Tagebuch­eintrag: GT, Nr. 11
⟨Juni 1775⟩, Sankt Gotthard

Und dem entgegnenden Priest wird
sich ihr Antlitz erheitern1


Doch mir stehn fest die hohen Gebein so stehn sie

Nur dem saulgebeineten Engel in Pathmos2 erscheinung.3


Wie ich dir s biete so habs.4


Dass es der Erde so sauwohl und so weh ist zu gleich.


Es5 ist kein sichrer Mittel die Welt fur6 Narrn zu halten als sich alber zu stellen7


Und die ewig verderblihe8 Liebe


Ein9 Tag wie die ewigen10
sich selbst11 erwählten12 zu gehen13


Wenn meine Gedanken Federn wären und den14 Weeg ab Pergamente15 von Engeln auf und ab gerollt.


dass16


Unmittelbaarer17 Ausdruk von der Natur.


um18 sein selbst willen

  1. quer geschrieben ¦ danach Rest des Blattes leer ↑
  2. Pathmoh → Pathmos  ↑
  3. danach Leerzeile, in der Mitte der Leerzeile Absatzzeichen (Schleife) ↑
  4. danach Leerzeile, alR der Leerzeile Doppelstrich ↑
  5. darüber alR Doppelstrich ↑
  6. v → fur  ↑
  7. danach Rest des Blattes, eine Zeile, leer ↑
  8. verblihe > verderblihe, gemeint verderbliche  ↑
  9. darüber alR Doppelstrich ↑
  10. nach ewigen get: Gotter  ↑
  11. sebst → selbst  ↑
  12. erwält → erwählten  ↑
  13. danach Leerzeile, alR der Leerzeile Doppelstrich ↑
  14. dem > den  ↑
  15. Pergab → Pergamente  ↑
  16. das > dass, davor alR Doppelstrich ↑
  17. davor alR Doppelstrich ↑
  18. davor alR Doppelstrich ↑

H: GSA 27/1


Das Tagebuch ist fast durchweg von Goethe eigenhändig geschrieben. Die Überschrift Den 15 Junius 1775. / Donnerstags morgen / aufm Zürchersee. (Bl 2 Vs) schrieb Johann Caspar Lavater, die Verfasser und Schreiber des zweiten bis neunten Vierzeilers (Bl 2 – Bl 3 Vs) sind Friedrich Leopold zu Stolberg, Lavater, Christian zu Stolberg, Lavaters Schwager Schinz, Philipp Christoph Kayser, Christian von Haugwitz, Johann Jacob Heß und Jacob Ludwig Passavant. Die Endreime der zweiten Strophe schrieb Goethe. Die Notiz Einer der herlichsten Waßerfälle der gantzen Gegend (Bl 12 Rs) schrieb Passavant. Die Eintragung Thallaman Caspar Antonj Meyer Drey König wird in Ursern an der Math. (Bl 16 Vs) schrieb Caspar Anton Meyer. (Zusätze von unbekannter Hand siehe unten.)

Die Eintragungen befinden sich in einem Heft (110 × 175 mm). Umschlag aus blaugrauem Kartonpapier. Auf dem vorderen Umschlagblatt von Riemers Hand die Überschrift »Tagebuch. Schweizerreise 1775.«. Die Blätter aus Konzeptpapier. Fadenheftung.

Blätter insgesamt (einschließlich des vorderen und hinteren Umschlagblattes): 16

Beschriebene Blätter: 10


Ein nachträglich eingelegtes, wohl um 1813, in Vorbereitung des Achtzehnten Buches von »Dichtung und Wahrheit«, von Goethe eigenhändig quer beschriebenes Blatt (110 × 90 mm), geripptes Schreibpapier. Tinte.

Vs: Liegende Akkolade, darunter: Speranza – dass die fremden Hunde die sich hier verlauffen ein Küssen finden. Von unbekannter Hand rechts oben mit Bleistift »23«.

Rs: (seitenverkehrt:) Der Frau


Schreibmaterial und Zusätze von unbekannter Hand:

Bleistift. Mit Tinte das Gedicht »Gib das tagwerck ...«.

Von Goethe mit Bleistift schräg, zum Teil kreuzweise durchgestrichen die chronologischen Eintragungen vom 16. bis 22. Juni 1775 und die Eintragung Speranza bis verlohren sind.

Die Blätter, einschließlich des vorderen und hinteren Umschlagblattes, von unbekannter Hand mit Bleistift paginiert jeweils Vorderseite rechts oben, die Rückseite der Blätter 11–15 zusätzlich links unten seitenverkehrt paginiert von »11​2« bis »15​2«.


Anordnung und Zählung der Handschrift:

Bl 1 Umschlagblatt

Bl 2 Vs: Überschrift: Den 15 Junius 1775. bis aufm Zürchersee.

Reimstrophe 1–4

Bl 2 Rs: Reimstrophe 5–8

Bl 3 Vs: Reimstrophe 9

Gedicht: »Ich saug an meiner Nabelschnur ...«

Gedicht: »Aug mein Aug was sinckst du nieder ...«

Bl 3 Rs: Gedicht: »Vom Berge in die See Vid. das Privat Archiv des Dichters Lit. L.«

Bl 4 Vs: Notiz: am Steeg bis Capele

Bl 4 Rs: Entwurf (quer geschrieben:) Und dem entgegnenden Priest bis erheitern

Bl 5–7 Vs leer

Bl 7 Rs: Gedicht: »Gib das tagwerck ...«

Bl 8–11 Vs leer

Bl 11 Rs: Notiz (seitenverkehrt geschrieben): Speranza bis verlohren sind

Bl 12 Vs leer

Bl 12 Rs–14 Vs (seitenverkehrt beschrieben von hinten nach vorn)

Bl 14 Rs–13 Vs: Tgb-Eintr 16.–21. Juni 1775: d 16. Abends bis Projeckte.

Bl 12 Rs: Tgb-Eintr 21.–22. Juni 1775: ab 35 Min auf 4. bis s-st. D.

Bl 15 Vs–15 Rs (seitenverkehrt quer beschrieben)

Bl 15 Rs: Entwürfe. Notizen: Doch mir stehn fest bis alber zu stellen

Bl 15 Vs: Entwürfe. Notizen. Bruchstücke: Und die ewig verderblihe bis sein selbst willen

Bl 16 Vs (Innenseite des hinteren Umschlagblattes): Eintragung: Thallaman Caspar Antonj Meyer bis Schiling


D:

WA III 1, 1–7, udT: Schweiz 1775.

Und dem entgegnenden Priest bis erheitern] Ansatz zu Entwurf in hexametrischer Form. Siehe »Dichtung und Wahrheit«, Neunzehntes Buch (DuW 1, 617; WA I 29, 127): Durch das leichte Kleffen eines uns entgegen kommenden Hündchens angemeldet wurden wir von einer ältlichen aber rüstigen Frauensperson an der Thüre ⟨des Gotthard-Hospizes⟩ freundlich empfangen; sie entschuldigte den Herrn Pater, welcher nach Mayland gegangen sey, jedoch diesen Abend wieder erwartet werde 〈…〉. Bey spät einbrechender Dämmerung trat endlich der ansehnliche Pater herein, begrüßte mit freundlich vertraulicher Würde seine Gäste und empfahl mit wenigen Worten der Köchin alle mögliche Aufmerksamkeit.

Priest] Priester.

Doch mir stehn fest bis erscheinung] Ansatz zu Entwurf in hexametrischer Form.

die hohen Gebein] Gemeint: Felsen; vgl 14,17: Die Riesengebeine unsrer Erzväter aufm gebürg.

dem saulgebeineten Engel in Pathmos] Siehe Offenbarung Johannis 10, 1: »Und ich sah einen andern starken Engel vom Himmel herabkommen; der war mit einer Wolke bekleidet, und ein Regenbogen auf seinem Haupt und sein Antlitz wie die Sonne und seine Füße wie Feuersäulen 〈…〉«. Der Überlieferung nach war der Apostel Johannes der Evangelist und der Verfasser der Offenbarung Johannis und lebte auf der Insel Patmos in der Verbannung.

alber] Albern.

Ein Tag bis zu gehen] Ansatz zu Entwurf in hexametrischer Form.

 

 
 

Nutzungsbedingungen

Kontrollen

Kontrast:
SW-Kontrastbild:
Helligkeit:

Zitierhinweis

Online-Edition:
GT I, ⟨Juni 1775⟩ (Wolfgang Albrecht/Andreas Döhler), in: https://goethe-biographica.de/id/GT01_0011.

Entspricht Druck:
Text: GT I 1, S. 8–9 (Wolfgang Albrecht/Andreas Döhler), Stuttgart 1998.
Kommentar: GT I 2, S. 381 (Wolfgang Albrecht/Andreas Döhler), Stuttgart 1998.

Zurück zum Seitenanfang