BuG: BuG I, A 660
Stützerbach/Ilmenau 26. 7. 1776

Tagebuch 26. 7. 1776 (WA III 1, 17)

Stützerbach, Ilmenau 26. 7. 1776

Gezeichnet früh. Der Herzog kam die Gesellsch. auch. Wirthschafft bey Glasern.

Carl August an Anna Amalia 27. 7. 1776 (Bergmann S. 21)

Stützerbach, Ilmenau 26. 7. 1776

Abermals, beste Mutter, versichere ich Sie von den vergnügten und wohlen Leben, das wir hier führen ... die Nacht schlief ich in Stützerbach. Da haben wir Glas gemacht ... Mit den Bergwerk geht’s aufs beste.

F. W. H. v. Trebra (GJb 9, 13)

Stützerbach, Ilmenau 26. 7. 1776

Und doch ging diese [Goethes] Stimme der überlegenen Klugheit, im Fortlaufe der Lustigkeit zu Regionen hernieder, die ziemlich weit von jenem Schutzgeisterischen Benehmen im Tiefblick und in Äußerung, entfernt lagen. Freylich hatte auch solches Herabsteigen allemal einen eignen, moralische hohe Zwecke aussprechenden Charakter. So war das launige Gemählde in Stützerbach, wo die lustige Gesellschaft das Glasmachen beaugenscheiniget hatte, und nun – wie sie sich nie entgehen lies – ein frohes Mittagsmal zu verzehren sich zusammen fand, das bey einen bemittelten Krämer des Orts veranstaltet war.

Freylich mochte dem Mann neben mehrern andern Thorheiten, welche die lustigen Gesellen geschwind genug ersahen, vorzüglich eine hohe Meynung von seiner Handelsmannswichtigkeit innwohnen, in welcher er sich jedem grosen Kaufmann in Hamburg und Amsterdam parallel setzen zu können meinte. In der sehr reinlich bürgerlich verzierten Stube, worinnen die Tafel vorgerichtet war, hing dieser gegen über, ein Oehlgemählde des wohlberühmten Kaufmanns, Lebensgröße im Bruststück, die eine Hand mit langer Manschette im Busen, das kaufmännisch breite, zahme Gesicht, durch sehr weiß gepuderte buschige Perücke, sehr herrlich verziert. Manche Gesundheit wurde diesem, nur im Oehlgemählde anwesenden Besitzer der Handlung, während der Mittagstafel zugetrunken. Nun sie aufgehoben war, suchte man das Original im untern Theile seines Hauses, in seinen Waarengewölbern auf, und da, um es auch an handgreiflicher Verspottung nicht fehlen zu laßen, wurden ihm von der Gesellschaft manche leere und volle Tonnen, Kisten und Kästen Waaren, die mit Pfeffer und Ingwer, Zucker und Coffee und Toback, überschrieben, und mannichfachen kaufmännischen Bezeichnungen, von Ankern, und Triangeln geziert waren, vor’s Haus getragen, und manches gar den Berg hinunter gekollert. In diese, etwas weit getriebenen zudringlichen Späße der frohreichen Gesellschaft, hatte sich der ernstere Geselle nicht eingelaßen. Dieser hatte während des Unfugs im Handelsmagazin der untern Region des Hauses, ein Gemählde in dem obern Zimmer vorbereitet, das sehr eigen in seiner Art, ganz darauf abgemeßen war, die höchste Lächerlichkeit darzustellen. Von jenem bürgerlich eleganten Kaufherrns Portrait hatte er das breite, blonde, fade Gesicht ausgeschnitten; durch die hiermit erlangte Öffnung, schob er sein eigenes männlich braunes, geistiges Gesicht, mit den flammenden schwarzen Augen, zwischen der weißen dicken Perücke durch; setzte sich auf einen Lehnstuhl; stellte das Gemählde im goldnen Rahmen vor sich auf die Knie, und verhing die Beine mit einem weißen Tuche. So wie die lustige Gesellschaft endlich wieder heraufgetobt war, um in dem Speise-Zimmer Caffee zu trinken, öffnete sich die Thür der dran stoßenden Kammer, und das Contrastportrait zog überraschend hin, beydes zum Gelächter, und zum Denken zugleich.

Bey solchen nicht zweydeutigen Merkzeichen, war es mir gar nicht mehr zweifelhaft, des freundschaftlich leitenden Genius Zweck war: durch einen, in überspannter Lustigkeit mit gemachten halben Schritt sich in die Möglichkeit zu bringen, von der andern Hälfte desto gewisser, den heran reifenden mächtigen Freund zurück zu halten, und so aus dem dicken Übel der Zerstreuung im Unfug der Leidenschaft, zum lichten Sonnenstrahl der Besonnenheit, zum Genuß wahren und Nutzbringenden Vergnügens zu führen.

Hierinn befestigte mich noch mehr ein schönes Landschafts-Gemählde, das ich zwar nicht ganz fertig, nur angefangen sah, von der Hand dieses freundschaftlich leitenden Genius, während der mehrern argen Zerstreuungen in Ilmenau. Herrlich bedeutsam angefangen. Es war die Gegend von Ilmenau, von der Sturmhaide, und den, um und neben, und über ihr stehenden Gebirgköpfen, in dicken Gebirgsnebel verhüllt, wie dorten oft vorkommt, in dem nemlichen Moment aufs Blatt genommen, wenn eben der Nebel anfängt, sich zertheilend absondernd in Wolken zu verdichten, diese sich von einander trennen, und zwischen ihnen in den nun sichtbaren Plätzen die Köpfe der Fichten bewachsenen Berge, nur dünn noch verschleyert, schon durchschimmern, und der hiermit schon wirkende Lichtstrahl, sich merkbar macht, ob er gleich voll und frey, noch nicht durchbrechen kann; des Gemähldes Original sah ich nie fertig, aber eine vollendete Copie davon, sah ich mehrere Jahre später, als die Erfüllung dieser wahr prophetischen Darstellung, weit umher schon wohlthätigst gefühlt wurde.

Und es waren noch manche andere Zeichen reinsten Edelsinns, entschiedener Klugheit zwischen allen, oft auch argen Lustigkeiten, des freundschaftlich leitenden Genius, in dem kurzen, und oft wildrigen Zusammenseyn mit ihm zu bemerken gewesen.

Zitierhinweis

Online-Edition:
BuG I, BuG01_A_0660 (Ernst Grumach/Renate Grumach), in: https://goethe-biographica.de/id/BuG01_A_0660.

Entspricht Druck:
BuG I, S. 445 (Ernst Grumach/Renate Grumach).

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