BuG:BuG I, A 49
Leipzig Mitte Okt. 1765

Dichtung und Wahrheit VI (WA I 27, 49)

Leipzig Mitte Okt. 1765

Nun eilte ich mit meinem Empfehlungsschreiben zu Hofrath Böhme, der, ein Zögling von Maskow, nunmehr sein Nachfolger, Geschichte und Staatsrecht lehrte. Ein kleiner, untersetzter, lebhafter Mann empfing mich freundlich genug und stellte mich seiner Gattin vor. Beide so wie die übrigen Personen, denen ich aufwartete, gaben mir die beste Hoffnung wegen meines künftigen Aufenthalts; doch ließ ich mich anfangs gegen niemand merken, was ich im Schilde führte; ob ich gleich den schicklichen Moment kaum erwarten konnte, wo ich mich von der Jurisprudenz frei und dem Studium der Alten verbunden erklären wollte. Vorsichtig wartete ich ab, bis Fleischers wieder abgereis’t waren, damit mein Vorsatz nicht allzugeschwind den Meinigen verrathen würde. Sodann aber ging ich ohne Anstand zu Hofrath Böhmen, dem ich vor allen die Sache glaubte vertrauen zu müssen, und erklärte ihm, mit vieler Consequenz und Parrhesie, meine Absicht. Allein ich fand keineswegs eine gute Aufnahme meines Vortrags. Als Historiker und Staatsrechtler hatte er einen erklärten Haß gegen alles was nach schönen Wissenschaften schmeckte. Unglücklicher Weise stand er mit denen, welche sie cultivirten, nicht im besten Vernehmen, und Gellerten besonders, für den ich, ungeschickt genug, viel Zutrauen geäußert hatte, konnte er nun gar nicht leiden. Jenen Männern also einen treuen Zuhörer zuzuweisen, sich selbst aber einen zu entziehen, und noch dazu unter solchen Umständen, schien ihm ganz und gar unzulässig. Er hielt mir daher aus dem Stegreif eine gewaltige Strafpredigt, worin er betheuerte, daß er ohne Erlaubniß meiner Eltern einen solchen Schritt nicht zugeben könne, wenn er ihn auch, wie hier der Fall nicht sei, selbst billigte. Er verunglimpfte darauf leidenschaftlich Philologie und Sprachstudien, noch mehr aber die poetischen Übungen, die ich freilich im Hintergrunde hatte durchblicken lassen. Er schloß zuletzt, daß wenn ich ja dem Studium der Alten mich nähern wolle, solches viel besser auf dem Wege der Jurisprudenz geschehen könne. Er brachte mir so manchen eleganten Juristen, Eberhard Otto und Heineccius, in’s Gedächtniß, versprach mir von den Römischen Alterthümern und der Rechtsgeschichte goldene Berge, und zeigte mir sonnenklar, daß ich hier nicht einmal einen Umweg mache, wenn ich auch späterhin noch jenen Vorsatz, nach reiferer Überlegung und mit Zustimmung meiner Eltern, auszuführen gedächte. Er ersuchte mich freundlich, die Sache nochmals zu überlegen und ihm meine Gesinnungen bald zu eröffnen, weil es nöthig sei, wegen bevorstehenden Anfangs der Collegien, sich zunächst zu entschließen.

Es war noch ganz artig von ihm, nicht auf der Stelle in mich zu dringen. Seine Argumente und das Gewicht, womit er sie vortrug, hatten meine biegsame Jugend schon überzeugt, und ich sah nun erst die Schwierigkeiten und Bedenklichkeiten einer Sache, die ich mir im Stillen so thulich ausgebildet hatte.

Dichtung und Wahrheit VI (WA I 27, 52)

Leipzig Mitte Okt. 1765

Frau Hofrath Böhme ließ mich kurz darauf zu sich einladen. Ich fand sie allein. Sie war nicht mehr jung und sehr kränklich, unendlich sanft und zart, und machte gegen ihren Mann, dessen Gutmüthigkeit sogar polterte, einen entschiedenen Contrast. Sie brachte mich auf das von ihrem Manne neulich geführte Gespräch, und stellte mir die Sache nochmals so freundlich, liebevoll und verständig im ganzen Umfange vor, daß ich mich nicht enthalten konnte nachzugeben; die wenigen Reservationen, auf denen ich bestand, wurden von jener Seite denn auch bewilligt.

Der Gemahl regulirte darauf meine Stunden: da sollte ich denn Philosophie, Rechtsgeschichte und Institutionen und noch einiges andere hören. Ich ließ mir das gefallen; doch setzte ich durch, Gellerts Literar-Geschichte über Stockhausen, und außerdem sein Practicum zu frequentiren.

Zitierhinweis

Online-Edition:
BuG I, BuG01_A_0049 (Ernst Grumach/Renate Grumach), in: https://goethe-biographica.de/id/BuG01_A_0049.

Entspricht Druck:
BuG I, S. 65 f. (Ernst Grumach/Renate Grumach).

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