BuG: BuG I, A 658
Ilmenau 18./25. 7. 1776

F. W. H. v. Trebra (GJb 9, 11)

B2 155

Ilmenau 18./25. 7. 1776

Es war eine gar froh gestimmte, lustige Gesellschaft, welche sich in den Sommermonathen des Jahres 1776. am Fuße der Sturmhayde zu Illmenau versammlet hatte...

Ich war nur seit wenigen Tagen erst, in diesen lebenvollen Zirkel eingetreten, angeschwommen aus einer Region her, wo naher und ferner Dienstverhältniße wegen, das Benehmen geräuschloß, sehr klüglich still, und forschend aus andern eingerichtet seyn mußte, alle frohe Herzensergießung zurückpreßend – hier war alles erlaubt. Unbewacht ausgelaßen zu seyn, war hier, wo nicht gefordert, doch nicht ungern gesehen, wohl gar gewünscht. So hatte auch ich, nach vorleuchtenden hohen Beyspiel, bald die Überzeugung erlangt, obwohl auch bis hierher, Behutsamkeit gebietende Dienstverhältniße mich begleitet hatten, denn daß alle übrige, hoher Adel, und niederer, und Bürger es glaubten, bewiesen allesammt mit Händen und Beinen, im Gebrauch gegen sich unter einander, und gegen die Höhern. Nicht das, – flüsterte der Ernstere [Goethe] von ihnen mir zu, den ich schon vom ersten Moment der Bekanntschaft an im Auge behielt – nur von ihren Leibern haltet euch fern, und duldet lieber, was sie körperlich euch zufügen, wenn sie sich zur handfälligen Lustigkeit herablaßen.

Noch manche andere solche tief liegende Wahrheiten hatte ich ihm schon abgehorcht, wo Großes im Wirken, auf Bemerkungen im Kleinen lag – Ich will mir auch gleich die Seitenhaare am Kopfe ganz wegschneiden – war einmal der Einfall des höhern Frohsinns – Das kann man bald machen, war die Entgegnung des kalten Ernstern darauf, nicht so sie wieder wachsen machen.

Ilmenau am 3. September 1783 (WA I 2, 142)

Ilmenau 18./25. 7. 1776

  Welch nächtliches Gelag am Fuß der Felsenwand?   Bei kleinen Hütten, dicht mit Reis bedecket,   Seh’ ich sie froh an’s Feuer hingestrecket.   Es dringt der Glanz hoch durch den Fichten-Saal;   Am niedern Herde kocht ein rohes Mahl;   Sie scherzen laut, indessen bald geleeret   Die Flasche frisch im Kreise wiederkehret ...   Unbändig schwelgt ein Geist in ihrer Mitten,   Und durch die Rohheit fühl’ ich edle Sitten.
  Wie nennt ihr ihn? Wer ist’s, der dort gebückt   Nachlässig stark die breiten Schultern drückt?   Er sitzt zunächst gelassen an der Flamme,   Die markige Gestalt aus altem Heldenstamme.   Er saugt begierig am geliebten Rohr,   Es steigt der Dampf an seiner Stirn empor.   Gutmüthig trocken weiß er Freud’ und Lachen   Im ganzen Cirkel laut zu machen,   Wenn er mit ernstlichem Gesicht   Barbarisch bunt in fremder Mundart spricht.
  Wer ist der andre, der sich nieder   An einen Sturz des alten Baumes lehnt,   Und seine langen feingestalten Glieder   Ekstatisch faul nach allen Seiten dehnt,   Und, ohne daß die Zecher auf ihn hören,   Mit Geistesflug sich in die Höhe schwingt,   Und von dem Tanz der himmelhohen Sphären   Ein monotones Lied mit großer Inbrunst singt?
  Doch scheinet allen etwas zu gebrechen.   Ich höre sie auf einmal leise sprechen,   Des Jünglings Ruhe nicht zu unterbrechen,   Der dort am Ende, wo das Thal sich schließt,   In einer Hütte, leicht gezimmert,   Vor der ein letzter Blick des kleinen Feuers schimmert,   Vom Wasserfall umrauscht, des milden Schlafs genießt.   Mich treibt das Herz nach jener Kluft zu wandern,   Ich schleiche still und scheide von den andern.
  Sei mir gegrüßt, der hier in später Nacht   Gedankenvoll an dieser Schwelle wacht!   Was sitzest du entfernt von jenen Freuden?   Du scheinst mir auf was Wichtiges bedacht.   Was ist’ s, daß du in Sinnen dich verlierest,   Und nicht einmal dein kleines Feuer schürest?
  „O frage nicht! denn ich bin nicht bereit,   Des Fremden Neugier leicht zu stillen;   Sogar verbitt’ ich deinen guten Willen;   Hier ist zu schweigen und zu leiden Zeit.   Ich bin dir nicht im Stande selbst zu sagen   Woher ich sei, wer mich hierher gesandt;   Von fremden Zonen bin ich her verschlagen   Und durch die Freundschaft festgebannt.
  Wer kennt sich selbst? wer weiß was er vermag?   Hat nie der Muthige Verwegnes unternommen?   Und was du thust, sagt erst der andre Tag,   War es zum Schaden oder Frommen.   Ließ nicht Prometheus selbst die reine Himmelsgluth   Auf frischen Thon vergötternd niederfließen?   Und konnt’ er mehr als irdisch Blut   Durch die belebten Adern gießen?   Ich brachte reines Feuer vom Altar;   Was ich entzündet, ist nicht reine Flamme.   Der Sturm vermehrt die Gluth und die Gefahr,   Ich schwanke nicht, indem ich mich verdamme.
  Und wenn ich unklug Muth und Freiheit sang   Und Redlichkeit und Freiheit sonder Zwang,   Stolz auf sich selbst und herzliches Behagen,   Erwarb ich mir der Menschen schöne Gunst:   Doch ach! ein Gott versagte mir die Kunst,   Die arme Kunst, mich künstlich zu betragen.   Nun sitz’ ich hier zugleich erhoben und gedrückt,   Unschuldig und gestraft, und schuldig und beglückt.
  Doch rede sacht! denn unter diesem Dach   Ruht all mein Wohl und all mein Ungemach:   Ein edles Herz, vom Wege der Natur   Durch enges Schicksal abgeleitet,   Das, ahnungsvoll, nun auf der rechten Spur   Bald mit sich selbst und bald mit Zauberschatten streitet,   Und was ihm das Geschick durch die Geburt geschenkt   Mit Müh und Schweiß erst zu erringen denkt.   Kein liebevolles Wort kann seinen Geist enthüllen   Und kein Gesang die hohen Wogen stillen ...
  Gewiß, ihm geben auch die Jahre   Die rechte Richtung seiner Kraft.   Noch ist bei tiefer Neigung für das Wahre   Ihm Irrthum eine Leidenschaft.   Der Vorwitz lockt ihn in die Weite,   Kein Fels ist ihm zu schroff, kein Steg zu schmal;   Der Unfall lauert an der Seite   Und stürzt ihn in den Arm der Qual.   Dann treibt die schmerzlich überspannte Regung   Gewaltsam ihn bald da bald dort hinaus,   Und von unmuthiger Bewegung   Ruht er unmuthig wieder aus.   Und düster wild an heitern Tagen,   Unbändig ohne froh zu sein,   Schläft er, an Seel’ und Leib verwundet und zerschlagen,   Auf einem harten Lager ein:   Indessen ich hier still und athmend kaum   Die Augen zu den freien Sternen kehre,   Und, halb erwacht und halb im schweren Traum,   Mich kaum des schweren Traums erwehre.“

Eckermann, Gespräche 23. 10. 1828 (Houben1 S. 556)

B2 2635

Ilmenau 18./25. 7. 1776

Das Ilmenauer Gedicht ... enthält als Episode eine Epoche, die im Jahre 1783 als ich es schrieb, bereits mehrere Jahre hinter uns lag, so daß ich mich selber darin als eine historische Figur zeichnen und mit meinem eigenen Ich früherer Jahre eine Unterhaltung führen konnte. Es ist darin, wie Sie wissen, eine nächtliche Scene vorgeführt, etwa nach einer solchen halsbrechenden Jagd im Gebirge. Wir hatten uns am Fuße eines Felsen kleine Hütten gebaut und mit Tannenreisern gedeckt, um darin auf trockenem Boden zu übernachten. Vor den Hütten brannten mehrere Feuer und wir kochten und brieten was die Jagd gegeben hatte. Knebel, dem schon damals die Tabackspfeife nicht kalt wurde, saß dem Feuer zunächst und ergötzte die Gesellschaft mit allerlei trockenen Späßen, während die Weinflasche von Hand zu Hand ging. Seckendorf, der schlanke, mit den langen feinen Gliedern, hatte sich behaglich am Stamm eines Baumes hingestreckt und summte allerlei Poetisches. – Abseits, in einer ähnlichen kleinen Hütte, lag der Herzog im tiefen Schlaf. Ich selber saß davor, bei glimmenden Kohlen, in allerlei schweren Gedanken, auch in Anwandlungen von Bedauern über mancherlei Unheil das meine Schriften angerichtet. Knebel und Seckendorf erscheinen mir noch jetzt gar nicht schlecht gezeichnet, und auch der junge Fürst nicht, in diesem düstern Ungestüm seines zwanzigsten Jahres ... So war er ganz und gar. Es ist darin nicht der kleinste Zug übertrieben.

Zitierhinweis

Online-Edition:
BuG I, BuG01_A_0658 (Ernst Grumach/Renate Grumach), in: https://goethe-biographica.de/id/BuG01_A_0658.

Entspricht Druck:
BuG I, S. 441 f. (Ernst Grumach/Renate Grumach).

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