BuG: BuG I, A 572
Weimar vor 22. 4. 1776

Wieland an Bürger 22. 4. 1776 (Strodtmann 1, 303)

B2 146

Weimar vor 22. 4. 1776

Tausend Dank aus vollem Herzen für das kostbare Pfand Ihrer Liebe das Sie mir im 6ten Buch Ihrer teutschen Ilias überschickt haben, und für die Erlaubnis so Sie mir geben, meine Freude daran mit den Lesern des Merkurs zu theilen. Dies würde sogleich im Aprilmonat, der izt gedruckt wird, geschehen seyn, wenn Göthe nicht gewünscht hätte das Manuscript vorher genauer mit dem Original zu vergleichen, und (wie ich vermuthe) nach Ihrem Verlangen, hier oder da eine Kleinigkeit zu ändern; z. Ex. ein ehrliches obsoletes Wort an schiklicher Stelle anzubringen und dergl. Wir sind izt stark daran, etliche hundert dergleichen Wörter, so Gott will, wieder ins Leben zu ruffen; und wir haben große Freude darüber, daß Sie ein gleiches in Ihrem Homer thun. Wie könnten Sie auch ohne dies einen teutschen Homer geben? Sie brauchen den ganzen Reichthum unsrer Sprache dazu; und ich bin ganz überzeugt, daß der einzige Umstand, wenn Ihnen der Gebrauch der veralteten Wörter aus Teutschlands Ritter und HeldenZeit nicht erlaubt wäre, eine gute Übersetzung Homers unmöglich machte. Auch gewinnt das Colorit und der Ton dadurch etwas antikes, Naturkräftiges, von der modernen Zierlichkeit abstechendes, kurz etwas Homerisches das ich besser fühlen als sagen kan. Überhaupt sind wir, Göthe und ich, inniglich mit Ihrer Verteutschung des göttlichen Dichters zufrieden, und freuen uns mit einer Freude, die uns wohl nur wenige nachempfinden können, daß unsre Nation Ihnen den Vorzug zu danken haben wird, die wahreste, treuste, Homers am wenigsten unwürdige Übersetzung zu haben, die irgend eine Sprache aufweisen kan, – und daß der Dichter, dessen Werke uns Wort Gottes sind, durch Sie eine Menge von Jüngern, Liebhabern und Anbetern bekommen wird, die der Glückseligkeit ihn zu fühlen, ihn zu ihrem ewigen Lieblingsbuch zu machen, ohne Sie, hätten entbehren müssen. Ich insonderheit freue mich über den heilsamen Einfluß den Ihr Homer auf den gegenwärtigen Moment unsrer litterarischen Verfassung haben wird. Denn der Messias selbst hätte nicht zu einer gelegnern Zeit kommen können. Kurz, wenn man aller Orten so für Sie und Ihre edle Unternehmung eingenommen, und von dem göttlichen Beruf, den Ihnen die Natur dazu gegeben hat so überzeugt wäre, wie Ihre Freunde in Weimar: So sollten Sie keine Ursache haben über die von außen nöthige Aufmunterung zu einem so furchtbar schwierigen und so großen Muth und hartnäckigen Eyfer erfordernden Werke, zu klagen.

Dieser Tagen stritten Göthe und ich mit einem enthusiastischen Anbeter des Griechischen Homers über das Sylbenmaas, das Sie zu Ihrer Übersetzung gewählt haben. Er bestand darauf, der Hexamter würde besser gewesen seyn; wir, Sie hätten Recht gehabt den Jamben vorzuziehen. Wir sind gewiß, daß es unnöthig wäre, Ihnen die Gründe pro und contra zu sagen: Ohne mindesten Zweifel haben Sie das alles längst erwogen und durchgedacht. Aber vielleicht möcht’ es doch von einigem Nutzen seyn, wenn Sie etwan Ihre Gründe für den Jambischen Vers (nisi quid obstat) in einem kleinen Sendschreiben an Göthen oder mich im Merkur bekannt machten. Wir behaupten, Homers Versification verliehre in jeder Übersetzung nothwendig, würde aber in teutschen Hexametern noch weit mehr verliehren als im Jambischen Vers, der unsrer Meynung nach, das ächte, alte, natürliche, heroische Metrum unsrer Sprache ist ...

Göthe umarmt Sie. Lenz ist nun auch bey uns.

*Böttiger, Lit. Zustände 1, 223

Weimar vor 22. 4. 1776

[Wieland 15. 7. 1798] Die erste Bekanntschaft mit Wieland stiftet[e] Bürger dadurch, daß er Proben seiner jambischen Übersetzung des Homers für den Merkur einschickte. Diese entzückten Göthen u. Wielanden dermaßen, daß sie damals in Weimar und Gotha von den Fürstenkindern eine so ansehnliche Subscription zu erpressen beschlossen, die Bürgern Muße geben könnte, das Werk auszuführen. Aber der veränderliche Dichter gab die Idee selbst auf.

Zitierhinweis

Online-Edition:
BuG I, BuG01_A_0572 (Ernst Grumach/Renate Grumach), in: https://goethe-biographica.de/id/BuG01_A_0572.

Entspricht Druck:
BuG I, S. 415 f. (Ernst Grumach/Renate Grumach).

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