BuG: BuG II, A 725
Biel - Bern 8./15. 10. 1779

Carl August an Herzogin Luise 16. 10. 1779 (JbGG 11, 114)

Thun, Grindelwald, Bern 8./15. 10. 1779

Seit gestern Mittag sind wir wieder hier [Bern] ... Die erste Gletscher Reise ist vollbracht, die Ordnung derselben war folgende. Wir strichen nach empfangenen Mittagsmahl von hier ab, u. ritten nach Thun. Hier wurde übernachtet; den andern morgen darauf setzten wir uns bey regnigten Wetter auf ein verdeckt Schiff, u. fuhren über den Thuner See. Unsere Pferde blieben zu Thun. Wir stiegen am Ende des Sees, weil er uns auf den Lande nicht mehr schwimmen laßen konte, aus; Und gingen biß Untersewen zu Fuß; hier ward ein schmaler 4 raddrigter Karn gemiethet, u. uns, nebst der bagage darauf gelegt, bald aber wieder abgestiegen, u. zu Fuß biß Lauterbrunn gegangen; An den Ufern der Lutschene geht der Weg, in einen nicht gantz schlechten Thal. Wir kamen endl. nach Lauterbrunn, kehrten wie gewöhnlich bey den Pfarrer ein, u. besuchten sogleich den Staubbach. Er fällt 900 Schu hoch vor das Pfarrhaus Fenster hinunter ... Es war zu viel Regen u. Nebel, als daß wir die Gletscher hetten sehn können, ohngeachtet sie uns vor der Nase lagen. Den andern Tag ward der sogenannte Steinberg bey schönen Wetter bestiegen hier zeigten sich nun Gletscher u. Eisgebirge in Menge; 4 volle Stunden stiegen wir, u. endl. ward das Jungfernhorn, Lutschin Gletscher, u. Schingelhorn entdeckt u. erblickt. Der Anblick war auserordentl. groß. Wir fanden oben auch ein klein Teichelchen: hier aßen wir daß, was wir durch Bauern hatten hinauftragen laßen. 3 Stund stiegen wir wieder abwärts, u. wurden entsetzl. naß, kamen müd u. spät wieder nach Lauterbrunn. Den andern Tag gingen wir an den Ufern der Lutschene wieder zurück, biß an die zwey Lutschenebrücker, u. von da an den Ufern der Grindel hinauf nach Grindelwald. Hier besuchten wir gleich den Gletscher, aus welchen die Grindel entspringt, u. fanden Erdbeeren, welche in einen äuserst romantischen Erlenwäldchen neben den Eise wachsen ... Wir übernachteten hier, u. den andern Morgen gingen wir nach den obern Gletscher, von da über den Schindeckberg, im Schwartzwald. Aßen zu Mittag in einer Hütte, u. sahen rechts das Wellhorn, u. Englihorn; letzters ist zumahl interessant, u. den Roselauigletscher; von hier kamen wir auf eine Anhöhe, von welcher man das gantze Oberhaßlier Land übersehn kan. Wir schlugen uns lincks, u. sahen den himmlisch schönen Fall des Reichenbachs, deßen stürmischen Lauf wir gefolgt waren; dieses Flüßchen raucht ordentl. bey seinen Fall, u. benetz einen auf 200 Schritt. Von hier gingen wir über die Aar, welche hier durch enge Felsen geht, u. setzten unsern Weg durch das Fürchterlichst gröste Thal, daß mir jeh vorgekommen, unsern weg biß Guth Tanne. Hier waren wir schlecht und kehrten den andern Tag zurück, nach den Oberhaßli, in das Örtchen Meyringen; wie schön hier es ist, kan ich nicht beschreiben, wir aßen hier; nach Tisch gings nach Brientz, an den schönsten See, den man sehn kan, welchen wir den andern Tag überfuhren, u. von da nach Thun, ebenfalls nach Passierung des Thuner Sees. Am Thuner See besuchten wir die Höhle des Heil. Beatus, eines der ersten Christen in der Schweitz. Sie ist äuserst Merckwürdig. Den andern Tag ging die Reise hierher.

Zitierhinweis

Online-Edition:
BuG II, BuG02_A_0725 (Ernst Grumach/Renate Grumach), in: https://goethe-biographica.de/id/BuG02_A_0725.

Entspricht Druck:
BuG II, S. 154 f. (Ernst Grumach/Renate Grumach).

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