BuG: BuG II, A 2082
Weimar 27. 5./2. 6. 1784

F. L. Graf zu Stolberg an J. H. Voß 2. 6. 1784 (Hellinghaus S. 106)

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Weimar 27. 5./2. 6. 1784

Den 27sten kamen wir hier an. Der kleine Schardt, den sie in Borstel gesehn haben, kam u: brachte uns zur Bernstorfen wo wir beyde den Abend zubrachten. Als wir bey Tische sassen kam Göthe, blaß wie die Wand vor Freude u: Rührung, war ganz unser alter Göthe von dem Augenblick an bis heute Morgen da er uns verlassen hat, weil er mit dem Herzog auf den Landtag muß. Er ist weniger brausend, weniger  ̔υπεροπλος (brausend ist nicht das wahre Wort) weniger leicht aufflammend, gewiß nicht weniger feurig als er war, u: sein Herz liebevoll, immer sich sehnend nach mehr Freiheit der Existenz als Menschen finden könen, u: doch immer Blumen um den Pilgerstab des Lebens windend. Wenig Menschen sind so liebevoll, so rein, so Liebe bedürfend, so hingerichtet aufs unsichtbare Ideal der ϰαλοϰᾳγϑια, so sich anschmiegend an alles liebe u: schöne der moralischen u: sichtbaren Natur. Der Herzog u: bey de Herzoginen waren viel unter uns, störten uns aber nie. Sie sind wie Fürsten nicht sind ... Wir waren viel in einem Hölzchen in welchem Göthe ein Gartenhäußchen hat, wo er drei Jahre Winter u: Sommer gewohnt hat, izt aber nur dann u: wann eine Nacht dort schläft, u: nicht alle Tage besuchen kann. Hinzugehen muß man durch einen hohlen FelsenGang an einem Strom, einen allerliebsten Gang ... Göthe, der die Wahrheit selber ist, der Herdern so lange kennt, liebt ihn wie seine Seele.

Göthe schreibt einen Roman, Wilhelm Meister, der sehr schön sein soll. Er hat ein Trauerspiel, Tasso, geschrieben, das ich nicht gesehen habe, u:, nach dem Aristophanes, ein Stück die Vögel angefangen. Den 1 sten Act habe ich gehört, der ist sehr launig u: schön. Hie u: da stehen Inschriften von ihm im Wäldchen, ich wollte sie für den M[usen] A[lmanach] haben, aber das will er nicht. Sie sollen noch nicht ins Publicum kommen, um an ihrer Stelle mehr zu würcken.

F. L. Graf zu Stolberg an Katharina Gräfin zu Stolberg 11. 6. 1784 (Janssen 1, 160)

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Weimar 27. 5./2. 6. 1784

In Weimar ward uns von Herzen wohl. Goethe war ganz der alte geist- und liebevolle Goethe und fühlte sich um neun Jahre verjüngt. Er ist zwar noch nicht alt, just zwischen meinem Bruder und mir, aber acht Jahre fataler Geschäfte sind doch keine kleine Zeit ... Goethe hat dicht bei der Stadt ein Gartenhäuschen, in einem Wäldchen am Fluß bei Felsen. Durch unendlich schöne Felsengänge geht man hin. Hier hat er drei Jahre Winter und Sommer gewohnt. Oft ging er im Mondschein durch die Felsengänge aus der lärmenden Stadt zurück, oft im Winter über tiefen Schnee beim Glanz der Fackel. Da schwand ihm das Gewirr des Tages schnell und hohe Erscheinungen gingen in ihm auf. Mehrere Geschäfte zwangen ihn, diese süße Einsiedelei zu verlassen. Die höchsten Rosenstöcke, die ich je gesehen, und Gaisblattranken umziehen das ganze Haus und rundumher singen nahe Nachtigallen.

An Charlotte v. Stein 5. 6. 1784 (WA IV 6, 286)

Weimar 27. 5./2. 6. 1784

Die Herzoginn hat die ältste Gräfinn [Luise zu Stolberg] sehr zu distinguiren fortgefahren. Ich glaube den Vereinigungs Punckt beyder Seelen zu entdekken ...

Wie die kleine Agnes [zu Stolberg] mir schöne that und bat ich solle noch einen Tag bleiben, warfen ihr die Brüder vor sie thue es nur weil sie dadurch hoffe den Herzog noch einen Tag zurück zu halten und setzten scherzend die Rangordnung fest, daß er der erste der Weimaraner in ihrem Herzen, ich der zweyte und die Göchhausen die dritte sey. Ich nahm es ohngeachtet ihrer Vertheidigung als wahrscheinlich und wahr auf, versicherte daß ich mir fest vorgesetzt habe mit einem Fürsten weder um ein Herz zu streiten noch es mit ihm zu theilen und reiste ab.

Leopold [zu Stolberg] hat mir von Stund zu Stunde besser gefallen und ich hätte wohl gewünscht mit ihm eine Zeitlang zu leben, in den ersten Tagen wenn man mit alten Bekannten wieder zusammen kommt sieht man doch nur das alte Verhältniß biß alsdenn ein weiterer Umgang entwickelt in wie fern sich Menschen verändert haben oder dieselben geblieben sind.

H. Chr. Boie an Luise Mejer 2. 6. 1785 (Schreiber S. 480)

Weimar 27. 5./2. 6. 1784

Gräfin Luise [zu Stolberg] hat mir viel angenehmes von ihrer vorjährigen Reise erzählt. Besonders hats ihnen in Weimar sehr gefallen und von Goethen und Herdern sind sie nicht wenig eingenommen.

Biographische Einzelnheiten. Voß und Stolberg (WA I 36, 286)

Weimar 27. 5./2. 6. 1784

Ich habe mich selbst in ihren [der Gräfin Agnes zu Stolberg] blühenden schönsten Jahren an ihrer anmuthigsten Gegenwart erfreut und ein Wesen an ihr gekannt, vor dem alsobald alles Mißwillige, Mißklingende sich auflösen, verschwinden mußte. Sie wirkte nicht aus sittlichem, verständigem, genialem, sondern aus frei-heiterm, persönlich-harmonischem Übergewicht.

Chr. Graf zu Stolberg an Klopstock 4. 7. 1784 (Behrens1 S. 219)

Weimar 27. 5./2. 6. 1784

Goethe erkundigte sich mit warmer Liebe nach Ihnen, und hat uns viele Grüße der Freundschaft an Sie aufgetragen Ich glaube daß ihn die Lasten seiner Staatsmannschaft sehr drücken, daß es aber schwer für ihn sein werde den Augenblik zu finden, wo er seine Bürde abwerfen könne.

F. L. Graf zu Stolberg an F. Münter 10. 8. 1784 (Bobé 7, 392)

Weimar 27. 5./2. 6. 1784

Es hat mir sehr leid gethan, Sie in Weimar zu verfehlen, es ist mir sehr wohl dort geworden. Ich habe Herder sehr liebgewonnen und mich noch näher mit Göthen verbunden.

F. L. Graf zu Stolberg an G. A. v. Halem 21. 6. 1784 (Strackerjan 2, 19)

Weimar 27. 5./2. 6. 1784

Von „böhmischen Dörfern“ umgeben, sind wir in einer schönen Gegend [Karlsbad], und haben den lieben Harz, Gleim, Göthe, Ebert, Jerusalem, Herder, Wieland und das Erzgebürge gesehen. Gleim, Herder und das Erzgebürge sind neue, aber sehr geliebte Freunde, die andern aber sind mir alle beym Wiedersehen noch viel theurer geworden, als sie schon waren.

F. L. Graf zu Stolberg an J. H. Voss 3. 6. 1784 (Hellinghaus S. 108)

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Weimar 27. 5./2. 6. 1784

Göthe hat mich gebeten ihm ein Stück aus dem Aischülos zu zeigen, der nach Homer auch sein Lieblingsdichter ist. Lassen Sie doch die Eumeniden abschreiben.

An Charlotte v. Stein 3. 6. 1784 (WA IV 6, 284)

Weimar 27. 5./2. 6. 1784

Herdern verlaß ich ungern er ist gar gut lieb und herzlich.

Die Stolbergs haben uns noch einen fröhligen verjüngten Tag gemacht, es ist gar hübsch daß ich vor der Abreise noch einmal in ienen Seen der Jugend durch die Erinnerung gebadet worden.

An J. Chr. Kestner 24. 6. 1784 (WA IV 6, 315)

Weimar 27. 5./2. 6. 1784

Die Grafen Stollberg haben uns besucht, es war eine sehr angenehme Erinnerung voriger Zeiten und eine neue Befestigung der alten Freundschafft.

Zitierhinweis

Online-Edition:
BuG II, BuG02_A_2082 (Ernst Grumach/Renate Grumach), in: https://goethe-biographica.de/id/BuG02_A_2082.

Entspricht Druck:
BuG II, S. 460 (Ernst Grumach/Renate Grumach).

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