BuG: BuG II, A 1517
Weimar 23. 4. 1782

Falk, Goethe S. 129

B2 223

Weimar 23. 4. 1782

Um dieselbe Zeit wurde auch ein Liebhabertheater in Weimar eröffnet, woran Goethe, Corona Schröter, Bertuch, v. Einsiedel und Andere den lebhaftesten und thätigsten Antheil nahmen. Einst spielte man „Den eifersüchtigen Ehemann.“ Die Rolle des Liebhabers in diesem Stücke war dem Herrn v. Einsiedel zugefallen. Unglücklicherweise aber überfiel diesen, kurz vor der Aufführung, eine Unpäßlichkeit. Die Rolle war in so kurzer Zeit nicht wieder zu besetzen, und zum größten Verdrusse aller übrigen Mitspielenden stockte nun das Ganze. Da schlug sich, mehr beherzt und gutmüthig, als in solchen Dingen gewandt, ein verwegener sächsischer Rittmeister [v. Braun?] ins Mittel und übernahm die Rolle. Am dritten Tage kam er zum Herrn v. Einsiedel und ließ sich dieselbe überhören. Es ging leidlich, besonders wenn man dabei, wie man konnte, auf einen guten Souffleur rechnete. Als es aber zur Aufführung kam, wurde Alles anders, und der so unternehmende Rittmeister gerieth in die größte Verwirrung. Es wurde ihm so heiß vor der Stirn, als ob er vor einer Schwadron Husaren ritte und eben einhauen sollte; doch faßte er sich einigermaßen und spielte fort, bis auf die Scene, wo er mit seiner Geliebten von dem eifersüchtigen Ehemanne überrascht und mit einem Dolche erstochen wird. Hier vergaß er plötzlich das Stichwort, stockte und meckerte in Einem fort, und der eifersüchtige Ehemann, den Bertuch spielte, der schon lange mit einem Dolche hinter den Coulissen wartend dastand, konnte ihm durchaus nichts anhaben. Eben fing Jener seine Rolle, Stichwörter und den ganzen Plunder, wie Shakspeare sagt, wieder von vorne an, als Bertuch plötzlich, auf Anrathen Goethe’s, der die Direction des Ganzen führte, auf die Bühne sprang und dem Leben seines unglücklichen Nebenbuhlers durch einen kräftigen Dolchstich gleichsam ex abrupto ein Ende zu machen suchte. Wer aber nicht fallen wollte, war der Rittmeister. Vergebens, daß ihm Bertuch zu wiederholten Malen ins Ohr raunte: „Ins Teufels Namen, so fallen Sie doch!“ Er rührte sich nicht von der Stelle, sondern blieb kerzengerade und völlig aufrecht neben seiner Geliebten stehen, den Umstehenden, die ihm zuredeten, daß er fallen sollte, einmal über das andere versichernd, daß sein Stichwort noch nicht gekommen sei. In dieser für den Director ebenso sehr als für die Mitspieler peinlichen Lage faßte der Erstere einen heldenmüthigen Entschluß und rief mit donnernder Stimme hinter den Coulissen hervor: „Wenn er von vorn nicht fallen will, so stich ihn von hinten durch den R .... n! Wir müssen ihn uns auf alle Fälle vom Halse schaffen! Er verderbt uns ja das ganze Stück!“ Auf diesen entscheidenden Zuruf ermannte sich auch der sonst so thätige, jetzt aber ebenfalls etwas unschlüssig gewordene Bertuch. „Stirb!“ rief auch er nun mit schrecklicher Stimme, und führte zugleich einen so nachdrücklichen Dolchstoß in die Flanke seines Widersachers, daß derselbe, durch dieses Seitenmanoeuver außer Fassung gebracht, diesmal wirklich zu Boden fiel. In demselben Augenblicke aber erschienen auch schon vier von Goethe abgeschickte handfeste Statisten, die bestimmte Ordre hatten, den Todten, er möchte wollen oder nicht, hinweg und beiseite zu schaffen. Dies geschah denn auch wirklich, und zur größten Freude der Zuschauer konnte das Stück nun ungehindert fortspielen.

Riemer an Müller Apr. 1840 (GSA, KMA 822, 15)

Weimar 23. 4. 1782

Fehlt in der lustigen Geschichte, wie Bertuch den verstummten Schauspieler ersticht, die Pointe, daß er es auf Goethes Zuruf that. Das characterisirt G. so schön als resoluten Mann, wie wir ihn in solchen Fällen kannten.

Literaturverweis/Erläuterung

Weimar 23. 4. 1782

Session; vgl. AS 1, LXXV

Zitierhinweis

Online-Edition:
BuG II, BuG02_A_1517 (Ernst Grumach/Renate Grumach), in: https://goethe-biographica.de/id/BuG02_A_1517.

Entspricht Druck:
BuG II, S. 357 f. (Ernst Grumach/Renate Grumach).

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