BuG: BuG II, A 754
Genf - St. Gotthard - Luzern 9. 11. 1779

Tagebuch 9. 11. 1779 (WA III 1, 102)

Siders, Inden, Leukerbad 9. 11. 1779

Bey Zeiten aus Siders mit ♃ allein. nach dem Leucker Bad. schöne Aussicht ins Wallis, beschweerlicher Weeg ... Besonders trefflicher Anblick nach Inden hinein. bösen Felsgang. Ruhige Laage. das Baad – Gang gegen die Gemmi. Zurück gute Wirths leute Essen Gespräch geschrieben pp.

Carl August, Tagebuch 9. 11. 1779 (Funde und Forschungen S. 184)

Siders, Inden, Leukerbad 9. 11. 1779

NB. Von Sion hinauf zu, ist die deutsche der Walliser Muttersprache. Um 9 Uhr fort, u. so langsam gegangen, u. aufgehalten, daß wir erst um 3 Uhr im Leuckerbad ankamen, welches nur 5 St. von Seiders entfernt ist. Bey Seyders, wie auch in u. um Sitten hat die Überschwemmung dieses, zumahl voriges Jahr entsetzliche Verwüstungen angerichtet. Bei Seyders sind zwey Zwingherrnschlößer. Der Oberste u. Obrist Lieut: von Curt, von den Schweitzer Regiment in Frankreich gleiches Nahmens wohnen in der Stadt. Göthe u. ich zu Fuß, der Wedel blieb in Seyders, weil in Leuck die Pferde kein Futter haben. Mir war es recht, daß er seine unvernünftige Krankheit im Gasthof außschwitzen konte, ohne daß wir etwas davon merkten. Der Weg geht einen hohen Berg hinauf, bey einen steilen Abgrund wieder hinunter, doch mit Lehne, endl. über Matten. Der Schluchter, durch den das Waßer von Leuck abfließt, und welcher rechts vom Wege bleibt, ist auserordentl. intereßant. Ein Bauer mit einen Saumpferd gab uns Nachricht, daß in einen Dorfe man Vermuthungen gehabt hätte, daß wir Spitzbuben wären, weil vorgestern in einen Dorfe eingebrochen ist worden, konte aber nicht erfahren, wie sie diese Ideen combinirten. In einen Dorfe am Giebel eines Gemeinde Hauses war ein Wolf aufgehenckt, sie thun es hier statt die Haut zu verkaufen. Es giebt in dieser Gegend viel Wölfe u. Bären. In Leuckerbad bey einen sehr braven, äuserst honet dienstfertigen Manne eingekehrt, mit Nahmen Braun. Die Frau ist seit gestern in Wochen. Wir in einen kleinen ausgetäfelten Stübchen, kaum 6 Schu hoch, ein, bis 22 Schu lang, u. kaum 11 breit, ein niedrig Fensterchen, welches gar hübsche Erleuchtung gab. Wir gingen biß an den Fuß des Gemmi Bergs, wo der Weg auß den Canton Bern herüber komt; wir stiegen von unsern Hauß ¾ St. biß an den Fuß des Bergs. Der Weg geht unglaublich durch Felsen, gefährlich. Das Bad ist warm. Das Waßer äuserst rein, macht keinen Anschuß. Hat 2 od. 3 Quellen. Ohne Geruch. Wir wolten baden, ward aber nichts daraus. Von der Gemmi verunglücken zuweilen Menschen, u. Vieh. Der Weg wird mit Maulthieren gemacht. Unser führer, des Seidereswirths Bruder, ein Tischler aus Maintz ist daneben gestanden, wie eine Lauine seinen Camerad vor ihm den Berg hinab tod gestürtz hat. Gut gegeßen. Der Wein würckt auf Hermannen starck. Göthe hat eine hübsche Idee von Entstehung der breiten Thäler wie Wallis, Chamounix u.d.g.; er mejnt nehmlich daß sie sonst enge Schluchter gewesen sind, in erstaunlich langer Zeit aber, durch die Waßer immer nach u. nach zugefüllt worden, u. daher dadurch, daß sie zwischen den Bergen höher gekommen, u. sich den außeinanderstehen derselben mehr genähert haben, die Breite erlangt haben. An den meisten Felßbergen, zu mahl hier, sieht man es deutlich, indem unter denselben Berge von guter Erde aufgeführt sind, welche von ihnen ist abgespült worden, u. sie stehen kahl. Hinter den Bad ist das Thal gantz von Felßen, Schneebergen und einen Gletscher zugeschloßen. bey Sonnenuntergang viel Nebel, auf den Bergen etwas Schnee, schön Wetter. Sehr früh zu Bett.

Briefe aus der Schweiz II (WA I 19, 266)

Siders, Inden, Leukerbad 9. 11. 1779

Der Graf [Carl August] wird mit mir links in’s Gebirg nach dem Leukerbad zu gehen, der Freund [v. Wedel] indessen die Pferde hier [Siders] erwarten und uns morgen in Leuk wieder antreffen. Leukerbad ... In einem kleinen breternen Haus, wo wir von sehr braven Leuten gar freundlich aufgenommen worden, sitzen wir in einer schmalen und niedrigen Stube, und ich will sehen, wie viel von unserer heutigen sehr interessanten Tour durch Worte mitzutheilen ist. Von Seyters stiegen wir heute früh drei Stunden lang einen Berg herauf, nachdem wir vorher große Verwüstungen der Bergwasser unterwegs angetroffen hatten ... Wir hatten einen grauen Tag mit abwechselnden Sonnenblicken ...

Wir sahen, als wir um eine Ecke herumkamen und bei einem Heiligenstock ausruhten, unter uns am Ende einer schönen grünen Matte, die an einem ungeheuren Felsschlund herging, das Dorf Inden mit einer weißen Kirche ganz am Hange des Felsens in der Mitte von der Landschaft liegen ... Der Weg nach Inden ist in die steile Felswand gehauen ... Ein Kerl, der mit einem Maulesel neben uns hinab stieg, faßte sein Thier, wenn es an gefährliche Stellen kam, bei’m Schweife, um ihm einige Hülfe zu geben, wenn es gar zu steil vor sich hinunter in den Felsen hinein mußte. Endlich kamen wir in Inden an, und da unser Bote wohl bekannt war, so fiel es uns leicht, von einer willigen Frau ein gut Glas rothen Wein und Brot zu erhalten, da sie eigentlich in dieser Gegend keine Wirthshäuser haben. Nun ging es die hohe Schlucht hinter Inden hinauf ... Es war gegen Drei als wir [in Leukerbad] ankamen; unser Führer schaffte uns bald Quartier ... Unsere Wirthin liegt seit gestern in den Wochen, und ihr Mann macht mit einer alten Mutter und der Magd ganz artig die Ehre des Hauses. Wir bestellten etwas zu essen und ließen uns die warmen Quellen zeigen, die an verschiedenen Orten sehr stark aus der Erde hervorkommen und reinlich eingefaßt sind. Außer dem Dorfe, gegen das Gebirg zu, sollen noch einige stärkere sein. Es hat dieses Wasser nicht den mindesten schwefelichten Geruch, setzt wo es quillt und wo es durchfließt nicht den mindesten Oker noch sonst irgend etwas Mineralisches oder Irdisches an, sondern läßt wie ein anderes reines Wasser keine Spur zurück. Es ist, wenn es aus der Erde kommt, sehr heiß und wegen seiner guten Kräfte berühmt. Wir hatten noch Zeit zu einem Spaziergang gegen den Fuß des Gemmi, der uns ganz nah zu liegen schien .... Als wir vom Fuß des Gemmiberges zurückkamen, sahen wir, aus der Schlucht von Inden herauf, leichte Nebelwolken sich mit großer Schnelligkeit bewegen. Sie wechselten bald rückwärts bald vorwärts, und kamen endlich aufsteigend dem Leukerbad so nah, daß wir wohl sahen, wir mußten unsere Schritte verdoppeln, um bei hereinbrechender Nacht nicht in Wolken eingewickelt zu werden. Wir kamen auch glücklich zu Hause an, und während ich dieses hinschreibe, legen sich wirklich die Wolken ganz ernstlich in einen kleinen artigen Schnee aus einander.

Zitierhinweis

Online-Edition:
BuG II, BuG02_A_0754 (Ernst Grumach/Renate Grumach), in: https://goethe-biographica.de/id/BuG02_A_0754.

Entspricht Druck:
BuG II, S. 178 (Ernst Grumach/Renate Grumach).

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