Briefe an Goethe: RA 1, Nr. 4
Von Adam Friedrich Oeser

25. November 1768, Leipzig

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   Schätzbahrer Freund,


Wir haben Ihren Brief mit vielen Vergnügen gelesen,
und unsere Wünsche sind allgemein Sie liebster Freund
nur fein bald vollkommen gesund zu wißen.


Wie vergnügt bin ich, da Sie mir in Ihren Brief
sagen wie Sie sich mit der Kunst beschäftigen,
und Ihr gutes fühlbares Hertz daß das Schöne em-
pfindet, wird Sie für Ihren Eifer reichlich belohnen.
Laßen Sie uns immer dieses Vergnügen er-
weitern, laßen, Sie uns über die witzigen Köpfe
von Hertzen lachen, welche glauben es sey schon ge-
nug nur viele Sprachen zu wißen und durch
Nachschlagung, und angführten Stellen der Alten
gründlich entscheidente Urtheile, ohne die gering-
ste practische Kenntnis fällen zu können.


Sehen Sie, so gar der gelehrte Leßing verirrt
sich mit allen angewanten Witze bey der Stelle
des Plinius: includuntur cum feliciter rumpere
contigit, er übersetzt sie richtig, und erklärt sie doch | 2 |
falsch. Gehen Sie zu den ersten besten Wappen Stein-
schneider, und sehen Sie ihm eine Stunde arbeiten, so
werden Sie die Plinischen Worte beßer trefen und
den Sinn derselben richtiger erklähren. Ich wette
Sie gerathen über Christen, Leßing und Klotzen
in ein so gesundes Lachen daß Sie vollkommen
genesen. Doch muß ich Ihnen Vorhero sagen, daß
jeder wahre Kenner, den unterschied der Schnitte
an denen Steinen, welche mit Schmergel oder
mit Diamant Port gearbeitet sind, sehr deutlich
kennet, und aus dieser Kenntnis schließt er, daß die
mehresten Steine der Alten mit Schmergel geschnitten
worden. Das wahre Kennzeichen ist die Politur, da
der Schmergel weniger angreift als der Port, und
folglich zugleich polirt, die Neuern hingegen sind
fast alle mit Port geschnitten, und weil derselbe
mehr angreift, so erscheinen alle Bilder der letztern
mat, und die Fläche des geschnittenen Steins wird zuletzt auf der Scheibe
pollirt. Es ist gewiß, daß zu Plinius Zeiten der Dia-
mant weniger gemein war, als in neuern Zeiten, und | 3 |
das eingeschloßene glückliche Sprengen, ist zu des
Plinius Zeiten bey denen meisten Steinschneidern
noch ein Geheimniß gewesen. Naxium kan nichts
anders als ciprischer Schmergel seyn. Crustas
nehmen Sie für äußere Rinde des Diamants,
welche härter als der innwendige Stein ist, und
bey den schneiden die geschwindeste würckung thut.
Wenn Sie also den Steinschneider mit allen
seinen verschiedenen Instrumenten haben ar-
beiten gesehen, so begehren Sie von ihm, daß
er Ihnen das Diamant-­Port machen, weißen
soll, und wenn Sie dieses gesehen, so werden
Sie finden, daß nichts lächerlicher, als der Einfall,
mit der Spitze zu schneiden seyn kann, es ist gewiß
keinen Künstler, alter und neuerer Zeit, in den
Sinn gekommen, mit derselben zu arbeiten,
weil nichts anders als ein gekritzle wie man oft
an unsern Fensterscheiben siehet, heraus kommen
könnte. Noch mercken Sie liebster Freund, daß alle | 4 |
Instrumente womit der Steinschneider arbeitet, sie
mögen Kupfer oder Eisen seyn, weich seyn müßen
damit sich das Diamant Pulver (welches mit Oel
vermischt) in die Instrumente fest setze, und
durch schnelle bewegung der Docke den Stein
bearbeite. Der zerschlagene Diamant, bestehet
aus nichts andern als aus sehr kleinen Splittern
und diese trücken sich in die weichen Instru-
mente, wären aber dieselben hart, so gleite-
ten die SPlitter auf den Instrumenten ab, und
man würde den Stein nichts abgewinnen können.
Wenn ich mich deutlich genug ausgedrückt habe, so
werden Sie ohne langes tiefsinnges Nachdencken
die größte Schwierigkeit der Hℓ Gelehrten, (wie die
kleinen Splitter zu faßen sind) leicht einsehen.


   Ich befinde mich noch immer ohne meinen Tischer, er
hat mir vor 5. Wochen aus Münsterappel um Geld geschrieben
und mir zugleich berichtet daß er kranck sey, ich habe ihm geantwor-
tet ud. ihm nach seinen begehren 30 rh: in Franckfurt angewiesen, u.
bey Vorstadt u. Bude der Auszahlung wegen befragen soll, ich habe
keine weitere Nachricht von ihm erhalten, ich befürchte ein Unglück, u. wünsche
Nachricht von ihm. Sein Nahme ist Johann Christoph Junge. wenn es Ihnen möglich
werde ich selbige durch Sie erhalten. Ich bin
   Liebster Freund Dero   ergebenster


AdamFriedrich Oeßer.

   


Empfehlen Sie mich Ihren vortreflichen
Eltern aufs beste. Von Hℓ Weisen folgen viele
Empfehlungen, er siehet einer Lebensbeschreibung von
Seekatzen begierich entgegen.


S: GSA 28/671 St. 1  D: Briefe HA Nr. 3 (T)  B: 1768 September 13 (WA IV 1, Nr. 42); 1768 November 9 (WA IV 1, Nr. 47)  A: 1769 Februar 14 (WA IV 1, Nr. 52) 

O. danke für G.s Brief und wünsche, G. bald vollkommen gesund zu wißen. Mit Vergnügen höre O., wie sich G. mit der Kunst beschäftige, und wolle mit ihm über die witzigen Köpfe [...] lachen, welche glauben, bei großer Sprachkenntnis anhand antiker Textstellen entscheidente Urtheile, ohne die geringste practische Kenntnis fällen zu können. Selbst Lessing habe sich bei der Stelle des Plinius: includuntur cum feliciter rumpere contigit, über die Technik der antiken Steinschneidekunst geirrt; er übersetze sie richtig und erkläre sie doch falsch (vgl. Lessing, "Briefe antiquarischen Inhalts", 1. Teil, 1768, 28. Brief). G. solle einen Wappen Steinschneider [...] eine Stunde arbeiten sehen und werde die Plinischen Worte beßer trefen [...] den Sinn derselben richtiger erklähren und über J. F. Christ, Lessing und C. A. Klotz in ein gesundes Lachen geraten. Ausführliche Erörterungen über die Steinschneidekunst. - O. sorge sich um seinen Tischler J. C. Junge, dem er nach Frankfurt Geld angewiesen habe, und bitte G. um Nachricht. - C. F. Weiße sehe einer von G. verfaßten Lebensbeschreibung über J. K. Seekatz begierich entgegen.

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 Schätzbahrer Freund,

 Wir haben Ihren Brief mit vielen Vergnügen gelesen, und unsere Wünsche sind allgemein Sie liebster Freund nur fein bald vollkommen gesund zu wißen.

 Wie vergnügt bin ich, da Sie mir in Ihren Brief sagen wie Sie sich mit der Kunst beschäftigen, und Ihr gutes fühlbares Hertz daß das Schöne empfindet, wird Sie für Ihren Eifer reichlich belohnen. Laßen Sie uns immer dieses Vergnügen erweitern, laßen, Sie uns über die witzigen Köpfe von Hertzen lachen, welche glauben es sey schon genug nur viele Sprachen zu wißen und durch Nachschlagung, und angführten Stellen der Alten gründlich entscheidente Urtheile, ohne die geringste practische Kenntnis fällen zu können.

 Sehen Sie, so gar der gelehrte Leßing verirrt sich mit allen angewanten Witze bey der Stelle des Plinius: includuntur cum feliciter rumpere contigit, er übersetzt sie richtig, und erklärt sie doch| 2 | falsch. Gehen Sie zu den ersten besten Wappen Steinschneider, und sehen Sie ihm eine Stunde arbeiten, so werden Sie die Plinischen Worte beßer trefen und den Sinn derselben richtiger erklähren. Ich wette Sie gerathen über Christen, Leßing und Klotzen in ein so gesundes Lachen daß Sie vollkommen genesen. Doch muß ich Ihnen Vorhero sagen, daß jeder wahre Kenner, den unterschied der Schnitte an denen Steinen, welche mit Schmergel oder mit Diamant Port gearbeitet sind, sehr deutlich kennet, und aus dieser Kenntnis schließt er, daß die mehresten Steine der Alten mit Schmergel geschnitten worden. Das wahre Kennzeichen ist die Politur, da der Schmergel weniger angreift als der Port, und folglich zugleich polirt, die Neuern hingegen sind fast alle mit Port geschnitten, und weil derselbe mehr angreift, so erscheinen alle Bilder der letztern mat, und die Fläche des geschnittenen Steins wird zuletzt auf der Scheibe pollirt. Es ist gewiß, daß zu Plinius Zeiten der Diamant weniger gemein war, als in neuern Zeiten, und| 3 | das eingeschloßene glückliche Sprengen, ist zu des Plinius Zeiten bey denen meisten Steinschneidern noch ein Geheimniß gewesen. Naxium kan nichts anders als ciprischer Schmergel seyn. Crustas nehmen Sie für äußere Rinde des Diamants, welche härter als der innwendige Stein ist, und bey den schneiden die geschwindeste würckung thut. Wenn Sie also den Steinschneider mit allen seinen verschiedenen Instrumenten haben arbeiten gesehen, so begehren Sie von ihm, daß er Ihnen das Diamant-­Port machen, weißen soll, und wenn Sie dieses gesehen, so werden Sie finden, daß nichts lächerlicher, als der Einfall, mit der Spitze zu schneiden seyn kann, es ist gewiß keinen Künstler, alter und neuerer Zeit, in den Sinn gekommen, mit derselben zu arbeiten, weil nichts anders als ein gekritzle wie man oft an unsern Fensterscheiben siehet, heraus kommen könnte. Noch mercken Sie liebster Freund, daß alle| 4 | Instrumente womit der Steinschneider arbeitet, sie mögen Kupfer oder Eisen seyn, weich seyn müßen damit sich das Diamant Pulver (welches mit Oel vermischt) in die Instrumente fest setze, und durch schnelle bewegung der Docke den Stein bearbeite. Der zerschlagene Diamant, bestehet aus nichts andern als aus sehr kleinen Splittern und diese trücken sich in die weichen Instrumente, wären aber dieselben hart, so gleiteten die SPlitter auf den Instrumenten ab, und man würde den Stein nichts abgewinnen können. Wenn ich mich deutlich genug ausgedrückt habe, so werden Sie ohne langes tiefsinnges Nachdencken die größte Schwierigkeit der Hℓ Gelehrten, (wie die kleinen Splitter zu faßen sind) leicht einsehen.

  Ich befinde mich noch immer ohne meinen Tischer, er hat mir vor 5. Wochen aus Münsterappel um Geld geschrieben und mir zugleich berichtet daß er kranck sey, ich habe ihm geantwortet ud. ihm nach seinen begehren 30 rh: in Franckfurt angewiesen, u. bey Vorstadt u. Bude der Auszahlung wegen befragen soll, ich habe keine weitere Nachricht von ihm erhalten, ich befürchte ein Unglück, u. wünsche Nachricht von ihm. Sein Nahme ist Johann Christoph Junge. wenn es Ihnen möglich werde ich selbige durch Sie erhalten. Ich bin  Liebster Freund Dero ergebenster


AdamFriedrich Oeßer.  

 Empfehlen Sie mich Ihren vortreflichen Eltern aufs beste. Von Hℓ Weisen folgen viele Empfehlungen, er siehet einer Lebensbeschreibung von Seekatzen begierich entgegen.

 

 
 

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Zitierhinweis

Online-Edition:
RA 1, Nr. 4, in: https://goethe-biographica.de/id/RA01_0004_00005.

Druck des Regests: RA 1, Nr. 4.

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