Tagebuch­eintrag: GT, Nr. 737
14. Juli 1779, Mittwoch, Weimar

14) Machte früh meine Sachen zusammen. Dann Conseil. Mit und d. Prinzen gessen. leidliche Erklärung 1 zwischen den Brüdern. Nach Tisch wenig in den neuen Weegen, als denn auf die Kr. Casse und Ackten geordnet dann nach Hause Abendsession und gute Unterredung mit Batty über seine lezte Exkursion. 2 Wills Gott dass mir Acker und Wiese nah werden und ich für dies simpleste Erwerb der Menschen Sinn 3 kriege. 4

Gedancken über 5 den Instinckt zu irgend einer Sache. Jedes Werck was der Mensch treibt, hat möcht ich sagen einen Geruch. 6 Wie 7 im groben Sinn der Reuter nach 8 Pferden riecht, der 9 Buchladen nach leichtem Moder und um den Jäger nach Hunden. So ists auch im Feinern. Die Materie woraus einer formt, 10 die Werckzeuge die einer braucht, die Glieder die er dazu anstrengt 11 das alles zusammen giebt eine gewisse Hauslichkeit und Ehstand 12 dem Künstler mit seinem Instrument. Diese Nähe zu allen Saiten der Harfe, die Gewissheit und Sicherheit wo mit er sie rührt mag den Meister anzeigen in ieder Art. Er geht wenn er bemercken soll grad auf das los, wie Batty auf einem Land gut, er traumt nicht im allgemeinen wie unser einer ehmals um Bildende Kunst. Wenn er handeln soll greift er grad das an was iezt nötig ist. Gar schön ist der Feldbau weil alles so 13 rein antwortet wenn ich was dumm oder was gut mache, und Glück und Unglück die primas vias der Menschheit trifft. Aber ich 14 spüre zum voraus es ist auch nicht fur mich, Ich darf nicht von dem mir vorgeschriebnen Weeg abgehn, mein Daseyn ist einmal nicht einfach, nur wünsch ich dass nach und nach alles anmasliche versiegen, mir aber schöne Krafft übrig bleibe die 15 wahren Röhren neben einander in gleicher Höhe aufzuplumpen. Man beneidet ieden Menschen den man auf seine Töpferscheibe gebannt sieht, wenn vor einem unter seinen Handen bald ein Krug 16 bald eine Schaale nach seinem Willen hervorkommt. 17 Den Punckt der Vereinigung des manigfaltigen zu finden bleibt immer ein Geheimniss weil die Individualitet eines ieden darinn besonders zu Rathe 18 gehn 19 muss und niemanden anhören darf.

  1. Erklärug > Erklärung  ↑
  2. Exzursion. > Exkursion.  ↑
  3. sinn > Sinn  ↑
  4. danach eine Zeile leer, alR waagerechter Doppelstrich  ↑
  5. uber > über  ↑
  6. H → Geruch.  ↑
  7. der aus → Wie  ↑
  8. noch > nach  ↑
  9. die → der  ↑
  10. fort → formt,  ↑
  11. anstrenge > anstrengt  ↑
  12. Estand > Ehstand  ↑
  13. re → so  ↑
  14. ist → ich  ↑
  15. den > die  ↑
  16. Kruch → Krug  ↑
  17. Hervorkommt. > hervorkommt.  ↑
  18. Rahe > Rathe  ↑
  19. d → gehn  ↑

H: GSA 27/5


Das Tagebuch ist von Goethe eigenhändig geschrieben. (Zusätze von fremder Hand siehe unten.) Die Eintragungen befinden sich auf Durchschußblättern (165/170 × 200/210 mm) und auf einem eingelegten, zweifach gefalteten Doppelblatt (185 × 280 mm) in einem vorgedruckten Kalender mit dem Titel: »Verbesserter / Calender 〈…〉 Auf das Jahr Christi / 1779. 〈…〉 Leipzig, / 〈…〉

Gotthelf Albrecht Friedrich Löper.« Vgl zu 1778.

Druckseiten des Kalenders: 62 (unpaginiert)

Durchschuß- und Einlageblätter insgesamt: 32

Beschriebene Blätter: 20


Der Kalender (175 × 210 mm) am Rücken eingebunden, der Rückeneinband (25 × 210 mm) aus gemustertem zinnoberrotem Kartonpapier. Auf dem Titelblatt achteckiges Titelschild mit der Aufschrift 1779 von Goethes Hand. Vorder- und Rückseite (Titelblatt und letzte Druckseite) stark vergilbt, tintenfleckig, stark abgegriffen. Die bedruckten Kalenderseiten aus holzhaltigem Druckpapier, die Durchschuß- und Einlageblätter zumeist aus stark vergilbtem Schreibpapier, die Ränder unbeschnitten, gewellt. Bl 17–20, 23–24 aus festem, leicht vergilbtem Schreibpapier, die Ränder beschnitten. Fadenheftung.


Zum Inhalt des »Calenders« 1779 siehe zu 1778.


Schreibmaterial und Zusätze von fremder Hand:

Schwarze, zum Teil ins Bräunliche verblaßte Tinte.

Einzeichnung runder Klammern, mit Bleistift (Kanzler von Müller?):

2. Januar: (Volgst. bis hoher Mond.)

13. Januar: Klammer nach die heilsamste Diät.

30. Januar: (Clauer bis bewundern.) (Die Geschichte bis vergessen.)

14. Februar: (Mit Friz bis gessen)

1.–9. März: (1. bis N. Robling Einfügungszeichen)

9.–11. März: (besehen bis allein)

12. März: (gedacht bis Saukram.)

13. März: (Glauers Arb. bis hübsch.)

14. März: (14. bis Gessen.)

14. Juli: (Machte bis nach Hause) spitze Klammer nach Kr. Casse

18.–20. Juli: (18) bis närrisch.)

25. Juli: (Meine Idee bis schmerzen mich.)

26. Juli: (Der Herzog bis von Erfurt.)

30.–31. Juli: (Projeckt bis imitirt.)

22. August: Klammer vor Zeichnete

26. August: (Er erzählte bis mit Knebeln.)

28.–30. August: (d. 28 bis und Nacht.)

3. September: (d. 3 bis im Garten,)

Korrekturen und Ergänzungen, mit Bleistift (Kanzler von Müller?):

5. Januar: nach und nach Punkt ergänzt; nach korr zu »Nach«; im Leerraum nach auf weniges eingefügt: »vom 6.–10.«

10. Januar: nach Verhältnisse, sind und benuzen Komma ergänzt; Endets korr zu »Endet’s«

13. Januar: Gotter korr zu »Götter«

30. Januar: nach 30 Punkt ergänzt

1. Februar: nach Fr. senkrechter Strich ergänzt

Auf den beschriebenen Durchschußblättern Bleistiftpaginierung von unbekannter Hand jeweils Vs rechts bzw Rs links oben.

Bleistiftvermerke: auf dem Titelblatt rechts oben »26 Bl.« (»26« korrigiert aus »20«), rechts unten der Signaturvermerk »5«, auf Bl 5 Vs rechts unten »(Tagebuch 1779, März)«, auf Bl 6 Vs rechts oben »a«.


Zählung und Anordnung der Handschrift:

Bl 1–2 (zwischen Ks 6 und 7):

Tgb-Eintr Januar

Bl 3–4 (zwischen Ks 8 und 9)

Bl 3 und 4 Rs:

Tgb-Eintr Februar

Bl 4 Vs leer

Bl 5–6 (zwischen Ks 10 und Bl 7 eingelegtes Doppelbl)

Bl 5 leer

Bl 6 Vs:

Tgb-Eintr März: Dornb. 79

Bl 6 Rs:

Tgb-Eintr März: Apolda.

Bl 7–8 (zwischen Ks 10 und 11)

Bl 7 Vs–8 Vs:

Tgb-Eintr März

Bl 8 Rs leer

Bl 9–10 (zwischen Ks 12 und 13)

Bl 9 Vs und 10 Vs:

Tgb-Eintr April

Bl 9 Rs und 10 Rs leer

Bl 11–12 (zwischen Ks 14 und 15)

Bl 11:

Tgb-Eintr Mai

Bl 12 leer

Bl 13–14 (zwischen Ks 16 und 17)

Bl 13:

Tgb-Eintr Juni

Bl 14 leer

Bl 15–20 (zwischen Ks 18 und 19)

Bl 15 Vs–18 Vs:

Tgb-Eintr Juli

Bl 18 Rs–20 leer

Bl 21–24 (zwischen Ks 20 und 21)

Bl 21 Vs–24 Vs:

Tgb-Eintr August

Bl 24 Rs leer

Bl 25–26 (zwischen Ks 22 und 23)

Bl 25:

Tgb-Eintr September

Bl 26 leer

Bl 27–28 (zwischen Ks 24 und 25) leer

Bl 29–30 (zwischen Ks 26 und 27) leer

Bl 31–32 (zwischen Ks 28 und 29) leer


D:

Friedrich Wilhelm Riemer: Mitteilungen über Goethe. Aus mündlichen und schriftlichen, gedruckten und ungedruckten Quellen. Bd 2. Berlin 1841. S. 79–100 passim (Auszüge) Carl August Hugo Burkhardt: Goethe’s Tagebuch 1779. In: Die Grenzboten 33 (1874), 2. Semester, 3. Bd, Nr 27. S. 18–26 (Auszüge)

Robert Keil: Goethe’s Tagebuch aus den Jahren 1776–1782. Leipzig 1875. S. 175–203 WA III 1, 76–98, udT: 1779.

Mit bis gessen] Laut FB 14. Juli 1779 speiste Carl August mittags im »Louisenkloster«.

Erklärung zwischen den Brüdern] Prinz Constantin wurde am 8. September 1779 volljährig, bis dahin bedurften seine Entschlüsse der Zustimmung Carl Augusts.

in den neuen Weegen] Auf dem Gelände des Welschen Gartens; siehe die erste Erläuterung zu 21. Juni 1777.

auf die Kr. Casse] Die Kasse der Kriegskommission war als Abteilung der Landschaftskasse im Kasseturm untergebracht.

Exkursion] George Batty war mit der Inspektion der sachsen-weimarischen Kammergüter betraut.

er traumt nicht bis was iezt nötig ist] Vgl Brief an Johann Gottfried Herder, etwa 10. Juli 1772 (DjG 2, 256; WA IV 2, 17): Wenn ich nun aber überall herumspaziert binn, überall nur dreingeguckt habe 〈…〉. Nirgends zugegriffen. Dreingreiffen, packen ist das Wesen ieder meisterschafft.

die primas vias] Die ersten und vornehmsten der Wege, der Schritte.

aufzuplumpen] Mundartlich für: aufzupumpen.

 

 
 

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Zitierhinweis

Online-Edition:
GT I, 14.7.1779 (Wolfgang Albrecht/Andreas Döhler), in: https://goethe-biographica.de/id/GT01_0737.

Entspricht Druck:
Text: GT I 1, S. 82–83 (Wolfgang Albrecht/Andreas Döhler), Stuttgart 1998.
Kommentar: GT I 2, S. 482 (Wolfgang Albrecht/Andreas Döhler), Stuttgart 1998.

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