Projektgeschichte

Die mit 143 Bänden im Jahr 1919 abgeschlossene Weimarer Ausgabe (WA) dient der Forschung als bislang vollständigste Edition des Goethe’schen Werks als unverzichtbare Referenzausgabe. Gleichwohl sind nach 100 Jahren Editionsphilologie die Defizite der WA unübersehbar. Die markantesten betreffen die Biographica. Nicht nur blieben Goethes Gespräche unberücksichtigt (sie legte Woldemar von Biedermann zwischen 1889 und 1896 als zehnbändige Ausgabe erstmals vor), auch war die für die Briefe an Goethe vorgesehene eigene Abteilung V in der WA nicht realisiert worden. Ferner fehlen in den Abteilungen III (Goethe-Tagebücher) und IV (Goethe-Briefe) ein durchgängiger Stellenkommentar und übergreifende Kontexterläuterungen.

Das Goethe- und Schiller-Archiv nahm die editionsphilologischen Desiderata zum Anlass, seit den 1980er Jahren auf der Grundlage jahrelanger Vorarbeiten drei Großunternehmungen zu beginnen: die Briefe an Goethe in Regestform (RA) sowie, nach der deutschen Wiedervereinigung, die historisch-kritische Ausgabe der Tagebücher (GT) und der Briefe von Goethe (GB). Diese Ausgaben sollten die seit den 1940er Jahren laufende, 2011 in den Text- und Erläuterungsbänden abgeschlossene Edition von Goethes Schriften zur Naturwissenschaft („Leopoldina“-Ausgabe) ergänzen und überdies ein sicheres Fundament für eine „Neue Weimarer Ausgabe“ der Werke bilden.

2015 schlossen sich die Editionen als PROPYLÄEN zusammen. Aufgrund der Empfehlung des Wissenschaftsrats gehören sie seitdem als ein Gemeinschaftsprojekt zwischen der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig und der Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz zum Akademienprogramm. Die PROPYLÄEN kooperieren eng mit dem Freien Deutschen Hochstift.

Die Plattform bezieht über die RA und die beiden historisch-kritischen Ausgaben der GT und GB auch Zeugnisse der Begegnungen und Gespräche Goethes (BuG) ein, um die Facetten der Biographica in ihrem Zusammenspiel zu zeigen: von der Rechenschaft gegenüber sich selbst (GT) über die adressatenbezogene Kommunikation (GB, RA) bis zu den Gesprächsnotaten, die in der Spannung zwischen Selbstausdruck und -inszenierung Goethes und der Fremdwahrnehmung seiner Gesprächspartner stehen (BuG).

Um die Komplexität und hohe Qualität der Druckausgaben im digitalen Medium abbilden und adäquate Präsentationsformen entwickeln zu können, war es zunächst erforderlich, eine technische Modellierung der vier Editionen unter Wahrung ihrer philologisch-editorischen Spezifika (unterschiedliche Textsorten, Erschließungsverfahren und -richtlinien sowie Zielstellungen) vorzunehmen.

Die daraus resultierenden vier überwiegend eigenständigen, ausdifferenzierten Datenmodelle galt und gilt es anschließend miteinander zu synchronisieren, um die Ausgaben nicht nur nebeneinander, sondern zukünftig auch miteinander verschränkt zugänglich und recherchierbar zu machen. Mit dem Release der Beta-Version im Herbst 2021 hat das Projekt die ersten Ergebnisse dieser Bemühungen öffentlich zugänglich gemacht. Diese Beta-Version wird fortlaufend zur Releaseversion 1.0 überarbeitet.