BuG: BuG II, A 648
Weimar 30. 5./13. 7. 1779

Tagebuch 13. 7. 1779 (WA III 1, 87)

Weimar 30. 5./13. 7. 1779

Gute Würckung auf mich von Mercks Gegenwart, sie hat mir nichts verschoben, nur wenige dürre Schaalen abgestreifft und im alten Guten mich befestigt. Durch Erinnerung des Vergangnen und seine Vorstellungs Art, mir meine Handlungen in einem wunderbaaren Spiegel gezeigt. Da er der einzige Mensch ist der ganz erkennt was ich thu und wie ich’s thu, und es doch wieder anders sieht wie ich, von anderm Standort, so giebt das schöne Gewissheit.

Auch dünckt mich sey mein Stand mit Cronen fester und besser. Aber auch ausser dem Herzog ist niemand im Werden, die andern sind fertig wie Dresselpuppen, wo höchstens noch der Anstrich fehlt.

Merck, Reisetagebuch 13. 7. 1779 (Mercksche Familien-Ztschr. 18, 3)

Weimar 30. 5./13. 7. 1779

Bey Schwanensee erinnerte man sich der alten Partien, wie sie im ersten Jahr der Flucht des Propheten wären Schrittschuh gelauffen, hätten für schöne Rößgens L’dor den See kehren lassen, und so biß nach Mitternacht wie Gespenster einander auf den See begegnet wären, wie sie hatten Hütten geschlagen von ihren Wildschuren auf den See, und Feuer darin gehalten, und wies den Cammer-Präsidenten zu Hause im Schloß sehr gefrohren hätte.

Merck an Anna Amalia 2. 1. 1780 (Gräf2 S. 30)

Weimar 30. 5./13. 7. 1779

Bey seiner Ministerschafft in Weimar ist er mir vergangnen Sommer offt mit einer Trokenheit und Kälte begegnet, als ob ich aus seinem alten Freunde ein Subalterner Diener und ein Supplicant geworden wäre.

Merck an Wieland, Ende Jan. 1780 (Archiv 124, 275)

Weimar 30. 5./13. 7. 1779

Bey Euch den vorigen Sommer über [war] beynahe kein einziger reiner Ton zwischen mir und ihm ... Daraus ist aber zu ersehen ... daß wir uns alle in W[eimar] oder E[ttersburg] mit Dingen gehetzt haben, die nicht zu ändern sind, und was die Situation bei jedem Menschen vermag.

Hamann an Herder 17. 9. 1779 (Hamann-Briefwechsel 4, 111)

Weimar 30. 5./13. 7. 1779

Außer allen dem Guten, was Er [Graf Goertz] mir von Ihnen und meiner verehrungswürdigen Gevatterin [Caroline Herder] gesagt und von dem Statthalter in Erfurt [C. Th. v. Dalberg] und dem Kanzler zu Darmstadt [F. K. v. Moser] erhielt ich auch einige Winke über den Besuch des Virtuosen [Merck] – dem Sie so gut scheinen vorgebeugt zu haben – und von der Unzufriedenheit Ihrer beyden Nachbarn [Goethe und Wieland] mit ihm.

Merck an Anna Amalia 23. 6. 1780 (Gräf2 S. 55)

Weimar 30. 5./13. 7. 1779

Ich feyre nunmehr hier im Stillen alle gute Tage, die ich voriges Jahr in Ettersburg genossen habe, und genieße mit meinem Kalender in der Hand mancher herrlichen Erinnerung ... Die Scene in Dornburg werde ich morgen feyern, und ich wünschte, daß unser Herr Gott auch den Regen dazu geben wolte, den unsere Gärten und Felder so hoch bedürfen. Die kalte Morgen, die wir dieses Jahr so offt erlebt haben, haben mich zuweilen an die Hottelsburger Eke erinnert und an das immer brennende Camin des Herzogs und seines Herrn Geheimen Raths.

Merck, Reisetagebuch 13. 7. 1779 (Mercksche Familien-Ztschr. 18, 2)

Weimar 30. 5./13. 7. 1779

Er [Merck] hatte die fünf Wochen über sichs herzlich wohl sein lassen, und gegessen und getrunken, wie die Schrifft sagt, biß er satt ward. Es war ihm auch ein grausames Herz schuld gegeben, wie er so mit kaltem Blute, einige sagen mit innigem Vergnügen, einige Executionen mit beygewohnt, wie ein groser Künstler den Knechten übergeben, ein Gelehrter vom Ersten Range auf den Esel zu reiten kam, und nachher mit der Papiernen Krone eines Jupiters hinausgeführt, und verurtheilt wurde, seinen Verstand zu verlieren.

Merck an Carl August 18. 5. 1784 (Gräf2 S. 210)

Weimar 30. 5./13. 7. 1779

Ich bin auch eingeladen worden, bey dem Herrn Jacobi in Pempelfurt abzutretten, ob ich gleich lange in dem bösen Geruch gewesen bin, seiner Execution in Ettersburg beygewohnt zu haben.

Böttiger, Lit. Zustände 1, 20

Weimar 30. 5./13. 7.(?) 1779

[Wieland 12. 11. 1796] Er [Merck] war es, der in Ettersburg Jacobi’s Woldemar an einen Baum annagelte und ein Vogelschießen danach veranstaltete.

An Lavater 7. 5. 1781 (WA IV 5, 122)

Weimar 30. 5./13. 7.(?) 1779

Über Woldemars Kreuzerhöhungsgeschichte kan ich dir nichts sagen, das Facktum ist wahr, eigentlich ists eine verlegne und verjährte Albernheit die du am klügsten ignorirst ... Da du mich kennst solltest du dir’s in Ahndung erklären können. Der leichtsinnig trunckne Grimm, die muthwillige Herbigkeit, die das halb gute verfolgen, und besonders gegen den Geruch von Prätension wüthen, sind dir ia in mir zu wohl bekannt.

Sophie v. La Roche an Wieland 12. 9. 1779 (Wagner1 S. 180)

B2 195

Weimar 30. 5./13. 7.(?) 1779

Nun habe ich eine Angelegenheit, die ist, zu hören, wie viel an der Begebenheit mit Woldemar’s Briefen [von F. H. Jacobi] wahr ist oder nicht, daß unter einem Eichbaume zu Ettersburg etliche davon vorgelesen worden und dann Göthe auf den Baum stieg, eine geistvolle Standrede über das schlechte Buch hielt, und es endlich zur wohlverdienten Strafe und Andern zum abschreckenden Beispiele an beiden Enden der Decke an die Eiche nagelte, wo dann eine große Freude über die im Wind flatternden Blätter war.

Wieland an Sophie v. La Roche 21. 9. 1779 (Zoeppritz 2, 175)

Weimar 30. 5./13. 7.(?) 1779

Sie wollen von mir wissen, was an der Begebenheit mit Woldemars Briefen wahr ist oder nicht, nehmlich

„daß unter einer Eiche zu Ettersburg etliche davon vorgelesen worden und dann Göthe auf den Baum gestiegen, eine geistvolle Standrede über das schlechte Buch gehalten, und es endlich zur wohlverdienten Strafe und andren zum abschreckenden Beyspiel an beyden Enden der Decke an die Eiche genagelt, wo dann eine große Freude über die im Wind flatternden Blätter gewesen.“

Ich will Ihnen hierauf die wahrhafteste Antwort geben, die ich geben kann:

„Ich weiß nicht was hieran wahr ist, denn ich war nicht zu Ettersburg, war nicht gegenwärtig, als diese Büberey vorgegangen sein soll.“

Wäre ich zugegen gewesen, so ist 10 gegen 1 zu setzen, daß es so weit nicht gekommen wäre. Indessen gesteh ich Ihnen, daß ich zu Weimar im Publico ein paar Tage nachher, als sich jene Begebenheit zugetragen haben soll, davon reden gehört, und von Leuten, die sich einbildeten, ich müsse auch dabei gewesen seyn, gefragt worden, ob es wahr sey? Da ich nun meine Unwissenheit bekennen mußte, und die Leute sahen, daß ich wirklich gar nichts von der Sache wußte, so erzählten sie mir solche mit allen oben bemeldten Umständen, aber nicht als Augenzeugen, sondern als Leute, die gehört hatten, daß es sich zugetragen haben sollte.

Etliche Tage hernach kam ich wieder nach Ettersburg und wurde beym Spazierengehen in den Wald erinnert, mich überall umzusehen. Ich erblickte endlich eine in blau Pappier geheftete Brochure, die an eine Eiche genagelt war, ungefähr wie man die Raubvögel an das große Thor an einem Pachthof oder einer gentilhommie anzunageln pflegt. Was für eine Brochure es sey, wollte mir niemand sagen; man überließ es der Schärfe meines Fernglases oder meines Verstandes, es selbst herauszubringen. Wenn ich nun sagte, ich vermuthete, daß es Woldemars Briefe gewesen, so würde ich soviel als Nichts damit sagen; denn Vermuthung in solchen Dingen ist Nichts; für gewiß kann ich nichts sagen; denn ich konnte nicht sehen, was für ein Buch es wahr. Im übrigen sollten Sie und Jacobi Göthen schon von langem her kennen, und wissen, was er fähig ist oder nicht.

F. H. Jacobi an Goethe 15. 9. 1779 (Jacobi S. 53)

Weimar 30. 5./13. 7.(?) 1779

Du sollst in Ettersburg, in einer Gesellschaft von Rittern, Woldemar und seinen Verfaßer auf die entsetzlichste Weise durchgezogen, lächerlich gemacht, und zum Beschluß, – mit einem schön eingebundenen Exemplar dieses Buchs, eine schimpfliche und schändliche Execution vorgenommen haben. – Dies Gerücht ist so allgemein geworden, daß es auch mir endlich zu Ohren kommen mußte. Verschiedene meiner hiesigen Freunde hatten es schon vor vier Wochen gewußt, und allerhand Mittel angewandt, daß es mir verborgen bleiben möchte.

F. H. Jacobi an Johanna Schlosser 10. 11. 1779 (JbGG 1, 141)

Weimar 30. 5./13. 7.(?) 1779

So weißt Du also, was Göthe Woldemar und seinem Verfaßer, nach gehaltenem Gastmahl, für eine schöne Standrede gehalten; mit welchen Ausdrücken (Beyde hätten das Henken verdient) er das Buch verurtheilt: zur wohlverdienten Strafe, und andern zum schreckenden Exempel, an beyden Ecken der Decke an eine Eiche genagelt zu werden, wo es so lange flattern sollte, als ein Blatt daran wäre, wie er selber das Urtheil an einem Exemplar (vermuthlich dasselbige welches ich ihm geschenkt, und das er in dieser Absicht zu sich gesteckt hatte) vollzogen, und einen großen Jubel über den herrlichen Effect angestimmt hat; daß das Buch an der Eiche befestigt gelassen, und die Spatziergänger sich mit desselben Anblick zu belustigen ermuntert worden sind. – Eine solche Kurzweil, und noch manche andere muthwillige Parodieen, erlaubt sich Göthe gegen einen Mann, dem er die feurigsten Liebesbriefe schrieb; mit dem er, sechs Wochen hintereinander, alle Tage Herz und Seele theilte, mit dem er die heiligste Freundschaft errichtete und beständig unterhalten zu wollen schien.

F. H. Jacobi an F. v. Fürstenberg 5. 10. 1779 (Neophilologus 43, 43)

Weimar 30. 5./13. 7.(?) 1779

avez-vous que Woldemar a été anathèmisé et crucifié en grande cérémonie par Göthe; cette anecdote m’a fait peine? – Un plaisant a dit, qu’il falloit mettre dans les gazettes: Einem gewißen deutschen Fürsten wäre Woldemar von seinem geheimen Hofnarren als ein aufrührisches, höchstem Intereße nachtheilig werden könnendes, gefährliches Buch, über Tafel denunziiert worden; worauf es Ihro Durchlaucht schleunigst von höchst Dero Geheimenrath hätten verurtheilen, u durch ihren Geheimen Schinder an den Galgen schlagen laßen: Stans pede in uno.

Zitierhinweis

Online-Edition:
BuG II, BuG02_A_0648 (Ernst Grumach/Renate Grumach), in: https://goethe-biographica.de/id/BuG02_A_0648.

Entspricht Druck:
BuG II, S. 124 (Ernst Grumach/Renate Grumach).

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