsendungen: 5. September 1775 (AB, 14).

Lili] Anna Elisabeth Schönemann.

Franckf.] Frankfurt. – Der Kontext verweist darauf, dass Lili zu dieser Zeit nicht in Frankfurt war, sondern sich bei den Verwandten in Offenbach aufhielt (vgl. die zweite Erläuterung zu 170,3).

Eisgrube] Eigentlich eine an einem schattigen Ort gelegene Grube, in der im Winter unter Lagen von Stroh Eis zur Kühlung vor allem von Getränken eingelagert wurde.

das heilige R. Reich] Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation. – Der Schluss des Briefes könnte eine ironische Anspielung auf die ungeliebten anwaltlichen Geschäfte sein, die Goethe in Frankfurt festhielten.

 

 
 

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Zitierhinweis

Online-Edition:
GB 2, Nr 260 (Elke Richter / Georg Kurscheidt), in: https://goethe-biographica.de/id/GB02_BR260_0.

Entspricht Druck:
Text: GB 2 I, S. 210, Nr 260 (Elke Richter / Georg Kurscheidt), Berlin 2009.
Kommentar: GB 2 II, S. 531–531, Nr 260 (Elke Richter / Georg Kurscheidt), Berlin 2009.

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