Goethes Briefe: GB 2, Nr. 145
An Sophie La Roche

〈Frankfurt a. M. 〉, 15. September 〈1774. Donnerstag〉 → Ehrenbreitstein bei Koblenz

〈Abschrift〉


Den 15 Sept. heut gehn ab liebe Mama die freimüthigen Briefe sie sind recht brav geschrieben, hier und da macht er übertriebne Prätentionen, wie alle Zuschauer die den bukel nicht selbst daran zu strecken haben. Kalkhof hat mir einen sehr artigen brief geschrieben und mich im Nahmen Ihr: Ex nach Dieb. geladen, Groschl war gestern hier hab aber nicht an ihn kommen können. – Die Zeit hab ich mit der lieben Max zweymal lange geredt Sie ist wohl und schickt sich mit viel fassung in die Umstände. – Daß meine Verse recht sind freut mich. Ob man versteht, oder theil daran nimt, davon ist die Rede nicht. Ein blattgen papier schwarz auf weiß, vergült auf'm Schnitt das thuts, doch ist mir H. v. Hoh: Anteil sehr werth. – Grüsen Sie mir Liseln u meine kleinen, die Trosson sollen sich mein erinnern die Dester auch. – Der Dechant baut, tapeziert. —— Meine Schwester ist noch in Emedingen. – Herder hat einen BubenDester und die Gretel hab einmal gesehn. – Merk ist vergnügt und ich geschäftig ohne fleisig zu sein bringe doch aber was vor mich Addio

G.

Die fehlende Jahreszahl ergibt sich aus dem Inhalt des Briefes, u. a. aus der Mitteilung, Herder sei Vater eines Sohnes geworden (vgl. die erste Erläuterung zu 129,20). Zu weiteren Zeitbezügen vgl. die Erläuterungen.

H: Verbleib unbekannt.

h​1: The Pierpont Morgan Library, New York, Misc. Heineman, H Goethe-Bettina, MSS 1. – Abschrift von Bettine Brentano vom 2. oder 3. Juni 1806 (= h​a; vgl. Vorbemerkung in der Überlieferung zu Nr 47); Adresse: nach Coblenz Thal

h​2: The Pierpont Morgan Library, New York, Misc. Heineman, H Goethe-Bettina, MSS 1. – Abschrift von Bettine Brentano (= h​b; vgl. Vorbemerkung in der Überlieferung zu Nr 47); Adresse: ​nach Coblenz im Thal.

h​3: FDH/FGM Frankfurt a. M., Sign.: 10721–10732. – Abschrift von Johann Friedrich (Fritz) Schlosser (= h​c; vgl. Vorbemerkung in der Überlieferung zu Nr 47).

h​4: GSA Weimar, Sign.: 29/294,III. – Abschrift von fremder Hd (= h​4; vgl. Vorbemerkung in der Überlieferung zu Nr 47).

E: Frese (1877), 165 f., Nr 37 (nach h​3).

WA IV 2 (1887), 195 f., Nr 249 (nach Goethe-La Roche, 70 f. [dort vermutlich nach einer nicht überlieferten Abschrift von h​3]; Textkorrekturen in den „Berichtigungen“, WA IV 50 [1912], 210).

Textgrundlage: h​1. – Vgl. Vorbemerkung in der Überlieferung zu Nr 47.

Den 15 Sept.] ​Datum links oben über dem Text h​2 Den] Dℓ ​h​2      heut] Heut ​h​2 gehn] gehen ​h​2 Mama] Mama, ​h​2      Briefe] Briefe, ​h​2 Prätentionen] Prätensionen ​h​2 bukel] Buckel ​h​2 Kalkhof] Kalckhof ​h​2 brief] Brief ​h​2      Nahmen] namen ​h​2 Ihr: Ex] Ihrer Exlz ​h​2 Groschl] Groschl. ​h​2 war] war ​h​2 können. —] können. ​Absatz h​2 geredt] geredt. ​h​2 fassung] Fassung ​h​2      versteht,] versteht ​h​2 nicht. Ein blattgen] nicht, ein Blattgen ​h​2 weiß,] weiß ​h​2 vergült auf'm] vergüldt aufm ​h​2 H. v.] H: v: ​h​2 Anteil] Antheil ​h​2 werth. —] werth. ​Absatz h​2 u] und ​h​2 kleinen] Kleinen ​h​2 auch. —] auch ​Absatz h​2 tapeziert. ——] Tapeziert. ​Absatz h​2 Emedingen. –] Emedingen. ​Absatz h​2 Buben —] Buben. ​Absatz h​2 gesehn. —] gesehen. ​Absatz h​2 was] was ​h​2 Addio] ​Addio ​h​2 G.] G: ​Unterschrift in der Mitte unter dem Text h​2

1 Exemplar der Schrift „Freymüthige Briefe“ (vgl. zu 129,7); die Formulierung heut gehn ab (129,7) könnte freilich andeuten, dass das Buch separat versendet wurde.

Der Brief beantwortet einen nicht überlieferten Brief Sophie La Roches (vgl. 129,14). – Ein Antwortbrief ist nicht bekannt.

die freimüthigen Briefe] Freymüthige Briefe an Herrn Grafen von V. über den gegenwärtigen Zustand der Gelehrsamkeit der Universität und der Schulen zu Wien. Frankfurt a. M. und Leipzig 1774. – Verfasser waren Johann Tobias Sattler, Johann Friedrich Mieg und Johann Michael Afsprung.

brav] Zeitgenössisch im Sinne von allgemein ,tüchtig‘.

Prätentionen] Franz. prétention: Anspruch, Anmaßung.

den bukel 〈…〉 daran zu strecken] Die Wendung ‚etwas an eine Sache strecken‘ bedeutete soviel wie ‚sich für eine Sache einsetzen‘ (vgl. Grimm 10 III, 1122).

Kalkhof hat 〈…〉 geschrieben] Vgl. zu 116,23.

artigen Brief] Nicht überliefert. – Artig: Modewort des 18. Jahrhunderts, hier wohl im Sinn von ‚gefällig‘, ‚schicklich‘ (vgl. GWb 1, 839–841).

im Nahmen Ihr: Ex nach Dieb. geladen] Im Namen Ihrer Exzellenz nach Dieburg geladen. – Gemeint ist der kurmainzische Kanzler Carl Friedrich Willibald Groschlag von Dieburg (vgl. zu 113,22–23). Dieburg an der Bergstraße liegt etwa 45 km südöstlich von Frankfurt.

Max] Maximiliane Brentano, Sophie La Roches Tochter.

Umstände] Maximiliane war unglücklich verheiratet (vgl. zu 95,3).

meine Verse] Mit Nr 137 hatte Goethe ein Gedicht überschickt, das er Sophie La Roche versprochen hatte (vgl.113,16–17); es ist nicht überliefert.

vergült auf'm Schnitt] Vgl. zu 91,6 und die erste Erläuterung zu 113,17.

ist mir H. v. Hoh: Anteil sehr werth] Christoph Philipp Willibald von Hohenfeld, Freund und Kollege Georg Michael Anton La Roches; über Hohenfelds Anteil (an Goethes poetischer Produktion?) vgl. Sophie La Roches Brief an Goethe, 17. Oktober 1774 (abgedruckt im Anschluss an die Erläuterungen zu Nr 154).

Liseln] Luise (Lulu), Sophie La Roches Tochter (vgl. Nr 128).

meine kleinen] Karl und Franz, Sophie La Roches acht- und sechsjährige Söhne.

die Trosson] Christian (von) Trosson, französischer Offizier und Ingenieur-Hauptmann in Koblenz, und seine Frau Therese (vgl. zu 78,7 und die erste Erläuterung zu 137,20).

die Dester] Katharina Elisabeth d'Ester (vgl. zu 103,8).

Der Dechant] Damian Friedrich Dumeiz.

in Emedingen] Johann Georg Schlosser, der Mann von Goethes Schwester Cornelia, war im Juni 1774 Oberamtmann in Emmendingen geworden.

Buben] Gottfried Herder; er war am 28. August 1774, dem Tag von Goethes 25. Geburtstag, geboren worden.

Dester] Quirin d'Ester, kurtrierischer Geheimrat und Lederfabrikant in Vallendar am Rhein, Ehemann von Katharina Elisabeth d'Ester.

Gretel] Johanna Margarethe d'Ester, Tochter des Ehepaars d'Ester.

 

 
 

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Zitierhinweis

Online-Edition:
GB 2, Nr 145 (Elke Richter / Georg Kurscheidt), in: https://goethe-biographica.de/id/GB02_BR145_0.

Entspricht Druck:
Text: GB 2 I, S. 129, Nr 145 (Elke Richter / Georg Kurscheidt), Berlin 2009.
Kommentar: GB 2 II, S. 320–322, Nr 145 (Elke Richter / Georg Kurscheidt), Berlin 2009.

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