Briefe an Goethe: RA 1, Nr. 70
Von Jakob Michael Reinhold Lenz

Juli bis September 1776, Berka

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Lieber Bruder! ich bin in grausamer Beklemmung. Es ist die Frage ob ich v lieben darf. Sie ist diesen Morgen so mächtig in meinem Herzen worden daß sie mir das innere Leben meines Geistes anzugreiffen drohte. Ich fragte' mich ist es nicht Eitelkeit, Eigennutz oder noch was schlimmers was in deinem Herzen dies unheilige Feuer angezündet hat - warum willst du der ganzen Welt und allem was darinn auf Liebe Anspruch macht Unrecht thun. Die innenwendige Moralische Schraubenbewegung ward aufs höchste getrieben – ich lag auf der Folter. Gott der Gedanke in dem ich eben Trost meines Lebens fand – dieser einzige Gedanke Sünde. Etwas für sie zu thun – du weißt daß dies noch das einzige war das mich an dies Leben band. Denn für andre glaub ich auch nach dem Tode wirken zu können.


   Ich bin wieder hergestellt. Die Ungewißheit konnte nicht dauern und gottlob der unsre Seelen so eingerichtet hat. Einem Leiden von der Art wenn es anhielt wär auf der Welt nichts zu vergleichen und endliche Kräfte zu schwach dafür. Ich bin nicht gehalten etwas zu lieben, das nicht einen mir fühlbaren Werth hat. Und das was ich bis auf den Grad meiner Geliebten lieben darf muß einen Werth haben, der sich auf mich bezieht. Sonst müst ich die ganze Welt heurathen. Ich bin also fest entschlossen meine heilige Grille sie mit keinem Geschöff auszutauschen in den Sarg mitzunehmen - sag mir drüber was du willst. Denn ihren Wert kann und wird sie hoffe ich nicht verlieren u. wohl mir wenn sie mich nie liebt als nach Beziehung des Meinigen auf sie


    L.


   Was ihr Werth in Beziehung auf mich ist? – Alles. Ich behalte keinen Werth übrig wenn ich den ihrigen zu lieben aufhöre. Meine Existenz ist vergeblich. Ich handelte für sie – sie allein ist und kann zuverlässige Richterin meiner Handlungen seyn und wer mein Verhältniß zu ihr versteht. Ob sie es seyn wird ist die Frage nicht.


S: -  D: Froitzheim 109f.  B: -  A: -  V: Druck 

Ausführlich von seiner Liebe zu H. L. von Oberkirch, unter anderem: Ich bin wieder hergestellt. [...] Einem Leiden von der Art wenn es anhielt wär auf der Welt nichts zu vergleichen [...]. Dennoch wolle er sie mit keinem Geschöff austauschen.

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Lieber Bruder! ich bin in grausamer Beklemmung. Es ist die Frage ob ich v lieben darf. Sie ist diesen Morgen so mächtig in meinem Herzen worden daß sie mir das innere Leben meines Geistes anzugreiffen drohte. Ich fragte' mich ist es nicht Eitelkeit, Eigennutz oder noch was schlimmers was in deinem Herzen dies unheilige Feuer angezündet hat - warum willst du der ganzen Welt und allem was darinn auf Liebe Anspruch macht Unrecht thun. Die innenwendige Moralische Schraubenbewegung ward aufs höchste getrieben – ich lag auf der Folter. Gott der Gedanke in dem ich eben Trost meines Lebens fand – dieser einzige Gedanke Sünde. Etwas für sie zu thun – du weißt daß dies noch das einzige war das mich an dies Leben band. Denn für andre glaub ich auch nach dem Tode wirken zu können.

  Ich bin wieder hergestellt. Die Ungewißheit konnte nicht dauern und gottlob der unsre Seelen so eingerichtet hat. Einem Leiden von der Art wenn es anhielt wär auf der Welt nichts zu vergleichen und endliche Kräfte zu schwach dafür. Ich bin nicht gehalten etwas zu lieben, das nicht einen mir fühlbaren Werth hat. Und das was ich bis auf den Grad meiner Geliebten lieben darf muß einen Werth haben, der sich auf mich bezieht. Sonst müst ich die ganze Welt heurathen. Ich bin also fest entschlossen meine heilige Grille sie mit keinem Geschöff auszutauschen in den Sarg mitzunehmen - sag mir drüber was du willst. Denn ihren Wert kann und wird sie hoffe ich nicht verlieren u. wohl mir wenn sie mich nie liebt als nach Beziehung des Meinigen auf sie

  L.

  Was ihr Werth in Beziehung auf mich ist? – Alles. Ich behalte keinen Werth übrig wenn ich den ihrigen zu lieben aufhöre. Meine Existenz ist vergeblich. Ich handelte für sie – sie allein ist und kann zuverlässige Richterin meiner Handlungen seyn und wer mein Verhältniß zu ihr versteht. Ob sie es seyn wird ist die Frage nicht.

 

 
 

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Zitierhinweis

Online-Edition:
RA 1, Nr. 70, in: https://goethe-biographica.de/id/RA01_0070_00075.

Druck des Regests: RA 1, Nr. 70.

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