BuG: BuG II, A 214
Wilhelmsthal/Eisenach 19. 9. 1777

F. Oberthür, Reisebeschreibung (JbGG NF 23, 203)

Wartburg 19. 9. 1777

Nach Gotha kamen wir [Oberthür und K. Rösser] über Eisenach, wo wir Göthe auf der Wartburg trafen, beschäftigt mit dem Mönche und der Nonne, die er eben abgezeichnet.

F. Oberthür (Lit. d. kathol. Deutschlands 3, 581)

B2 178

Wartburg 19. 9. 1777

Warm, enthusiastisch, so wie man vom Heiligthum des Apollo kömmt, komme ich von der Wartburg, wo Göthe wohnet, nach meinen Gasthof zum Rautenkranz zurücke.

Meine Wallfart dahin fing frühe an, und um sie noch feyerlicher zu machen, hüllte ein dichter Herbstnebel, dieses hohe Schloß in heiliges Dunkel ein, das ich erst durchdringen muste, um an diese heilige Stelle zu kommen.

Fast eine halbe Stunde muste ich wie im Vorhofe des Tempels warten, bis ich Göthen zusehen bekam ...

Ich glaubte einen tiefdenkenden ernsthaften kalten Engländer dem Kleide und der Miene nach zusehen; ich konnte leicht den Verfasser des Götzens von Berlichingen, der Leiden des jungen Werthers des Klavigo finden, und das Bild in Lavaters Physiognomik hat viel Ähnlichkeit mit dem Urbild.

Aber den lustigen, launigten, auch ein wenig muthwillig – nehmen Sie dieses Wort nur in keiner üblen Bedeutung – lustigen Gesellschafter, wie man mir Göthe beschrieben, hätte ich bey diesen Besuch nie errathen.

Er hatte so eben die seinem Fenster gerade überstehende zwey von der Natur dahin gesetzte Spitzsäulen gezeichnet, die unter dem Namen des Mönchs und der Nonne bekannt sind, und noch nicht lange zuvor von Wieland im deutschen Merkur besungen worden: diese betrachtete ich durch ein Sehrohr, von diesem dazu sehr bequemen Standpunkte, einige Augenblicke; übersahe dann die Gegend, die Aussichten von dieser Burg hinab in die Tiefe, und lobte die Wahl des Dichters, der diesen seiner Phantasie und seiner Muse so schicklichen Ort dem Pallaste des Herzogs in der Stadt vorgezogen.

Die ganze übrige Unterredung hatte den Zustand der Wissenschaften und Künste in meinem Vaterlande zum Gegenstand; und ich muß gestehen, daß Göthe meinem Nationalstolz nicht wenig geschmeichelt; er hatte schon in seiner Vaterstadt etliche meiner Landesleute gekannt, und auch in Thüringen bekam er von sicherer Hand vortheilhafte Nachrichten von Franken, und unsern geschickten Hofmahler [J. Chr. Fesel], von ihm selbst verfertigte Porträts hatte er in Erfurt gesehen, und dieses waren die Data und die Gründe zu seinem Lobe über Franken und den Zustand der Wissenschaften und Künste daselbst.

Sie können wohl denken, daß ich ihm noch mehr Gutes von meinem Vaterlande gesagt, so weit es Wahrheit und Bescheidenheit litten.

Nach und nach merkte ich, daß der Dichter sich noch mehr in sich selbst zurück zog; stille wurde, ernsthaft und kalt, wie in einem englischen Splin da stunde; da dachte ich, vielleicht hat sich irgend ein großer Gegenstand seiner Seele bemächtiget, und Apollo heißt ihn darüber dichten, und beurlaubte mich.

Tagebuch 19. 9. 1777 (WA III 1, 47)

Eisenach 19. 9. 1777

Bey Becht[olsheims] geschlafen.

Zitierhinweis

Online-Edition:
BuG II, BuG02_A_0214 (Ernst Grumach/Renate Grumach), in: https://goethe-biographica.de/id/BuG02_A_0214.

Entspricht Druck:
BuG II, S. 34 (Ernst Grumach/Renate Grumach).

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