BuG:BuG I, A 294
Frankfurt Sommer 1774

Dichtung und Wahrheit XV (WA I 28, 349)

Frankfurt Sommer 1774

Durch solche und andere geistreiche Scherze ward unser wunderliches Mariage-Spiel wo nicht zum Stadt-, doch zum Familien-Mährchen, das den Müttern unserer Schönen gar nicht unangenehm in die Ohren klang. Auch meiner Mutter war ein solcher Zufall nicht zuwider: sie begünstigte schon früher das Frauenzimmer [Susanne Magdalene Münch], mit dem ich in ein so seltsames Verhältniß gekommen war, und mochte ihr zutrauen, daß sie eine eben so gute Schwiegertochter als Gattin werden könnte ... Ob ich ihr diesen Plan nur unterlege, oder ob sie ihn deutlich, vielleicht mit der seligen Freundin, entworfen, möchte ich nicht entscheiden: genug, ihre Handlungen schienen auf einen bedachten Vorsatz gegründet. Denn ich hatte manchmal zu vernehmen, unser Familienkreis sei nach Verheirathung Corneliens doch gar zu eng; man wollte finden, daß mir eine Schwester, der Mutter eine Gehülfin, dem Vater ein Lehrling abgehe; und bei diesen Reden blieb es nicht. Es ergab sich wie von ungefähr, daß meine Eltern jenem Frauenzimmer auf einem Spaziergang begegneten, sie in den Garten einluden und sich mit ihr längere Zeit unterhielten. Hierüber ward nun bei’m Abendtische gescherzt, und mit einem gewissen Behagen bemerkt, daß sie dem Vater wohlgefallen, indem sie die Haupt-Eigenschaften, die er als ein Kenner von einem Frauenzimmer fordere, sämmtlich besitze.

Hierauf ward im ersten Stock eins und das andere veranstaltet, eben als wenn man Gäste zu erwarten habe, das Leinwandgeräthe gemustert, und auch an einigen bisher vernachlässigten Hausrath gedacht. Da überraschte ich nun einst meine Mutter, als sie in einer Bodenkammer die alten Wiegen betrachtete, worunter eine übergroße von Nußbaum, mit Elfenbein und Ebenholz eingelegt, die mich ehmals geschwenkt hatte, besonders hervorstach. Sie schien nicht ganz zufrieden, als ich ihr bemerkte, daß solche Schaukelkasten nunmehr völlig aus der Mode seien, und daß man die Kinder mit freien Gliedern in einem artigen Körbchen, an einem Bande über die Schulter, wie andre kurze Waare, zur Schau trage.

Genug, dergleichen Vorboten zu erneuernder Häuslichkeit zeigten sich öfter, und da ich mich dabei ganz leidend verhielt, so verbreitete sich, durch den Gedanken an einen Zustand der für’s Leben dauern sollte, ein solcher Friede über unser Haus und dessen Bewohner, dergleichen es lange nicht genossen hatte.

J. J. Bodmer an Schinz 4. 9. 1774 (GJb 5, 186)

Frankfurt Sommer 1774

Izt hat Passavant mir Göthen en beau geschildert. Er sey nur denen gefährlich, denen er nicht wolwollte. Sonst von mächtigem Feuer; er könne sich in die Person und Situation versezen, in welche er wolle, und denn schreibe er fremde und nicht seine Meinungen. Er ist nicht professor, sondern ein Jurist, der praktizirt. Der Roman sey unter der Presse, betittelt die Leiden. Ein Trauerspiel [Clavigo] soll auch von ihm kommen. Man fürchtet, sein Feuer werde ihn verzehren. Er hat erst 25 od. 26 Jahre. Er hat im Sinn in Italien zu reisen.

Zitierhinweis

Online-Edition:
BuG I, BuG01_A_0294 (Ernst Grumach/Renate Grumach), in: https://goethe-biographica.de/id/BuG01_A_0294.

Entspricht Druck:
BuG I, S. 255 f. (Ernst Grumach/Renate Grumach).

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