BuG: BuG II, A 705
Sesenheim 25. 9. 1779

An Charlotte v. Stein 28. 9. 1779 (WA IV 4, 66)

Sesenheim 25. 9. 1779

d. 25. Abends ritt ich etwas seitwärts nach Sessenheim ... und fand daselbst eine Famielie wie ich sie vor acht Jahren verlassen hatte beysammen, und wurde gar freundlich und gut aufgenommen ... Die Zweite Tochter vom Hause hatte mich ehmals geliebt schöner als ichs verdiente, und mehr als andre an die ich viel Leidenschafft und Treue verwendet habe, ich musste sie in einem Augenblick verlassen, wo es ihr fast das Leben kostete, sie ging leise drüber weg mir zu sagen was ihr von einer Kranckheit iener Zeit noch überbliebe, betrug sich allerliebst mit soviel herzlicher Freundschafft vom ersten Augenblick da ich ihr unerwartet auf der Schwelle ins Gesicht tratt, und wir mit den Nasen aneinander stiesen dass mir’s ganz wohl wurde. Nachsagen muss ich ihr dass sie auch nicht durch die leiseste Berührung irgend ein altes Gefühl in meiner Seele zu wecken unternahm. Sie führte mich in iede Laube, und da musst ich sizzen und so wars gut. Wir hatten den schönsten Vollmond. Ich erkundigte mich nach allem. Ein Nachbaar der uns sonst hatte künsteln helfen wurde herbeygerufen und bezeugt dass er noch vor acht Tagen nach mir gefragt hatte, der Barbir musste auch kommen, ich fand alte Lieder die ich gestifftet hatte, eine Kutsche die ich gemahlt hatte, wir erinnerten uns an manche Streiche iener guten Zeit, und ich fand mein Andencken so lebhaft unter ihnen als ob ich kaum ein halb Jahr weg wäre. Die Alten waren treuherzig man fand ich sey iünger geworden. Ich blieb die Nacht und schied den andern Morgen bey Sonnenaufgang, von freundlichen Gesichtern verabschiedet.

Biographische Einzelnheiten. Lenz (WA I 36, 230)

Sesenheim 25. 9. 1779

Ich besuchte auf dem Wege Fridericke Brion; finde sie wenig verändert, noch so gut, liebevoll, zutraulich wie sonst, gefaßt und selbstständig. Der größte Theil der Unterhaltung war über Lenzen. Dieser hatte sich nach meiner Abreise [August 1771] im Hause introducirt, von mir was nur möglich war zu erfahren gesucht, bis sie endlich dadurch daß er sich die größte Mühe gab meine Briefe zu sehen und zu erhaschen mißtrauisch geworden. Er hatte sich indessen nach seiner gewöhnlichen Weise verliebt in sie gestellt, weil er glaubte, das sei der einzige Weg hinter die Geheimnisse der Mädchen zu kommen; und da sie nunmehr gewarnt, scheu, seine Besuche ablehnt und sich mehr zurückzieht; so treibt er es bis zu den lächerlichsten Demonstrationen des Selbstmords, da man ihn denn für halbtoll erklären und nach der Stadt schaffen kann. Sie klärt mich über die Absicht auf, die er gehabt mir zu schaden und mich in der öffentlichen Meinung und sonst zu Grunde zu richten, weßhalb er denn auch damals die Farce gegen Wieland drucken lassen.

F. Laun nach H. Kruse (Morgenblatt 1840, Nr. 214, S. 854)

Sesenheim 25. 9. 1779

Sophie [Brion] erzählte ... Wie er ... das lezte Mal sie besucht, haben ihn die Eltern mit möglichster Unbefangenheit aufgenommen ...

Als Goethe seinen wahrscheinlich lezten Besuch in Sesenheim machte, kam er auf einem Leiterwagen von Drusenheim und sagte, daß er einen Freund in lezterem Orte gelassen. Auf die Aeußerung des Vaters Brion, warum er ihn denn nicht mitgebracht, kam heraus, daß es der Herzog gewesen. „Ja freilich,“ erwiderte Brion, „für einen Herzog ist mein Haus nicht.“ Goethe antwortete hierauf lachend: „O das (daß es der Herzog sey) hätte ich nicht gesagt.“

Zitierhinweis

Online-Edition:
BuG II, BuG02_A_0705 (Ernst Grumach/Renate Grumach), in: https://goethe-biographica.de/id/BuG02_A_0705.

Entspricht Druck:
BuG II, S. 145 f. (Ernst Grumach/Renate Grumach).

Zurück zum Seitenanfang