BuG:BuG I, A 484
Weimar 7./10. 11. 1775

Wieland an F. H. Jacobi 10. 11. 1775 (Wenig S. 66)

B2 128

Weimar 7./10. 11. 1775

Dienstag, den 7. d. M., Morgens um fünf Uhr ... ist Goethe in Weimar angelangt. – O mein bestes Brüderchen, was soll ich Dir sagen? Wie ganz der Mensch bei’m ersten Anblick nach meinem Herzen war! Wie verliebt ich in ihn wurde, da ich bei’m Geh. Rath v. Kalb (wo er wohnt) am nämlichen Tage an der Seite des herrlichen Jünglings zu Tische saß! u.s.w. – Alles, was ich Ihnen, (nach mehr als einer Krisis, die in mir diese Tage über vorging) jetzt von der Sache sagen kann, ist dies: Seit dem heutigen Morgen ist meine Seele so voll von Goethe’n, wie ein Thautropfe von der Morgensonne. – Denkt Euch das und alles Übrige dazu – ich bin zu voll, um schreiben zu können. – Aber dieß hab’ ich freilich bei dieser Gelegenheit erfahren: es ist unmöglich, Goethe selbst lange zu lieben, wenn man nicht gewiß ist, nicht fühlt oder zu fühlen glaubt, daß er uns auch liebe. Der göttliche Mensch wird, denk’ ich, länger bei uns bleiben, als er anfangs selbst dachte; und wenn’s möglich ist, daßaus Weimar was Gescheidtes werde, so wird es seine Gegenwart wirken. – So unaussprechlich groß, wichtig und lieb mir Goethe worden ist, so fühl’ ich doch im Innersten, daß auch Fritz Jacobi, anstatt dabei zu verlieren, mir noch theurer worden ist, als jemals. Mir ist, ich liebe Sie nun auch in Ihm – und das ist gewiß noch einmal soviel. – Wenn Sie Allwill’s Papiere in Einem Feuer fortschreiben könnten, sagt Goethe, und Wieland mit ihm, so wird es ein gar herrliches Werk werden.

Zitierhinweis

Online-Edition:
BuG I, BuG01_A_0484 (Ernst Grumach/Renate Grumach), in: https://goethe-biographica.de/id/BuG01_A_0484.

Entspricht Druck:
BuG I, S. 386 (Ernst Grumach/Renate Grumach).

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