Blick auf Goethes Gartenhaus

Blick auf Goethes Gartenhaus und das Pogwisch-Haus über die Ilm hinweg. Aquarellierte Federzeichnung von Karl August Schwerdgeburth, um 1826/27. Klassik Stiftung Weimar, Museen KK 7831.

Der „Stein des guten Glücks“ in Goethes Garten am „Stern“

Im Frühjahr 1776 erhielt Goethe ein überaus großzügiges Geschenk, das seine dauerhafte Übersiedlung nach Weimar besiegelte. Herzog Carl August erwarb für ihn ein Grundstück mit einem Sommerhaus. Der erste Hinweis auf das Geschenk findet sich in Goethes Tagebuch vom 21. April 1776: „den Garten in besiz genommen“. (GT I 1, 18, 10) Am 14. Mai schrieb er an Charlotte von Stein: „Mein Garten Sieht noch raupig aus <...>“. (Druck: GB 3 I, 62 [Nr. 102])

Plan von der Fürstlichen Sächsischen Residenz Stadt Weimar

Plan von der Fürstl. Sächsischen Residenz Stadt Weimar gemessen im Jahr 1782, nach Franz Ludwig Güssefeld. Nachdruck, Ende 19./Anfang 20. Jh. Klassik Stiftung Weimar, Museen KGr 1918/01088.

Dies ist die erste briefliche Erwähnung seines Grundstücks oberhalb des „Sterns“, des ältesten Teils des Schlossparks. Der Höhenzug an den Ilmhängen, wo schon in früheren Jahrhunderten Wein und Obst angebaut wurde, trug den Namen „das Horn“. Laut Kaufvertrag hatte Goethe am 26. April 1776 für 600 Reichstaler Haus und Garten erworben. Noch am selben Tag wurde der Erwerb im Weimarer Grundstücksregister eingetragen, womit Goethe auch das Weimarer Bürgerrecht erhielt. „Sämmtliche Kosten des auf Serenissimo Befehl für Herrn Geheimen Legations Rath Goethen erkauften Gartens, darinn gemachten Anlagen, und angeschafften Ameublements“ sind den Schatullrechnungen zufolge von Herzog Carl August bezahlt worden. Die Gesamthöhe der Aufwendungen lag bei 1.312 Reichstalern. Das war mehr als Goethes Jahresgehalt als Legationsrat und Mitglied des Geheimen Consiliums. (Druck: GB 3 II, zu 62,4)

Eingangsseite von Goethes Gartenhaus

Eingangsseite von Goethes Gartenhaus. Aquarell von Goethe, 1779/80. Klassik Stiftung Weimar, Museen GGz/1942.

Schon Ende 1776 ließ Goethe das Gartenhaus winterfest machen. Fortan verbrachte er hier den größten Teil des Jahres. Haus und Garten, sein erster eigener Besitz, wurden für ihn zu einem Refugium, in das er sich zurückziehen, wo er schreiben und zeichnen konnte. Als Hausherr empfing er Besucher und nahm sogar für kürzere oder längere Zeit Freunde und Schützlinge auf, so 1777 den Schweizer Hirtenjungen Peter im Baumgarten. (Druck: GB 3 II, einl. Erl. zu Nr. 281)

Gedichtbrief Goethes an Charlotte von Stein mit NotenGedichtbrief Goethes an Charlotte von Stein mit Noten

Gedichtbrief Goethes an Charlotte von Stein mit Noten zur ersten Strophe „An den Mond“ von Goethe. Klassik Stiftung Weimar, GSA 29/486,I, Bl. 86.

Vor allem die Briefe und Gedichte an Charlotte von Stein, in denen das Bild des „lieben Thals“ häufig wiederkehrt, zeugen von der emotionalen Bedeutung des Gartens an den Hängen des Ilmtals für Goethes Leben in Weimar. (Druck: GB 3 II, zu 211,9 [Nr. 326]) Der Topos begegnet auch im berühmten Gedicht „An den Mond“, dessen früheste zu Goethes Lebzeiten ungedruckte Fassung unter Goethes Briefen an Charlotte von Stein überliefert ist. (Druck: GB 3 I, Nr. 326)

1777 ließ der Dichter – diesmal auf eigene Kosten – seinen Garten neu gestalten und umfangreiche Ausbesserungsarbeiten am Haus vornehmen. „Nach der Mittags Stunde fangen die Mäurer an, schicken Sie mir etwas das ich in Ihrem Nahmen in Grund legen kann“, bat er Charlotte von Stein am 17. März 1777. (Druck: GB 3 I, Nr. 236)

Amalie von Schardt mit Charlotte von Stein und Luise von Imhoff mit
            Concordia Elisabeth von Schardt im Ilmpark

Amalie von Schardt mit Charlotte von Stein und Luise von Imhoff mit Concordia Elisabeth von Schardt im Ilmpark. Silhouette von Johann Wilhelm Wendt, vor 1790. Klassik Stiftung Weimar, Museen KSi/AK 2758.

In diesem Jahr ließ Goethe in seinem Garten auch ein steinernes Denkmal errichten, das heute zu den bekanntesten in Weimar gehört. Die Idee dazu beschäftigte ihn schon länger, wie ein Tagebucheintrag vom 25. Dezember 1776 belegt: „Zu Oesern. αγαϑη τυχη. Zu ☉.“ (GT I 1, 31) Das Sonnensymbol steht im Tagebuch für Charlotte von Stein, die am ersten Weihnachtstag 1776 ihren 34. Geburtstag feierte. Mit Adam Friedrich Oeser, seinem ehemaligen Zeichenlehrer und Direktor der Leipziger Zeichenakademie (Druck: GB 1 II, einl. Erl. zu Nr. 44), der über den Jahreswechsel 1776/77 in Weimar zu Gast war, besprach Goethe den Entwurf zu einer Skulptur, die „αγαϑη τυχη“, Agathe Tyche, dem guten Glück, gewidmet werden sollte. ‚Tyche‘ ist der Name der griechischen Schicksals- oder Glücksgöttin, der römischen Fortuna, auf die Goethe in den Briefen dieser Zeit mehrfach anspielt. (Druck: GB 3 II, zu 184,10)

Fortuna

Fortuna, Kupferstich von Heinrich Aldegrever, 1555. Klassik Stiftung Weimar, Museen DK 108/89.

Am 7. Januar fragte er brieflich bei Oeser in Leipzig an: „ist Ihnen nichts weiter von meiner Gottheit offenbaart worden?“ (Druck: GB 3 I, 125 [Nr. 208]) Oeser antwortete am 10. Januar: „Ich habe auf Sie nicht vergeßen, und lege die weitere uber Denckung Ihrer Idee mit bey, der kleinste Cubus No 2. gefällt mir am besten den Pappillion würde ich machen wie er sich aus seiner Hülße entwickelt <...>.“ (RA 1, Nr. 78) Entwürfe Oesers sind nicht überliefert. Am 16. Januar 1777 ging dieser in einem weiteren Brief noch einmal auf das Denkmal ein: „Sie wollen ein Sinnliches Bild des immerwerenden Glücks mit Geschmack ausgedrückt haben, da helfen die strengen Mathematischen Wahrheiten nichts, erdencken Sie lieber etwas mit Ihrer strengen Mathematic daß die Kugel gantz frey in der Luft schwebet <...>. Suchen Sie umß Himmelswillen keine Schulfüchßereyen in Wercken des Geschmacks, was dem Auge Plump und schwerfällig erscheinet, weg damit, das ist daßjenige welches wie das Magere alles verderbet, bleiben Sie bey der kleinen Idee so ich entworfen, so wird Ihr Bild gut ausfallen und die Kugel ist nach Ihren Platz wo sie aufgestellet wird, groß genug, wenn sie 16. bis 18. Zoll im Durchschnitt ist, die Flügel bereichern das Bild genug, und vermuthlich sehen Sie warum ich die Wolcken gemacht habe.“ (RA 1, Nr. 78a+)

Stein des guten Glücks

Stein des guten Glücks mit Weg in Goethes Garten.

Die Skulptur, die Goethe schließlich am 5. April 1777 in seinem Garten am Endpunkt eines gerade vom Haus am Hang entlanglaufenden Weges aufstellen ließ, hat mit Oesers Entwürfen nichts gemein, was diesen verärgerte, wie er in einem Brief an Karl Ludwig von Knebel zum Ausdruck bringt (Druck: GB 3 II A, Kommentarband auf Seite 460 [Brief 208]). Dem „guten Glück“, das Goethe in seinem Haus und Garten, mehr noch in der Liebe zu Charlotte von Stein gefunden hatte, huldigt eine Kugel aus rötlichem Sandstein, die auf einem schlichten steinernen Kubus befestigt ist. Auf „Flügel“ oder „Wolken“ sowie auf Füllhorn oder Steuerruder, mit dem Tyche-Fortuna in der bildenden Kunst dargestellt wurde, verzichtete Goethe ebenso wie auf Reliefs oder Inschriften am Sockel. Dennoch ist das Denkmal nicht ohne Kenntnis der emblematischen Traditionen entworfen worden. Auch die Kugel ist ein Attribut der Fortuna. Sie verkörpert die Wandelbarkeit des Schicksals, die Unstetigkeit des Glücks. In Goethes Garten aber steht sie auf dem festen Grund des unbeweglichen Kubus, einem Symbol der Liebe. Im Tagebuch vermerkt Goethe am 5. April 1777:

αγαϑη τυχη gegründet! –

= Da Μυθος erfunden wird, werden die Bilder durch die Sachen gros, wenns Mythologie wird werden die Bilder gros. (GT I 1, 40)


Elke Richter