BuG: BuG II, A 400
Potsdam - Berlin - Potsdam 18. 5. 1778

Tagebuch 18. 5. 1778 (WA III 1, 67)

Berlin 18. 5. 1778

Arsenal Mittag zu Hause mit Wedeln. Visiten, Karschin. Elisium. Wegeli.

Anna Luise Karsch an Goethe 19. 5. 1778 (Aukt.-Kat. Stargardt 521, 27)

Berlin 18. 5. 1778

  Wann seh ich nun Dein antliz wieder   in dieser Königlichen Stadt   Du Deßen Geist so wenig Brüder   Ihm gleichgeschaffen hatt?
  noch kann ich nicht ganz ruhig werden   vom unmuth der mich übernahm   der alte Mann der mitt zwoo pferden   mich gestern hohlen kam   ist sonst der beste Mann auf Erden   giebt keiner Menschenseele Gram   sieht Seinem Weibe durch die finger   hatt friede mitt der ganzen wellt   und kränckt sich über nichts als daß Er sich nicht Jünger   zu machen weiß wenn Ihm ein Mädchen wolgefällt –   nie wust ich über Ihn zu klagen   zum ersten Mal verdroß michs gestern nur   Daß Er gutherzig mitt den wagen   Vor meine Thüre fuhr   denn da mußt ich von deiner Seitte   mitt diesen Manne nach der uhr   und ha daß ärgert mich noch heütte   Denn Er mitt Seinem Tulpenflor   Er konnte mir die freude nicht vergütten   Die ich Durch Ihn verlohr   Die ganze Monarchie der blüthen   Der Erste Schmausertisch Berlins   Sind mitt dem Glück nicht zu Vergleichen   Dich zu genießen wie die reichen   und Geizigen Ihr gold – laß mich diß Glück erreichen   noch einmahl, ich Verdiens –   Du solst, Du must mir nicht entweichen   mitt Deinem Herzog gutt und fein   bis wir zusamen brodt gebrochen   und Du bey wenig Mittelwein   mitt Einem wortte mir versprochen   mein außerlesner freund zu sein   Daß bist Du schon bey Deinen Ehren   ich aber möchts so gern recht laut   von Deinen Lippen hören   wie ohngefähr am Altar Eine braut   Die keinen zweifel hegt an des Geliebtten Treue   gern die Versichrung hören mag   Daß Er sich Ihrem Herzen weye   bis auff den leztten matten schlag   Des pulses der annizt vor lieb und wonne bebet –   Diß Gleichniß ist Ein wenig kühn –   so wahr als Deine Seele lebet   und Deinen ruhm Dir keine Zeitt entziehn   und mindern kann bis Erd und Himmel schwinden   so wahr wust ich mitt meinem Sinn   geschwind kein schicklichers zu finden   weill ich verliebt in Deine Seele bin.

Anna Luise Karsch an Gleim 27. 5. 1778 (Pröhle S. 77)

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Berlin 18. 5. 1778

Vor’s erste wolt ich Ihnen gern erzählen daß Göthe hier war, Sie wißen’s aber schon, ich hörtte Sein Hiersein als Er Vierundzwanzig Stunden zu Berlin war, denn der Bruder Vom Fürsten von Deßau wohnt nicht weitt von mir in Einem bekannten hause, ich ging Tages drauff in daß Logis der fremden Prinzen, ich wolte den göth überfallen, Er war ausgegangen, und ich schrieb am andern Morgen wieder meine gewohnheit im halbdrolligen Thon an Ihm, Er kam, laßen Sie sich’s meine Tochter sagen wie Er gekommen ist; uns gefiel er gut; Chodowieky’n auch, aber die andern Herrn sind gar nicht zufrieden mit ihm. Er machte keinem Dichter die Cour, ging nur bey Moses Mendelssohn bei Chodowieky bei Mahler Frisch bey seinen Landsman den Thonkünstler Andrä, und bey mich, hatte Sonntags schon kommen wollen, Andrä aber sagtte daß ich doch nicht zu finden wäre, schon in der Kirche sein möchtte, also blieb’s, Er ist Eines Tages bey Einem Baron auffm Concert gewesen, und da hatt Ihm die ganze Versammlung sehr Stolz gefunden, weill Er nicht bückerling und handkuß Vertheiltte, mann spricht daß Ihm der Kayser baronisiren wird, und daß Er alsdann Eine Gemahlin aus noblen Hause bekomt, ich frug ihn ob Er nicht auch das Vergnügen kosten wollte Vater zu sein; Er schien’s nicht weitt von sich zu werfen, Er ist ein großer Kinderfreund und eben dieser Zug läßt mich hoffen, daß Er auch ein gutter Ehemann werden wird und sicherlich noch Ein rechtt gutter Mensch ders einmahl bereuet was in seinen Werken etwan anstößig gewesen ist, Vielleicht kommt Er bald mitt Seinen Herzog allein auff längere Zeit her, beim abschied lies Er sich so was verlautten ich gab Ihm Ein Paar frische rosen und geschwind hub Er Einen Strohhalm vonn der Erd auf, band damit die rosen Zusammen, und stecktte Sie sich auff den huth, Er liebt die freymüthigen offenherzigen leutte, und mag’s gern haben wenn Er geliebt wird, daß gefällt Ihm beßer als hohes lob wieder Ein merkmahl Eines gutarttigen gemüths, Er scheint übrigens zum Hypochonder gebauet zu sein, ist kein Wunder, daß sind alle gutten Köpfe.

Caroline Luise Hempel an Gleim 27. 5. 1778 (Pröhle S. 78)

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Berlin 18. 5. 1778

Möchte Göthe, den ich so lieb habe, doch nur einen sichtbaren Theil dieses nie genug zu preisenden Herzens meines Gleim’s haben! Diesen Mangel verräth er noch bei aller seiner blendenden Größe und o! was könnte er sein, wenn er wollte; der Schrankenlose Kopf! der Crösus-Lucullus von dem feinsten Menschengefühl! Wenn Sie ihn hätten kommen sehen, unerwartet in unsre Thür treten, mit den Augen meine Mutter [Luise Karsch] suchen, mit seinen Augen ach! unaussprechlich reizend war die Cene. So kommt nur reuige Liebe zu Liebe ... Aber es war noch etwas süßer in seinem Wesen als das; doch wer kann noch sagen, was für Wesen? das weiß ich, daß in seinen großen hellen Augen der ganze Göthe strahlte, nicht der flammende, zugreifende, ungenügsame Göthe, der welcher Lotten Brot schneiden sah, der war’s ungefähr, nur daß sein Mund stumm blieb und Göthe stumm blieb bey Eintritt, beym Umarmen und einiger Wendung bis zum Sitze, da denn meine Mutter die erste Frage an ihn that. Ich hätte gar zu gern die Hand auf seine liebe Brust gelegt, ob nur sein Herz auch das geschlagen hätte, waß sein Seraphgleiches Stummsein verkündigte, aber der Mensch wirft so viel Respect aus seinen Augen, daß ich mich kaum traute, in seiner Gegenwart zu bleiben. Ich mußte ein paar Mal hinaus, lief aber geschwind wieder hinein, und da hört’ ich einmal, daß meine Mutter von Ihnen frug; er antwortete wieder seine Gewohnheit in dreyen Theilen darauf, und ich fühlt es das ihr Name sein Ohr tränkte, und das er gerne mehr von Ihnen gesprochen hätte, wenn bey einem Fest-Besuche die Reden nicht zur bloßen Cour wären ... Mama sagte zu Göthe, sie habe eine neugeborne Dichterin zur Enkellin, wie alt ist sie? vierzehn Wochen sagte sie „So laßen sie dieselbe Dichterin sein bis sie sprechen kann“ war das wohl menschenfreundlich von dem Unart?

Zitierhinweis

Online-Edition:
BuG II, BuG02_A_0400 (Ernst Grumach/Renate Grumach), in: https://goethe-biographica.de/id/BuG02_A_0400.

Entspricht Druck:
BuG II, S. 77 (Ernst Grumach/Renate Grumach).

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