BuG:BuG I, A 360
Frankfurt 11. 12. 1774

Dichtung und Wahrheit XV (WA I 28, 315)

Frankfurt 11. 12. 1774

Als ich nun einst in dieser Epoche und so beschäftigt, bei gesperrtem Lichte in meinem Zimmer saß, dem wenigstens der Schein einer Künstlerwerkstatt hierdurch verliehen war, überdieß auch die Wände mit halbfertigen Arbeiten besteckt und behangen das Vorurtheil einer großen Thätigkeit gaben, so trat ein wohlgebildeter schlanker Mann bei mir ein, den ich zuerst in der Halbdämmerung für Fritz Jacobi hielt, bald aber meinen Irrthum erkennend als einen Fremden begrüßte. An seinem freien anständigen Betragen war eine gewisse militärische Haltung nicht zu verkennen. Er nannte mir seinen Namen von Knebel, und aus einer kurzen Eröffnung vernahm ich, daß er, im preußischen Dienste, bei einem längern Aufenthalt in Berlin und Potsdam, mit den dortigen Literatoren und der deutschen Literatur überhaupt ein gutes und thätiges Verhältniß angeknüpft habe. An Ramlern hatte er sich vorzüglich gehalten und dessen Art, Gedichte zu recitiren, angenommen. Auch war er genau mit allem bekannt, was Götz geschrieben, der unter den Deutschen damals noch keinen Namen hatte. Durch seine Veranstaltung war die Mädcheninsel dieses Dichters in Potsdam abgedruckt worden und sogar dem König in die Hände gekommen, welcher sich günstig darüber geäußert haben soll.

Kaum hatten wir diese allgemein deutschen literarischen Gegenstände durchgesprochen, als ich zu meinem Vergnügen erfuhr, daß er gegenwärtig in Weimar angestellt und zwar dem Prinzen Constantin zum Begleiter bestimmt sei. Von den dortigen Verhältnissen hatte ich schon manches Günstige vernommen ... Wie ich mich nun, gleichsam als ein alter Bekannter, nach diesen Personen und Gegenständen erkundigte und den Wunsch äußerte, mit den dortigen Verhältnissen näher bekannt zu sein, so versetzte der Ankömmling gar freundlich: es sei nichts leichter als dieses, denn so eben lange der Erbprinz mit seinem Herrn Bruder, dem Prinzen Constantin, in Frankfurt an, welche mich zu sprechen und zu kennen wünschten. Ich zeigte sogleich die größte Bereitwilligkeit ihnen aufzuwarten, und der neue Freund versetzte, daß ich damit nicht säumen solle, weil der Aufenthalt nicht lange dauern werde. Um mich hiezu anzuschicken, führte ich ihn zu meinen Eltern, die über seine Ankunft und Botschaft höchst verwundert, mit ihm sich ganz vergnüglich unterhielten.

Ungenannt über Knebel (Schriftsteller 1, 325)

Frankfurt 11. 12. 1774

In Frankfurt suchte er [Knebel] Goethe auf, dessen persönliche Bekanntschaft er lange gewünscht hatte, und ward dadurch die Veranlassung, daß Goethe mit dem nachmaligen Großherzog von Weimar bekannt wurde. Merkwürdig ist, daß ihm Goethe schon damals eine der letzten Scenen des „Faust“ vorlas (1774) und die ersten Scenen gar noch nicht vorhanden waren.

Dichtung und Wahrheit XV (WA I 28, 317)

Frankfurt 11. 12. 1774

Ich eilte nunmehr mit demselben zu den jungen Fürsten, die mich sehr frei und freundlich empfingen, so wie auch der Führer des Erbprinzen, Graf Görtz, mich nicht ungern zu sehen schien. Ob es nun gleich an literarischer Unterhaltung nicht fehlte, so machte doch ein Zufall die beste Einleitung, daß sie gar bald bedeutend und fruchtbar werden konnte.

Es lagen nämlich Mösers patriotische Phantasien und zwar der erste Theil, frisch geheftet und unaufgeschnitten, auf dem Tische. Da ich sie nun sehr gut, die Gesellschaft sie aber wenig kannte, so hatte ich den Vortheil, davon eine ausführliche Relation liefern zu können; und hier fand sich der schicklichste Anlaß zu einem Gespräch mit einem jungen Fürsten, der den besten Willen und den festen Vorsatz hatte, an seiner Stelle entschieden Gutes zu wirken ...

Bei dieser Gelegenheit kam manches auf’s Tapet, was den Unterschied der ober- und niedersächsischen Staaten betraf, und wie sowohl die Naturproducte als die Sitten, Gesetze und Gewohnheiten sich von den frühesten Zeiten her anders gebildet und, nach der Regierungsform und der Religion, bald auf die eine bald auf die andere Weise gelenkt hatten. Man versuchte die Unterschiede von beiden etwas genauer herauszusetzen, und es zeigte sich gerade daran, wie vortheilhaft es sei, ein gutes Muster vor sich zu haben, welches, wenn man nicht dessen Einzelnheiten, sondern die Methode betrachtet, nach welcher es angelegt ist, auf die verschiedensten Fälle angewendet und eben dadurch dem Urtheil höchst ersprießlich werden kann.

Bei Tafel wurden diese Gespräche fortgesetzt, und sie erregten für mich ein besseres Vorurtheil als ich vielleicht verdiente. Denn anstatt daß ich diejenigen Arbeiten, die ich selbst zu liefern vermochte, zum Gegenstand des Gesprächs gemacht, für das Schauspiel, für den Roman eine ungetheilte Aufmerksamkeit gefordert hätte, so schien ich vielmehr in Mösern solche Schriftsteller vorzuziehen, deren Talent aus dem thätigen Leben ausging und in dasselbe unmittelbar nützlich sogleich wieder zurückkehrte, während eigentlich poetische Arbeiten, die über dem Sittlichen und Sinnlichen schweben, erst durch einen Umschweif und gleichsam nur zufällig nützen können. Bei diesen Gesprächen ging es nun wie bei den Mährchen der tausend und einen Nacht: es schob sich eine bedeutende Materie in und über die andere, manches Thema klang nur an, ohne daß man es hätte verfolgen können: und so ward, weil der Aufenthalt der jungen Herrschaften in Frankfurt nur kurz sein konnte, mir das Versprechen abgenommen, daß ich nach Mainz folgen und dort einige Tage zubringen sollte, welches ich denn herzlich gern ablegte und mit dieser vergnügten Nachricht nach Hause eilte, um solche meinen Eltern mitzutheilen.

Carl August an Wieland, um Neujahr 1775 (Bojanowski S. 63)

Frankfurt 11. 12. 1774

J’ai fait la connaissance de Goethe, qui vous estime fort.

F. v. Gebler an Nicolai 27. 12. 1775 (R. M. Werner S. 74)

Frankfurt 11. 12. 1774

Von einem gewissen Souppee zu Frankfurt am Mayn, wozu der Herzog von Wejmar Göthen eingeladen, eben um ihn wieder zu Wielands Freunde zu machen, habe ich wohl gehöret.

Graf Görtz an seine Frau 13. 12. 1774 (StG 8, 85)

Frankfurt 11. 12. 1774

Sag’ tausend und tausend Grüße dem Freunde Wieland. Sag’ ihm, daß wir Goethe in Frankfurt gesprochen haben, daß er begeistert für ihn ist, daß er sein Unrecht eingesteht, aber meint: diese schwachen Augenblicke rissen ihn zuweilen mit, und dann könne er die Neckerei nicht lassen.

Dichtung und Wahrheit XV (WA I 28, 320)

Frankfurt 11. 12. 1774

Meinem Vater wollte es jedoch keineswegs gefallen: denn nach seinen reichsbürgerlichen Gesinnungen hatte er sich jederzeit von den Großen entfernt gehalten, und obgleich mit den Geschäftsträgern der umliegenden Fürsten und Herren in Verbindung, stand er doch keineswegs in persönlichen Verhältnissen zu ihnen; ja es gehörten die Höfe unter die Gegenstände, worüber er zu scherzen pflegte, auch wohl gern sah, wenn man ihm etwas entgegensetzte, nur mußte man sich dabei, nach seinem Bedünken, geistreich und witzig verhalten. Hatten wir ihm das Procul a Jove procul a fulmine gelten lassen, doch aber bemerkt, daß bei’m Blitze nicht sowohl vom Woher als vom Wohin die Rede sei, so brachte er das alte Sprüchlein, mit großen Herren sei Kirschessen nicht gut, auf die Bahn. Wir erwiderten, es sei noch schlimmer, mit genäschigen Leuten aus Einem Korbe speisen. Das wollte er nicht läugnen, hatte aber schnell einen andern Spruchreim zur Hand, der uns in Verlegenheit setzen sollte ...

Mein Vater ... pflegte gewöhnlich sein stärkstes Argument bis zum Schlusse der Unterhaltung aufzusparen, da er denn Voltaires Abenteuer mit Friedrich dem Zweiten umständlich ausmahlte: wie die übergroße Gunst, die Familiarität, die wechselseitigen Verbindlichkeiten auf einmal aufgehoben und verschwunden, und wir das Schauspiel erlebt, daß jener außerordentliche Dichter und Schriftsteller, durch Frankfurter Stadtsoldaten, auf Requisition des Residenten Freytag und nach Befehl des Burgemeisters von Fichard, arretirt und eine ziemliche Zeit im Gasthof zur Rose auf der Zeil gefänglich angehalten worden. Hierauf hätte sich zwar manches einwenden lassen, unter andern, daß Voltaire selbst nicht ohne Schuld gewesen; aber wir gaben uns aus kindlicher Achtung jedesmal gefangen.

Da nun auch bei dieser Gelegenheit auf solche und ähnliche Dinge angespielt wurde, so wußte ich kaum, wie ich mich benehmen sollte: denn er warnte mich unbewunden und behauptete, die Einladung sei nur, um mich in eine Falle zu locken, und wegen jenes gegen den begünstigten Wieland verübten Muthwillens Rache an mir zu nehmen. Wie sehr ich nun auch vom Gegentheil überzeugt war, indem ich nur allzu deutlich sah, daß eine vorgefaßte Meinung, durch hypochondrische Traumbilder aufgeregt, den würdigen Mann beängstige, so wollte ich gleichwohl nicht gerade wider seine Überzeugung handeln, und konnte doch auch keinen Vorwand finden, unter dem ich, ohne undankbar und unartig zu erscheinen, mein Versprechen wieder zurücknehmen durfte. Leider war unsere Freundin von Klettenberg bettlägrig, auf die wir in ähnlichen Fällen uns zu berufen pflegten. An ihr und meiner Mutter hatte ich zwei vortreffliche Begleiterinnen; ich nannte sie nur immer Rath und That: denn wenn jene einen heitern ja seligen Blick über die irdischen Dinge warf, so entwirrte sich vor ihr gar leicht was uns andere Erdenkinder verwirrte, und sie wußte den rechten Weg gewöhnlich anzudeuten, eben weil sie in’s Labyrinth von oben herabsah und nicht selbst darin befangen war; hatte man sich aber entschieden, so konnte man sich auf die Bereitwilligkeit und auf die Thatkraft meiner Mutter verlassen. Wie jener das Schauen, so kam dieser der Glaube zu Hülfe, und weil sie in allen Fällen ihre Heiterkeit behielt, fehlte es ihr auch niemals an Hülfsmitteln, das Vorgesetzte oder Gewünschte zu bewerkstelligen. Gegenwärtig wurde sie nun an die kranke Freundin abgesendet, um deren Gutachten einzuholen, und da dieses für meine Seite günstig ausfiel, sodann ersucht, die Einwilligung des Vaters zu erlangen, der denn auch, obgleich ungläubig und ungern, nachgab.

Zitierhinweis

Online-Edition:
BuG I, BuG01_A_0360 (Ernst Grumach/Renate Grumach), in: https://goethe-biographica.de/id/BuG01_A_0360.

Entspricht Druck:
BuG I, S. 302 f. (Ernst Grumach/Renate Grumach).

Zurück zum Seitenanfang