Tagebuch­eintrag: GT, Nr. 787
12. November 1779, Freitag, Realp

d. 12. Wacht ich Nachts auf und ging sorglich ans Fenster. es war hell und kalt ich sah dem Orion, es hatte nicht geschneit. Früh Trieben die Wolcken vom Abend aus gegen die Furca. wir um 7 Uhr ab nach Oberwald. 1 tiefrer Schnee ein scharfer Morgenwind riss den Vorhang über uns auf wir fassten Muth. In Oberwald fragten wir ob man über die Furcka kommen und ob sich Leute verbinden wollten uns hinüber zu bringen. Es melden sich 2 2 Bursche wie Rosse. um 10 Ab. Sonnenschein. Wilder stieg das erste Thal hinauf groser 3 Anblick des Rhone 4 Glätschers. Zweite Stunde leidlicher Stieg viel Schnee, dritte Stunde aufwarts beschweerlicher. am Kreuz Wechselnde Wolcken. Sonne wie Mond, Stober wetter Lapplandische Ansichten, Grauen der unfruchtbar Thaler. Abwarts weit tiefrer Schnee Sonnenblicke in dem Thal von fern. Oede. 5 Gegend. abends 5 in Realp. Capuziner gute Aufnahme gut durchgewarmt. Gessen Geschwazt. schöne Geschichten 6 und Gesinnungen unsrer Führer. pp.

  1. Punkt nach Oberwald mit Bleistift  ↑
  2. 2 erg  ↑
  3. ge → groser  ↑
  4. rhone → Rhone  ↑
  5. Ode. > Oede.  ↑
  6. Geschie → Geschichten  ↑

H​1: GSA 25/XXIII,10,3


Tagebuch 12.–16. September, von Goethe eigenhändig geschrieben. Schwarze, zum Teil ins Bräunliche verblaßte Tinte.

Doppelblatt (175 × 200/205 mm), stark vergilbtes Schreibpapier, der obere Rand ist beschnitten.

Bl 1 Vs: Tgb-Eintr 12.–16. September

Bl 1 Rs–2 leer

Bleistiftvermerke von unbekannter Hand: auf Bl 1 Vs links oben der auf WA bezügliche Vermerk »Tageb. 1,98 8«, rechts oben Paginierung »1«.



H​2: GSA 25/XXIII,10,2


Tagebuch 8.–12. Oktober, von Goethe eigenhändig geschrieben. Bleistift.

Die Eintragungen befinden sich auf den Druckseiten, dem hinteren Inneneinband und auf Durchschußblättern (100 × 155 mm) in J⟨acob⟩ S⟨amuel⟩ Wyttenbach: »Kurze Anleitung / für diejenigen, welche eine Reise durch einen Theil der merkwürdigsten Alpgegenden des Lauterbrunnenthals, Grindelwald, und über Meyringen auf Bern zurück, machen wollen. / [Vignette] / Bern, / Bey Wagner, Hoch-Obrigkeitlichen Buchdrucker, / 1777.«

Druckseiten: 24

Beschriebene Druckseiten: 7

Durchschußblätter insgesamt: 5

Beschriebene Blätter: 5 (einschließlich des hinteren Inneneinbandes)


Bucheinband (100 × 157 mm) aus goldbraunem Kartonpapier. Innenseiten des Kalendereinbands aus dünnem holzfreiem Druckpapier, die Durchschußblätter aus etwas festerem Schreibpapier.


Inhalt des Buches:

S. 1 (unpaginiert): Titelblatt

S. 3–4 (paginiert III–IV): »Vorrede«

S. 5–24 (paginiert 1–20): »Wenn man die an Merkwürdigkeiten so reichen Alpen ...«


Tagebuch-Eintragungen auf den Druckseiten des oben genannten Buches:

S. 7 (paginiert 3): Octbr. bis abgefahren (Tgb-Eintr 8.–9. Oktober)

S. 12 (paginiert 8): Ergänzungszeichen Gegen 12 kam bis auserordentl. Schon (Tgb-Eintr 10. Oktober)

von Goethe im gedruckten Text unterstrichen: »die Steinbergalp«

S. 13 (paginiert 9): der Steinberg bis gefangen (Tgb-Eintr 10. Oktober)

S. 14 (paginiert 10): d. 11ten bis im Grindelw (Tgb-Eintr 11. Oktober)

S. 15 (paginiert 11): angekomm bis reg- Anschlußzeichen (Tgb-Eintr 11. Oktober)

S. 18 (paginiert 14): Des Morgns nach 7 bis Alm× (Tgb-Eintr 12. Oktober)

von Goethe im gedruckten Text unterstrichen: »Scheideggalp«

S. 19 (paginiert 15): auf die Scheideg alp bis brachen wir auf, (Tgb-Eintr 12. Oktober)

vor »Rosenlauigletscher« im Drucktext am linken Rand von Goethe geschrieben: um 11 h

von Goethe im gedruckten Text unterstrichen: »Wetterhorn⟨s⟩«, »nicht grossen Gletscher 〈…〉 Schwarzwaldgletschers«, »Rosenlauigletscher«

S. 24 (paginiert 20):

am linken und am unteren Rand Bleistiftskizzen Goethes

hinterer Inneneinband:

Ergänzungszeichen d. 10.


Tagebuch-Eintragungen auf Blättern, eingeheftet im oben genannten Buch:

Bl 1–4 beschrieben von hinten nach vorn (Bl 5–2)

Bl 1 Vs (5 Rs): Einfügungszeichen Uber Radschocken bis Br. L. Gl über auf (Tgb-Eintr 10. Oktober)

Bl 1 Rs (5 Vs): eine Weile bis aus dem Gletscher kommen Anschlußzeichen (Tgb-Eintr 10. Oktober)

Bl 2 Vs (4 Rs): Wir assen auf Steinbergs Alp bis viel Kässuppe (Tgb-Eintr 10. Oktober)

Bl 2 Rs (4 Vs): gessen habe bis in Holen schmilzt (Tgb-Eintr 10. Oktober)

Bl 3 Vs (3 Rs): Ergänzungszeichen ich sagt ihm bis w nicht. ¾ Auf 3 bis bedeckt. Das Seele (Tgb-Eintr 10. Oktober)

Bl 3 Rs (3 Vs): liegt nahe vorm Tschingelhorn bis Gletscher Prall sahen auch einen. (Tgb-Eintr 10. Oktober)

Bl 4 Vs (2 Rs): Ergänzungszeichen ⟨reg-⟩net es bis seit wir in d. Schn sind (Tgb-Eintr 11.–12. Oktober)

Bl 4 Rs–5 (1–2 Vs) leer


Die Folge der Druckseiten des oben genannten Buches und der handschriftlichen Blätter in der chronologischen Reihenfolge des edierten Textes:

paginierte Druckseite 3, hinterer Inneneinband, Bl 1 Vs–1 Rs, paginierte Druckseiten 8–9, Bl 2 Vs–3 Rs, paginierte Druckseiten 10–11, Bl 4 Vs, paginierte Druckseiten 14–15



H​3: GSA 25/XXIII,10,3


Tagebuch 8.–13. November, von Goethe eigenhändig geschrieben.

Einzelblatt (165 × 225/230 mm), dünnes Schreibpapier, durch Tintenfraß stark beschädigt. Die Ränder unbeschnitten, in der Mitte des Blattes Falzung.

Bl 1 Vs: Tgb-Eintr 8.–9. November

Bl 1 Rs: Tgb-Eintr 10.–11. November, Ergänzung zum 9. November

Bleistift (Tgb-Eintr 8. November), schwarze, stellenweise verblaßte Tinte (Tgb-Eintr 9. November), ins Bräunliche verblaßte, auf die Rückseite des Blattes durchfärbende Tinte (10.–11. November).

Zwei Einzelblätter (130 × 185 mm), festes Schreibpapier. Die Ränder unbeschnitten, in der unteren Hälfte von Bl 1 Vs am rechten Rand Tüpfel von rotem Siegellack.

Bl 1 Vs–2 Vs: Tgb-Eintr 12.–13. November

Bl 2 Rs leer

Schwarze Tinte. Von unbekannter Hand auf Bl 1 Vs rechts oben Bleistiftpaginierung »3«, auf Bl 2 Vs rechts oben »4«.


D (für H​1–H​3):

WA III 1, 98–104, udT: 1779. (S. 76; im Inhaltsverzeichnis udT: Schweiz 1779)

d. 12. bis Gessen] Vgl Carl August, Tagebuch, 12. November 1779 (BG 2, 185–186): »7 Uhr zu Fuße fort. 2 St. biß Oberwald, den letzten Dorfe in Wallis. Das Wetter ließ von Anfang gut an, es war kalt u. hatte dickes Eis gefroren. Der Schnee, je höher wir kamen, wurde tiefer. Sehr starcke Windwehn stellten sich ein. Um 9 waren wir zu Oberwald ... Wir nahmen hier zwey Boten, sichere, äußerst starcke Leute. Sie hockten unsere Sachen auf 〈…〉 erkundigten sich erst unter der Hand, ob wir starck genug wären die Strappaze auszustehn, od. ob sie uns würden tragen müßen. 〈…〉 Es waren gar trefl. brave Kerls 〈…〉. An die drey St. brachten wir beständig in 2 biß 3 Fuß hohen Schnee der nicht trug zu, u. so kamen wir endl. um 3 Uhr in Realp an. Um ½ 10 waren wir von Oberwald weg 〈…〉. Es ist die ärgste Strapaz, die ich je außgehalten ... In Realp quartierten wir uns bey ein paar Capucinern, welche hier wohnen. Aßen u. trancken sehr gut.«

vom Abend] Von Westen.

wir] Carl August, Goethe, Johann Friedrich Blochberg.

um 7 Uhr ab] Siehe »Briefe aus der Schweiz. Zweite Abtheilung« (WA I 19, 287): Um Sieben gingen wir von Münster weg 〈…〉.

ein scharfer Morgenwind] Siehe »Briefe aus der Schweiz. Zweite Abtheilung« (WA I 19, 287–288): Der Morgenwind blies stark und schlug sich mit einigen Schneewolken herum, und jagte abwechselnd leichte Gestöber an den Bergen und durch das Thal. Desto stärker trieben aber die Windweben an dem Boden hin und machten uns etlichemal den Weg verfehlen 〈…〉.

In Oberwald bis hinüber zu bringen] Siehe »Briefe aus der Schweiz. Zweite Abtheilung« (WA I 19, 288): Nach Neune trafen wir daselbst ⟨Oberwald⟩ an und sprachen in einem Wirthshaus ein 〈…〉. Wir fragten, ob der Weg über die Furka noch gangbar wäre? Sie antworteten, daß ihre Leute den größten Theil des Winters drüber gingen; ob wir aber hinüber kommen würden, das wüßten sie nicht. Wir schickten sogleich nach solchen Führern 〈…〉.

2 Bursche wie Rosse] Die Namen der Münsterer Bergführer nicht ermittelt. Siehe »Briefe aus der Schweiz. Zweite Abtheilung« (WA I 19, 288–289): Wir zahlten indessen unserm Mauleseltreiber seinen Lohn 〈…〉, als unser Führer wieder kam und noch einen größer und stärker aussehenden Mann, der die Stärke und Tapferkeit eines Rosses zu haben schien, hinter sich hatte.

Wilder stieg das erste Thal hinauf] Siehe »Briefe aus der Schweiz. Zweite Abtheilung« (WA I 19, 289): Zuerst hatten wir noch einen betretenen Fußpfad, der von einer benachbarten Alpe herunterging, bald aber verlor sich dieser und wir mußten im Schnee den Berg hinauf steigen.

groser Anblick des Rhone Glätschers] Siehe »Briefe aus der Schweiz. Zweite Abtheilung« (WA I 19, 289): Noch ging der Weg durch einen Fichtenwald, wir hatten die Rhone in einem engen unfruchtbaren Thal unter uns. Nach einer kleinen Weile mußten wir selbst hinab in dieses Thal, kamen über einen kleinen Steg und sahen nunmehr den Rhonegletscher vor uns. Es ist der ungeheuerste, den wir so ganz übersehen haben.

aufwarts beschweerlicher] Siehe »Briefe aus der Schweiz. Zweite Abtheilung« (WA I 19, 290): Wir stiegen nunmehr links den Berg hinan und sanken in tiefen Schnee. Einer von unsern Führern mußte voran und brach, indem er herzhaft durchschritt, die Bahn, in der wir folgten.

Kreuz] Das Kreuz von Uri, die Grenzmarkierung zwischen den Kantonen Wallis und Uri. Siehe »Briefe aus der Schweiz. Zweite Abtheilung« (WA I 19, 291): Nach viertehalb Stunden Marsch kamen wir auf dem Sattel der Furka an, bei’m Kreuz wo sich Wallis und Uri scheiden. Auch hier ward uns der doppelte Gipfel der Furka, woher sie ihren Namen hat, nicht sichtbar.

Abwarts weit tiefrer Schnee] Siehe »Briefe aus der Schweiz. Zweite Abtheilung« (WA I 19, 291): Wir hofften nunmehr einen bequemern Hinabstieg, allein unsere Führer verkündigten uns einen noch tiefern Schnee, den wir auch bald fanden. Unser Zug ging wie vorher hinter einander fort, und der vorderste, der die Bahn brach, saß oft bis über den Gürtel darin.

Thal] Urserental. Siehe »Briefe aus der Schweiz. Zweite Abtheilung« (WA I 19, 292): Hier ⟨vor Realp⟩ schlingen sich wieder andere Thäler ein, und endlich hatten wir den offenen Anblick in’s Ursner Thal.

Oede. Gegend] Siehe »Briefe aus der Schweiz. Zweite Abtheilung« (WA I 19, 290): Es war ein seltsamer Anblick, wenn man einen Moment seine Aufmerksamkeit von dem Wege ab und auf sich selbst und die Gesellschaft wendete: in der ödesten Gegend der Welt, und in einer ungeheuren einförmigen schneebedeckten Gebirgs-Wüste 〈…〉 eine Reihe Menschen zu sehen, deren einer in des andern tiefe Fußtapfen tritt, und wo in der ganzen glatt überzogenen Weite nichts in die Augen fällt, als die Furche die man gezogen hat.

abends 5 in Realp] Siehe »Briefe aus der Schweiz. Zweite Abtheilung« (WA I 19, 292): Wir gingen schärfer und, nach viertehalb Stunden Wegs vom Kreuz an, sahen wir die zerstreuten Dächer von Realp.

Capuziner] Herberge bei drei Patern des Kapuziner-Ordens; Namen der Pater nicht ermittelt.

gute Aufnahme gut durchgewarmt] Siehe »Briefe aus der Schweiz. Zweite Abtheilung« (WA I 19, 293): 〈…〉 ein großer ansehnlicher Pater 〈…〉 hieß uns mit großer Freundlichkeit eintreten und bat noch auf der Schwelle, daß wir mit ihnen vorlieb nehmen möchten, da sie eigentlich, besonders in jetziger Jahrszeit, nicht eingerichtet wären, solche Gäste zu empfangen. Er führte uns sogleich in eine warme Stube und war sehr geschäftig, uns, indem wir unsere Stiefeln auszogen und Wäsche wechselten, zu bedienen.

Gessen] Siehe »Briefe aus der Schweiz. Zweite Abtheilung« (WA I 19, 293–294): Wegen des Essens müßten wir, sagte er, in Geduld stehen, indem sie in ihrer langen Fasten begriffen wären, die bis Weihnachten dauert. 〈…〉 der Frater, der die Küche besorgte, 〈…〉 hatte aus Eiern, Milch und Mehl gar mannichfaltige Speisen zusammengebracht, die wir uns eine nach der andern sehr wohl schmecken ließen.

Geschichten und Gesinnungen unsrer Führer] Siehe »Briefe aus der Schweiz. Zweite Abtheilung« (WA I 19, 294–296): Sie ⟨die Münsterer Bergführer⟩ gestanden uns nun, daß heute früh 〈…〉 erste einer gegangen sei, uns zu recognosciren 〈…〉; denn sie hüteten sich sehr, alte oder schwache Leute in dieser Jahrszeit zu begleiten, weil es ihre Pflicht sei, denjenigen, dem sie einmal zugesagt ihn hinüber zu bringen, im Fall er matt oder krank würde, zu tragen und selbst wenn er stürbe, nicht liegen zu lassen, außer wenn sie in augenscheinliche Gefahr ihres eigenen Lebens kämen. Es war nunmehr durch dieses Geständniß die Schleuse der Erzählung aufgezogen, und nun brachte einer nach dem andern Geschichten von beschwerlichen oder verunglückten Bergwanderungen hervor, worin die Leute hier gleichsam wie in einem Elemente leben, so daß sie mit der größten Gelassenheit Unglücksfälle erzählen, denen sie täglich selbst unterworfen sind. 〈…〉.

 

 
 

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Zitierhinweis

Online-Edition:
GT I, 12.11.1779 (Wolfgang Albrecht/Andreas Döhler), in: https://goethe-biographica.de/id/GT01_0787.

Entspricht Druck:
Text: GT I 1, S. 99 (Wolfgang Albrecht/Andreas Döhler), Stuttgart 1998.
Kommentar: GT I 2, S. 498–500 (Wolfgang Albrecht/Andreas Döhler), Stuttgart 1998.

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