BuG: BuG II, A 728
Bern 15./18. 10. 1779

Carl August an Herzogin Luise 18. 10. 1779 (*JbGG 11, 116)

Bern 15./18. 10. 1779

Den Nachmittag da wir angekommen waren, ward auf die Promenade gegangen, wo wenige Leute waren; überhaupt ist Bern jetz sehr leer, weil alles noch auf den Lande ist. Ich ging mit Wedeln spatzieren, u. begegneten Göthen, welcher mit des Schultheiß Sinners Sohne angestiegen kam. Dieser gesellte sich zu uns, führte uns auf die remparts, u. aß bey uns zu Nacht. Den andern Tag führte er uns ins Zeughauß, welches sehr merckwürdig ist, u. von da in das Hauß des äusern Standes. Dieser äusere Stand ist eine Geselschaft junger Leute, welche in einen eignen Hause zusammen kommen, u. alles daselbst thun, od. vielmehr vorstellen, was ihre Väter im Rathe thun. Es ist dieses eine politische Übung. Alle Jahre halten Sie einen Umzug in Schweitzer Tracht, welches wir gemahlt mitbringen werden ... Wir besahen ein Naturalien Cabinett. Darnach ward zu Hause gegeßen. Nach Tisch fuhren wir aufs Land zu einen ehmaligen Landvogt Tscharner mit Nahmen, ein Mann von vieler Weltkenntniß, wie es scheint. Den Abend zu Hauß. Gestern Früh fuhren wir nach Langenau zu Michel Schuppach den berühmten Artz. Dieser ist sehr merckwürdig. Er ist 72 Jahr alt, sehr dick, bonhomisch, u. erstaunlich ruhig. Er sprach nicht viel; sein Hauß liegt sehr schön. Seine Enckelinnen sind zieml. hübsch. Es war ein Chevallier Holborn mit seiner Schwester aus England bey ihm in der Cur. Es schienen gute Leute zu seyn, u. freuten sich in der Einsamkeit wieder Leute zu finden, mit denen sie sprechen konnten. Wir brachten einen zieml. lustigen Abend mit Ihnen zu, u. übernachteten daselbst, doch aber alleine, nehml. ohne der Engländerinn. Heute früh fuhren wir wieder herein ... Wir aßen allein, u. diesen Nachmittag ritten wir auf ein Erlachisches Guth mit Nahmen Hindelbanck. Es ist dort folgendes Merckwürdig. Der Bildhauer Nahl aus Caßel ward durch die Familie herberufen, den alten Erlach ein Grabmahl zu setzen. Er thats; sie aber verguldeten dieß Monument. Dieses verdroß ihm, u. er sagte, er wolte etwas machen, daß alle ihr Gold außstechen solte. Er thats indem er einer Pfarrers Frau von diesen Dorf einen Leichenstein, mit der größten Kunst machte. Es stellt die Frau vor, welche mit Ihren Leichenstein durchbricht u. unter demselben hervorkomt. Der Stein sieht auß als wäre er in drey Stücke zersprungen. Es ist sehr sonderbar. Wir kehrten bey einen schönen Abend zurück.

Zitierhinweis

Online-Edition:
BuG II, BuG02_A_0728 (Ernst Grumach/Renate Grumach), in: https://goethe-biographica.de/id/BuG02_A_0728.

Entspricht Druck:
BuG II, S. 156 f. (Ernst Grumach/Renate Grumach).

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