〈Abschrift〉
Ich will gern diesen Monat in Frankf: haren, und noch einen in der hoffnung sie zu sehen; denn so erklär ich mir die dunkle Stelle Ihres briefes. Lassen Sie mir immer meine Bedenklichkeiten und Eigenheiten, dafür wird mir auch die Freude um so viel grosser, wenn mich eine so liebe theilnehmung überrascht wie die Ihrige an meinem Götz. Ich habe sie gewünscht das gestehe ich gerne, auch zum Teil gehofft, Sie wissen aber wie man ist – Merken würden Sie einen Gefallen thun, denn er ist auch hier Verleger, wenn Sie beykommende Exemplare, sind 24, vor 48 ×r das Stück absezen liesen. Ich weiß nicht hab ich Ihnen schon im Nahmen des Mahlers für das überschickte gedankt. – Meinen Jahrmarckt halt ich mir vor Ihnen selbst zu lesen, und Ihnen viel zu erzahlen. Und so hundert Grüse Ihren Lieben 11ten Juli 1773 Goethe
Vorbemerkung
Für Briefe Goethes an Sophie La Roche, deren Ausfertigung nicht überliefert ist, muss auf Abschriften zurückgegriffen werden; überliefert sind die folgenden:
ha: The Pierpont Morgan Library, New York, Misc. Heineman, H Goethe-Bettina, MSS 1.– 5 Doppelblätter und 1 Bl. 19,5 × 26 cm, die ersten 3 Doppelblätter und 1 Bl. mit Tinte, die letzten beiden Doppelblätter mit Bleistift beschr. – Abschrift von Bettine Brentano vom 2. oder 3. Juni 1806: „Vor acht Tagen habe ich 43 der schönsten Briefe Göthes abgeschrieben, an Frau v. La Roche, voll Liebe zu meiner Mutter 〈…〉.“ (Bettine Brentano an Achim von Arnim, 10. Juni 1806; zitiert nach: Bettinas Leben und Briefwechsel mit Goethe 〈…〉 hrsg. von Fritz Bergemann. Leipzig 1927, S. 22.) – Fortlaufende Abschrift auf unpaginierten Blättern, Briefe durch Querstriche voneinander getrennt, oft flüchtige Schrift, Chronologie nicht gewahrt. Das Konvolut enthält 42 (!) Briefe.
hb: The Pierpont Morgan Library, New York, Misc. Heineman, H Goethe-Bettina, MSS 1. – 42 Bl. 18,5(–19,5) × 23(–26) cm, 42 S. beschr., Tinte. – Abschrift von Bettine Brentano. – Jeder Brief auf einem gesonderten, nicht paginierten Blatt, sorgfältige Schrift. Das Konvolut enthält 41 Briefe und eine Bemerkung Bettine Brentanos (auf gesondertem Bl.).
hc: FDH/FGM Frankfurt a. M., Sign.: 10721–10732. – Abschrift von Johann Friedrich (Fritz) Schlosser, 1806: „Ich selbst nahm diese Abschriften im J. 1806 aus den mir von Frl. Bettine Brentano, nachheriger Frau von Arnim, zu diesem Zwecke mitgetheilten autographen Originalen.“ (Bemerkung Schlossers auf einem Umschlag zu den Abschriften.) – Jeder Brief auf einem gesonderten, nicht paginierten Blatt. Das Konvolut enthält 42 Briefe.
hd: GSA Weimar, Sign.: 29/294,III. – Abschrift von fremder Hd nach hc; Schlosser bemerkt dazu: „Vorstehende zwei und vierzig Briefe 〈…〉 sind collationirt mit einer von mir im J. 1806. genommenen Abschrift der mir damals von Fräulein Bettina Brentano, jetzt Frau v. Arnim, mitgetheilten für autograph angegebnen Originale Goethe's, mit welcher meiner Abschrift die vorstehende entnommen ist, – und ist letztere mit der meinigen gleichlautend befunden worden. / Stift Neuburg bei Heidelberg, 23. September 1841. / F. Schlosser.“ Das Konvolut enthält 42 Briefe.
he: Biblioteka Jagiellońska Kraków (Krakau), bis 1945 Preußische Staatsbibliothek Berlin, Sign.: V. 71. – Abschrift der Briefe Nr 6 , 172 , 184 und 268 von Karl August Varnhagen von Ense nach hb. 4 einzelne Blätter; Vs. links oben in der Ecke von Varnhagens Hd: „Abschrift nach Bettinens Abschrift.“; bei Nr 184 unter dem Text von Varnhagens Hd: „(Nach einer Abschrift Bettinens von Arnim.)“
Textgrundlage: ha. – he ist lediglich die Abschrift von hb, hd lediglich die Abschrift von hc; he und hd kommen daher als Textgrundlage nicht in Frage. Auch hc geht offensichtlich nicht auf die Originale, wie Schlosser angibt, sondern auf hb zurück; dies beweisen die bis auf Kleinigkeiten kongruenten Fassungen des Textes. Demnach haben Schlosser 1806 für hc nicht die Autographen, sondern deren Abschriften von Bettine Brentano vorgelegen. Wenn Schlosser 1841 von „für autograph angegebnen Originalen“ spricht, zeigt dies seine eigenen Zweifel daran, dass ihm für seine Abschrift die Briefe in Goethes Handschrift vorgelegen haben. Damit scheidet auch hc als Textgrundlage aus. hb schließlich erweist sich als Abschrift von ha, wenn auch nicht auszuschließen ist, dass in Einzelfällen auf H zurückgegriffen wurde. Einige charakteristische Beispiele für die Abhängigkeit der Abschrift hb von ha: In der Ausfertigung des Briefes (GB 1 I, Nr 117 ) schreibt Goethe Dass aber auch das Menschen Schicksaal ist ( 245,8–9 ); ha bietet zunächst genau diesen Text, korrigiert dann in des Menschen Schicksaal, und hb übernimmt diese glattere Version (hc ebenfalls). Im original überlieferten Brief Nr 6 steht in H im Datum deutlich die Jahreszahl 1773 ( 5,2 ); ha übernimmt diese Zahl korrekt, schreibt die 3 aber so, dass auch eine 5 zu lesen ist, wie dann hb liest (hc ebenfalls). Ein ähnlicher Vorgang lässt sich an der Jahreszahl des vorliegenden Briefes beobachten: Die undeutliche 3 in ha wird zur 5 in hb (in hc ebenfalls). In der Ausfertigung von Nr 268 schreibt Goethe und seinen alten Tagen, was freundlich s auch von meiner Seite zu bereiten ( 221,12–13 ); in ha wird dies zunächst übernommen, dann das und in ein gefälligeres um verändert, und so findet es sich in hb (in hc ebenfalls). Die Absätze werden in ha oft nur durch Gedankenstriche gekennzeichnet, hb hat die Einteilung in Absätze meist wieder eingeführt, oft unter Hinzufügung des Gedankenstrichs. Den Absatz in GB 1 I, Nr 117 nach unveränderlich bleibt. ( 244,17 ) gibt ha nicht an, während hb ihn wiedergibt. In einzelnen Fällen könnte also für hb noch einmal H verglichen worden sein.
Daraus folgt, dass ha der Textzeuge ist, der H am nächsten steht. ha bildet demnach in allen Fällen, in denen H nicht zur Verfügung steht, die Textgrundlage. Da der Vergleich mit den überlieferten Handschriften aber zeigt, dass auch ha in Orthographie und Interpunktion oft von H abweicht und hb möglicherweise hier und da auch auf H rekurriert, werden Abweichungen zwischen ha und hb als Überlieferungsvarianten verzeichnet. – Ebenso Hans Böhm: Über das Schicksal von Goethe-Handschriften. In: GJb N. F. 33 (1971), 185–198, hier bes. 192–195.
Überlieferung des vorliegenden Briefes:
H: Verbleib unbekannt.
h1: The Pierpont Morgan Library, New York, Misc. Heineman, H Goethe-Bettina, MSS 1. – Abschrift von Bettine Brentano vom 2. oder 3. Juni 1806 (= ha).
h2: The Pierpont Morgan Library, New York, Misc. Heineman, H Goethe-Bettina, MSS 1. – Abschrift von Bettine Brentano (= hb).
h3: FDH/FGM Frankfurt a. M., Sign.: 10721–10732. – Abschrift von Johann Friedrich (Fritz) Schlosser (= hc).
h4: GSA Weimar, Sign.: 29/294,III. – Abschrift von fremder Hd (= hd).
E: Frese (1877), 144, Nr 6 (nach h3).
WA IV 2 (1887), 95, Nr 160 (nach Goethe-La Roche, 15 f. [dort vermutlich nach einer nicht überlieferten Abschrift von h3; vgl. Reinhold Steig: Goethische Handschriften erhalten durch Bettina und Achim von Arnim. In: JbFDH 1910, 327]).
Textgrundlage: h1. – Vgl. Vorbemerkung.
Frankf:] Franckf: h2 haren] harren h2 hoffnung] Hoffnung h2 sie] Sie h2 briefes] Briefs h2 und Eigenheiten] fehlt h2 grosser] grösser h2 überrascht] überrascht, h2 Teil] theil h2 ist –] ist. Absatz h2 hier] Hier h2 24,] 24 h2 ×r] xr. h2 gedankt. –] gedankt. Absatz h2 vor] vor, h2 erzahlen] erzählen h2 hundert] Hündert 〈sic〉 h2 Grüse] Grüßen h2 Lieben] Absatz, Datum links, Unterschrift rechts unter dem Text h2 Goethe] Goethe h2
Der Brief beantwortet einen nicht überlieferten Brief Sophie La Roches (vgl. 35,19–20 ). – Ein Antwortbrief ist nicht bekannt.
hoffnung Sie zu sehen] Sophie La Roche kam Ende Juli/Anfang August zu einem Besuch nach Frankfurt (vgl. zu 5,27 ).
Götz] „Götz von Berlichingen“ war im Juni erschienen.
Merken] Johann Heinrich Merck hatte außer dem „Götz“ weitere Werke Goethes verlegt: „Von Deutscher Baukunst“, „Brief des Pastors zu *** an den neuen Pastor zu ***“ und „Zwo wichtige bisher unerörterte Biblische Fragen“.
beykommende Exemplare] Goethe versuchte, durch Mithilfe seines Freundeskreises den Verkauf des „Götz von Berlichingen“ zu fördern, um die Druckkosten zu decken (vgl. 150,21–24 ).
des Mahlers] Wer gemeint ist und wofür er dankte, wurde nicht ermittelt. Seit Loeper wird vermutet, es könne sich um Johann Ludwig Ernst Morgenstern oder Johann Andreas Benjamin Nothnagel, beide Maler in Frankfurt, handeln: „auf Goethe's Empfehlung wird La Roche denselben für seine Gemäldesammlung 〈…〉 beschäftigt haben.“ (Goethe-La Roche, 16.)
Jahrmarckt] „Jahrmarktsfest zu Plundersweilern“; die Farce wurde erst im Herbst 1774 veröffentlicht.
Ihren Lieben] Über Sophie La Roches Familie vgl. GB 1 II, einleitende Erläuterung zu Nr 117 sowie GB 1 II, zu 244,21 .