BuG: BuG II, A 141
Weimar Ende Juni 1777

Gleim an F. H. Jacobi 21. 11. 1781 (GJb 28, 241)

Weimar Ende Juni 1777

Ich wünschte mein Theurer, Sie hätten mich nicht zum Vertrauten Ihres Vorfalls [Woldemars Kreuzerhöhung] mit Göthen gemacht. Sie wusten ohne Zweifel was ich halte von Göthen – Bruder Johann Georg flog hin nach Weimar Göthen kennen zu lernen, kam zurück, er hätte, sagt’ er den Engel kennen gelernt, Heinse lernt ihn kennen, war entzükt von ihm und Lavater bis in den dritten Himmel – Alle meine Freunde waren sterblich in den Engel Göthe verliebt. In s. Schriften aber fand ich keinen Engel – Götter Helden und Wieland – Göthens Werk, er sage was er wolle, wieß[?] ihn mir aus zweyen Köpfen, den einen eines Engels, denn fast alle Menschen sagten mit Lavater, Göthe sey ein wunderschöner Mann, den andern eines bösen Geistes. Ich kam nach Weimar – Seit dem mein lieber hör ich gern nicht reden von dem großen Göthen – Eine halbe Stunde bey dem Prinz Constantin an der Tafel schien er mir ein guter Mann zu seyn, ich fing schon an zu wiederlegen mich selbst und andre die mir böses sagten von Göthen; der Engel aber verschwand nach dieser selben Stunde, stehend, an einem Zeltpfal sah ich bald darauf den zweyten Göthen mit dem zweyten Kopf, sein Auge wenn er mich an sahe war das Auge – kan ich doch so gleich mich nicht besinnen auf den bösen Geist der Meßiade, der ein Auge hat, wie Göthe. Kurz, mein lieber! Danck sey meinem Gott! daß ich Göthen Freund nicht ward, ich wäre mit ihm verfallen, ärger als mit Spalding und Ramler.

Gleim (Falk, Goethe S. 139)

B2 174

Weimar Ende Juni 1777

Kurz darauf, nachdem Goethe seinen „Werther“ geschrieben hatte ... kam ich nach Weimar und wollte ihn gern kennen lernen. Ich war Abends zu einer Gesellschaft bei der Herzogin Amalie geladen, wo es hieß, daß Goethe späterhin auch kommen würde. Als literarische Neuigkeit hatte ich den neuesten göttinger Musenalmanach mitgebracht, aus dem ich Eins und das Andere der Gesellschaft mittheilte. Indem ich noch las, hatte sich auch ein junger Mann, auf den ich kaum gemerkt, mit Stiefeln und Sporen und einem kurzen, grünen, aufgeschlagenen Jagdrocke, unter die übrigen Zuhörer gemischt. Er saß mir gegenüber und hörte sehr aufmerksam zu. Außer einem Paar schwarzglänzenden italienischen Augen, die er im Kopfe hatte, wüßte ich sonst nichts, das mir besonders an ihm aufgefallen wäre. Allein es war dafür gesorgt, ich sollte ihn schon näher kennen lernen. Während einer kleinen Pause nämlich, wo einige Herren und Damen über dies oder jenes Stück ihr Urtheil abgaben, eins lobten, das andere tadelten, erhob sich jener feine Jägersmann – denn dafür hatte ich ihn anfänglich gehalten – vom Stuhle, nahm das Wort und erbot sidi in demselben Augenblicke, wo er sich auf eine verbindliche Weise gegen mich verneigte, daß er, wofern es mir so beliebte, im Vorlesen, damit ich nicht allzu sehr ermüdete, von Zeit zu Zeit mit mir abwechseln wollte. Ich konnte nicht umhin diesen höflichen Vorschlag anzunehmen und reichte ihm auf der Stelle das Buch. Der Apollo und die neun Musen, die drei Grazien nicht zu vergessen, was habe ich da zuletzt hören müssen! Anfangs ging es zwar ganz leidlich:

  Die Zephyr’n lauschten,   Die Bäche rauschten,   Die Sonne   Verbreitet ihr Licht mit Wonne.

Auch die etwas kräftigere Kost von Voß, Leopold Stolberg, Bürger wurde so vorgetragen, daß sich Keiner darüber zu beschweren hatte. Auf einmal aber war es als, ob den Vorleser der Satan des Übermuthes beim Schopfe nehme, und ich glaubte, den wilden Jäger in leibhaftiger Gestalt vor mir zu sehen. Er las Gedichte, die gar nicht im Almanach standen, er wich in alle nur mögliche Tonarten und Weisen aus. Hexameter, Jamben, Knittelverse, und wie es nur immer gehen wollte, Alles unter- und durcheinander, wie wenn er es nur so herausschüttelte. Was hat er nicht Alles mit seinem Humor an diesem Abend zusammenphantasirt! Mitunter kamen so prächtige, wiewol nur ebenso flüchtig hingeworfene als abgerissene Gedanken, daß die Autoren, denen er sie unterlegte, Gott auf den Knien dafür hätten danken müssen, wenn sie ihnen vor ihrem Schreibepulte eingefallen wären. Sobald man hinter den Scherz kam, verbreitete sich eine allgemeine Fröhlichkeit durch den Saal. Er versetzte allen Anwesenden irgend etwas. Auch meiner Mäcenschaft, die ich von jeher gegen junge Gelehrte, Dichter und Künstler für eine Pflicht gehalten habe – so sehr er sie auf der einen Seite belobte, so vergaß er doch nicht auf der andern Seite mir einen kleinen Stich dafür beizubringen, daß ich mich zuweilen in den Individuen, denen ich diese Unterstützung zu Theil werden ließ, vergriffe. Deshalb verglich er mich witzig genug in einer kleinen ex tempore in Knittelversen gedichteten Fabel mit einem frommen und dabei über die Maßen geduldigen Truthahn, der eigene und fremde Eier in großer Menge und mit großer Geduld besitzt und ausbrütet; dem es aber en passant wol auch einmal begegnet, und der es nicht übelnimmt, wenn man ihm – ein Ei von Kreide statt eines wirklichen unterlegt.

„Das ist entweder Goethe oder der Teufel!“ rief ich Wieland zu, der mir gegenüber am Tische saß. – „Beides“, gab mir dieser zur Antwort; „er hat einmal heute wieder den Teufel im Leibe; da ist er wie ein muthiges Füllen, das vorn und hinten ausschlägt, und man thut wohl, ihm nicht allzu nahe zu kommen.“

Gleim an Herder 6. 4. 1784 (Düntzer7 1, 100)

B2 175

Weimar Ende Juni 1777

Er war mir ... dort [Weimar] zu feurig und zu stolz.

Zitierhinweis

Online-Edition:
BuG II, BuG02_A_0141 (Ernst Grumach/Renate Grumach), in: https://goethe-biographica.de/id/BuG02_A_0141.

Entspricht Druck:
BuG II, S. 20 f. (Ernst Grumach/Renate Grumach).

Zurück zum Seitenanfang