BuG: BuG II, A 755
Genf - St. Gotthard - Luzern 10. 11. 1779

Tagebuch 10. 11. 1779 (WA III 1, 102)

Leukerbad, Inden, Leuk, Brig 10. 11. 1779

Erster Schnee ... mit Tags Anbruch ab. über Inden nach Leuck Wasserleitung. Schöne Lage vor Inden, einige andre Dörfer auf den Höhen. In Leuck Wedels Vorschlag die Pferde zurück zuschicken. Wedel mit den Pf. ab. ♃ und ich auf Brieg mit 1 Maulth. und Wagen ... Brieg. Gute Stube und Camin.

Carl August, Tagebuch 10. 11. 1779 (Funde und Forschungen S. 185)

Leukerbad, Inden, Leuk, Brig 10. 11. 1779

½ 7 zu Fuß fort. Es hatte starck geschneit, aus 1 St. in der Höhe, bey Inden lag keiner mehr. Das Bad u. Waßer läuft durch den Schluchter aus. Eine Brücke drüber, wir auch. Das Waßer wird kalt. In Leuck trafen wir Wedeln mit den Pferden; letztere hatten wegen Waßer nicht durch Seyders gekont. Kein Hafer war mehr zu haben. Unser Project war nach Sausures Rath, über den Sinplon nach Domo d’oßola, Margozzo auf den Lago Magiore, nach den Boromeischen Inseln, u. von da über Airolo über den St. Gotthardt nach Lucern, mit unsern Pferden. Weil über die Furca unsere Pferde nicht können. Wedel aber machte uns mit Recht bemercken, wie wir in Leuck zusammen kamen, daß wegen Mangel des Futters, Stallung u. des gefährlichen Weges, wir mit unsern Pferden nicht fort kämen. Ward also folgendes resolvirt, u. außgeführt. Wedel ging, über Sion, Martinach, Bex, Vevay, Bern, nach Lucern; wir zu Fuß u. auf Maulthier über die Furca, Gotthardt, nach Lucern. Wedel strich gleich ab, wir zu Fuß, mit einen Pack Maulthier nach Brieg. Vom Bade nach Leuck 3 St., von Leuck nach Brieg 6 St. In Fischbach eingekehrt. Narr von Wirth. Jeder streicht hervor was er besitz um den Fremden der ihm imponirt, zu impon: Dieser lobte besonders Lucern, ausschweifend, a propos de botte, wo er her war. Wir hatten einen Schwäbischen Metzger Gesellen von Gemünd zum Führer. Ein guter Hans Wurst ... Zu Brieg zu Nacht. Gut bewirthet. Caminfeuer wiedergefunden. Wedel war so leichter Laune wieder, als wäre nichts geschehn. Wieder alte gute Bon mots. So bald er alleine, in Seiner Sinlichen Fortexistens, ist er wohl, u. leicht. Göthens Existens, u. Leben neben ihm, schind ihm, er kan sich nicht hinein, noch hinaus finden, u. er ist wieder ein Beweis wie sehr oft man sich betrügt zu glauben daß so leicht ein anderer in eines ungewöhnlichen Menschen Wesen sich hinein setzen kan. Spät zu Bett.

Carl August, Tagebuch 11. 11. 1779 (Funde und Forschungen S. 187)

Leuk 10. 11. 1779

Daß Wedel uns den Rath gab, ihn mit den Pferden zurück zu schicken, kam folgender Weise: In Seyders geht er spatzieren, u. komt in einen Kaufmansladen. Hier ist ein schlecht gekleideter Mensch, welcher Thee kauft. Er behandelt ihn als einen Bedienten, auf einmahl erfährt er, daß es ein Hauptmann von Curt ist, in den Französischen R[egiment] gleiches Nahmens. Letzterer bietet ihm seine Dienste an. Wedel verspricht zu ihm zu kommen. Er geht den Nachmittag hin, und findet die Frau v. Curt sterbend. Curt sagt ihm, nachdem er von ihm erfahren, wo wir hin wolten, daß er den Weg gemacht hätte, u. wir wegen Mangel des Futters, u. bösen Weges, wie auch wegen der Gefahr eingeschneit zu werden, nicht über den Sinplon mit unsern Pferden könten. So machte es sich. Den andern Tag starb die Frau.

Briefe aus der Schweiz II (WA I 19, 275)

Leuk, Brig 10. 11. 1779

Wir fanden den Freund [v. Wedel], der die schlimme Nachricht brachte, daß es nunmehr mit den Pferden sehr beschwerlich weiter zu gehen anfinge. Die Ställe werden kleiner und enger, weil sie nur auf Maulesel und Saumrosse eingerichtet sind; der Haber fängt auch an sehr selten zu werden, ja man sagt, daß weiter hin in’s Gebirg gar keiner mehr anzutreffen sei. Ein Beschluß war bald gefaßt: der Freund sollte mit den Pferden das Wallis wieder hinunter über Bex, Vevey, Lausanne, Freiburg und Bern auf Luzern gehen, der Graf [Carl August] und ich wollten unsern Weg das Wallis hinauf fortsetzen, versuchen, wo wir auf den Gotthard hinauf dringen könnten, alsdann durch den Canton Uri über den Vier-Waldstädtersee gleichfalls in Luzern eintreffen ... Wir haben unsere Sachen getrennet. Der Freund ist fort, unser Mantelsack wird auf ein Maulthier das wir gemiethet haben gepackt, und so wollen wir aufbrechen und unsern Weg zu Fuße nach Brieg nehmen ...

Wir gingen in Gesellschaft eines schwäbischen Metzgerknechtes, der sich hierher verloren, in Leuk Condition gefunden hatte und eine Art von Hanswurst machte, unser Gepäck auf ein Maulthier geladen, das sein Herr vor sich hertrieb, gegen Eilf von Leuk ab ...

Wir haben [in Brig] ein ganz artiges Wirthshaus und, was uns zu großem Vergnügen dient, in einer geräumigen Stube ein Kamin angetroffen; wir sitzen am Feuer und machen Rathschläge wegen unserer weiteren Reise. Hier in Brieg geht die gewöhnliche Straße über den Simplon nach Italien; wenn wir also unsern Gedanken, über die Furka auf den Gotthard zu gehen, aufgeben wollten, so gingen wir mit gemietheten Pferden und Maulthieren auf Domo l’ossola, Margozzo, führen den Lago maggiore hinaufwärts, dann auf Bellinzona und so weiter den Gotthard hinauf, über Airolo zu den Kapuzinern. Dieser Weg ist den ganzen Winter über gebahnt und mit Pferden bequem zu machen, doch scheint er unserer Vorstellung, da er in unserm Plane nicht war und uns fünf Tage später als unsern Freund nach Luzern führen würde, nicht reizend. Wir wünschen vielmehr das Wallis bis an sein oberes Ende zu sehen, dahin wir morgen Abend kommen werden; und wenn das Glück gut ist, so sitzen wir übermorgen um diese Zeit in Realp in dem Ursner Thal, welches auf dem Gotthard nahe bei dessen höchstem Gipfel ist. Sollten wir nicht über die Furka kommen, so bleibt uns immer der Weg hierher unverschlossen, und wir werden alsdann das aus Noth ergreifen, was wir aus Wahl nicht gerne thun. Sie können sich vorstellen, daß ich hier schon wieder die Leute examiniret habe, ob sie glauben, daß die Passage über die Furka offen ist; denn das ist der Gedanke mit dem ich aufstehe, schlafen gehe, mit dem ich den ganzen Tag über beschäftigt bin.

Zitierhinweis

Online-Edition:
BuG II, BuG02_A_0755 (Ernst Grumach/Renate Grumach), in: https://goethe-biographica.de/id/BuG02_A_0755.

Entspricht Druck:
BuG II, S. 180 (Ernst Grumach/Renate Grumach).

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