Briefe an Goethe: RA 1, Nr. 73
Von Karl Friedrich Cramer

11. Oktober 1776, Kiel

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Es giebt wohl keinen der mehr für das gewesen wäre
und ist was Sie geschrieben haben, als ich. Das wer-
den Sie auch aus Beyfolgendem sehen, das ich Ihnen
nicht schicken würde, wärs nicht, dabey zu sagen, daß
es mich sehr reut es haben drucken zu lassen. Doch
warum reuen? Ich halte es noch für wahr – und
was geht in Ihnen der Dichter den Menschen an. –
Unwürdigkeiten darf jeder misbilligen, aber ich
bin mirs selbst doppelt schuldig, da ich Ihnen ein
mal in so ganz anderm Tone geschrieben habe.


   Ich war so eben mit Christian Stollberg u Gust
chen auf Klopst. Stube als Ihr Brief an Bro- | 2 |
gold ankam. Er ward geöfnet. Als Stolberg den
Inhalt sah, erröthete er und wollt ihn ver-
bergen. Aber es war zu spät. Er ward gelesen.
Zudem sind unter uns keine Geheimnisse.


   Ubermüthigster aller Ubermütigen! Wir kennen die ganze Corresondenz. Klopstocks erster Brief
an Sie war edel, freundschaftlich, offen, war Al-
les – war Klopstocks würdig aber nicht Ihrer! Ihr Brief ... es ist schwer
einen Nahmen darzu zu finden. Klopstocks Ant
wort, sehr gerechte Bezeugung gerechten Unwil
lens.


So wird jeder davon urtheilen, der Menschen-
sinn hat. Das nennen Sie unerhörteImpertinenz!!


   Klopstock wandte sich um als Ihrer gelesen war –
und sagte so gelassen u kalt wie möglich: Izt ver-
achte ich Göthen!


    C.F.Cramer


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S: Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg  D: Briefe HA Nr. 49  B: an Klopstock, 1776 Mai 21 (WA IV 3, Nr. 462)  A: - 

Zur Auseinandersetzung zwischen Klopstock und G.: Klopstocks erster Brief an Sie war edel, freundschaftlich, offen, [...] aber nicht Ihrer! [...] Klopstocks Antwort, sehr gerechte Bezeugung gerechten Unwillens. [...] Das nennen Sie unerhörte Impertinenz!! Klopstock wandte sich um als Ihrer gelesen war und sagte so gelassen und kalt wie möglich: ,Itzt verachte ich Goethen!'

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 Es giebt wohl keinen der mehr für das gewesen wäre und ist was Sie geschrieben haben, als ich. Das werden Sie auch aus Beyfolgendem sehen, das ich Ihnen nicht schicken würde, wärs nicht, dabey zu sagen, daß es mich sehr reut es haben drucken zu lassen. Doch warum reuen? Ich halte es noch für wahr – und was geht in Ihnen der Dichter den Menschen an. – Unwürdigkeiten darf jeder misbilligen, aber ich bin mirs selbst doppelt schuldig, da ich Ihnen ein mal in so ganz anderm Tone geschrieben habe.

  Ich war so eben mit Christian Stollberg u Gust chen auf Klopst. Stube als Ihr Brief an Bro| 2 |gold ankam. Er ward geöfnet. Als Stolberg den Inhalt sah, erröthete er und wollt ihn verbergen. Aber es war zu spät. Er ward gelesen. Zudem sind unter uns keine Geheimnisse.

  Ubermüthigster aller Ubermütigen! Wir kennen die ganze Corresondenz. Klopstocks erster Brief an Sie war edel, freundschaftlich, offen, war Alles – war Klopstocks würdig aber nicht Ihrer! Ihr Brief ... es ist schwer einen Nahmen darzu zu finden. Klopstocks Ant  wort, sehr gerechte Bezeugung gerechten Unwil  lens.

 So wird jeder davon urtheilen, der Menschensinn hat. Das nennen Sie unerhörteImpertinenz!!

  Klopstock wandte sich um als Ihrer gelesen war – und sagte so gelassen u kalt wie möglich: Izt verachte ich Göthen!

  C.F.Cramer

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Zitierhinweis

Online-Edition:
RA 1, Nr. 73, in: https://goethe-biographica.de/id/RA01_0073_00079.

Druck des Regests: RA 1, Nr. 73.

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