BuG: BuG II, A 1820
Weimar 30. 4./2. 5. 1783

J. F. Blumenbach an Chr. G. Heyne 4. 5. 1783 (E. Schmidt1 S. 3)

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Weimar 30. 4./2. 5. 1783

Noch etwas von Weimar, wo wir bis vorgestern Nachmittag geblieben sind und wo ich zu meiner Freude Wieland und Göthe, zumal letztern, recht genau habe kennen gelernt. Sie werden zwar über diese beiden Herren was ehrliches von meinen beiden Damen [Luise Amalie Blumenbach und Therese Heyne] zu lesen kriegen, die zu meiner großen Erbauung, so wie sie nur diese Herren gesprochen hatten, sich flugs über das Schreibzeug hermachten und hastu nicht porträtiren gesehen! – also meinerseits nur ein tenue spicilegium. Göthe, den ich oft und in verschiedenen Situationen, bei Hof, unter den Herrschaften, unter seinen Collegen, unter den Damen, vis à vis von Wieland, und mehreremale recht lange mit mir tête à tête gesehen habe, da er mich in seinen Garten und spazieren führte u. s. w. hat alle meine Vorstellungen, die ich mir nach anderer Erzählung von ihm gemacht hatte, gar sehr übertroffen. Nichts den Geh. Rath ankündigendes, zurückhaltendes, sondern ein gesetzter aber ganz unaffektirter äußerst zugänglicher Mann; unglaublich offen, hell und doch tief penetrirend in seinem Urtheile; und doch überaus billig, gar nicht decisiv, wie ich zumal in unserer Unterredung über Lavater und Physiognomie, über Verfassung der Jenaischen Universität u. s. w. gesehen habe. Überall viel gesunde, richtige und deutliche Philosophie und den reifen Geschmack, der auch in seinem Zimmer und artigen Garten u. s. w. durchgehends herrscht. Wieland schien mir daher in seiner Gegenwart eine etwas abstechende, nicht sehr vortheilhafte Figur zu machen. Sie dutzen sich zwar und sind herzlich gute Freunde, aber man spürt doch Göthes Superiorität. Dieser sagte mir z. E. in W.s Gegenwart, daß Villoison so für W. eingenommen sei, rühre daher, weil dieser sein lateinisches Gedicht auf die Geburt des Erbprinzen in gleichem Silbenmaas so künstlich deutsch übersetzt habe. Dafür habe ihn V. zwar Chrysostomus genannt, aber doch auch im Grunde mit König Midas verglichen, indem er gesagt, daß unter W.s Händen alles zu Gold werde.

Zitierhinweis

Online-Edition:
BuG II, BuG02_A_1820 (Ernst Grumach/Renate Grumach), in: https://goethe-biographica.de/id/BuG02_A_1820.

Entspricht Druck:
BuG II, S. 413 (Ernst Grumach/Renate Grumach).

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