BuG: BuG II, A 736
Lac de Joux - Nyon 26. 10. 1779

An Charlotte v. Stein 28. 10. 1779 (WA IV 4, 105)

Le Brassus, La Dôle, Saint-Cergue, Nyon 26. 10. 1779

Den 26ten ward beim Frühstük überlegt, welchen Weeg man zurük nehmen wolle? Da wir hörten dass die Dole, der höchste Gipfel des Jura nicht weit von dem obern Ende des Thals läge, da das Wetter sich auf das herrlichste anlies und wir hoffen konnten, was uns gestern noch gefehlt, heute vom Glük alles zu erlangen, so wurde dahin zu gehen beschlossen. Wir pakten einem Boten Käs, Butter Brod und Wein auf, und ritten gegen achte ab ... Der kahle Gipfel der Dole lag vor uns, wir stiegen ab und Wedel ging mit den Pferden auf der Strase voraus nach Sergues, und wir stiegen die Dole hinan ... Wenn wir, auszuruhen, uns umsahen, hatten wir les sept moncels hinter uns, wir sahen noch einen Theil des Lac des Rousses und um ihn die zerstreuten Häuser des Kirchspiels, der noir mont dekte uns das übrige ganze Thal, höher sahen wir wieder ungefehr die gestrige Aussicht in die franche comté und näher bei uns, gegen Mitag, die lezten Berge und Thäler des Jura. Sorgfältig hüteten wir uns, nicht durch einen Bug der Hügel uns nach der Gegend umzusehen, um derent willen wir eigentlich herauf stiegen ... Wir betraten endlich den obern Gipfel und sahen mit grösstem Vergnügen uns heute gegönnt, was uns gestern versagt war ... Wir sezten uns vor der kühlen Luft in Schuz hinter Felsen, liessen uns von der Sonne bescheinen, das Essen und Trinken schmekte treflich. Wir sahen dem Nebel zu, der sich nach und nach verzog, ieder entdekte etwas, oder glaubte was zu entdeken, wir sahen nach und nach Lausanne mit allen Gartenhäusern umher, Vevay und das Schloss von Chillon ganz deutlich ... Wendeten wir uns wieder links so lag das ganze Land von Lausanne biss Solothurn in leichtem Duft, die nähere Berge und Höhen, auch alles, was weise Häuser hatte, konnten wir erkennen, man zeigte uns das Schloss Chanvan blinken, das vom Neuburgersee links liegt, woraus wir seine Lage muthmassen, ihn aber in dem blauen Duft nicht erkennen konnten ...

Wir blieben und reizten einander wechselsweise Städte, Berge und Gegenden bald mit blossem Auge, bald mit dem Teleskop, zu entdeken und gingen nicht eher abwärts, als biss die Sonne im Weichen, den Nebel seinen Abendhauch über den See breiten lies. Wir kamen mit Sonnen Untergang auf die Ruinen des fort de St. Sergues. Auch näher am Thal, waren unsre Augen nur auf die Eisgebürge gegen über gerichtet. Die lezten, links im Oberland, schienen in einem leichten Feuerdampf aufzuschmelzen, die nächsten standen noch mit wohl bestimmten rothen Seiten gegen uns, nach und nach wurden iene weis-grün-graulich. Es sah fast ängstlich aus. Wie ein gewaltiger Körper von aussen gegen das Herz zu abstirbt, so erblassten alle langsam gegen den mont blanc zu, dessen weiter Busen noch immer roth herüber glänzte, und auch zulezt uns noch einen röthlichen Schein zu behalten schien ... Auch nun gingen wir ungern weg, die Pferde fanden wir in St. Sergues, und dass nichts fehle, stieg der Mond auf und leuchtete uns nach Nion, wo unter Weegs unsere gespannten Sinnen sich wieder lieblich falten konnten, wieder freundlich wurden und mit frischer Lust aus den Fenstern des Wirthshausses den breitschwimmenden Wiederglanz des Monds im ganz reinen See geniesen konnten.

Zitierhinweis

Online-Edition:
BuG II, BuG02_A_0736 (Ernst Grumach/Renate Grumach), in: https://goethe-biographica.de/id/BuG02_A_0736.

Entspricht Druck:
BuG II, S. 163 f. (Ernst Grumach/Renate Grumach).

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