Tagebuch­eintrag: GT, Nr. 7
21. Juni 1775, Mittwoch, Sankt Gotthard

21. halb 7. aufwärts.

allmächtig schröcklich.

Geschten.

gezeichnet.1 Noth und Müh2 – und schweis. Teufelsbrüke u. der teufel. Schwizen u. Matten u Sincken biss ans Urner Loch hinaus u belebung im Thal. an der Matte trefflichen Käss. Sauwohl3 u Projeckte.4

ab 35 Min auf 4.

Schnee, nackter Fels u Moos u Sturmwind u. Wolcken. das Gerausch des Waßer5 falls der Saumrosse Klengeln. Öde wie
im Thale des Todts
mit Gebeinen besäet.
Nebel See.

  1. gez Geschten. zeichnet. → Geschten. gezeichnet.  ↑
  2. × → Müh  ↑
  3. P → Sauwohl  ↑
  4. danach Rest des Blattes, ca zwei Drittel, leer ↑
  5. Wasser → Waßer  ↑

H: GSA 27/1


Das Tagebuch ist fast durchweg von Goethe eigenhändig geschrieben. Die Überschrift Den 15 Junius 1775. / Donnerstags morgen / aufm Zürchersee. (Bl 2 Vs) schrieb Johann Caspar Lavater, die Verfasser und Schreiber des zweiten bis neunten Vierzeilers (Bl 2 – Bl 3 Vs) sind Friedrich Leopold zu Stolberg, Lavater, Christian zu Stolberg, Lavaters Schwager Schinz, Philipp Christoph Kayser, Christian von Haugwitz, Johann Jacob Heß und Jacob Ludwig Passavant. Die Endreime der zweiten Strophe schrieb Goethe. Die Notiz Einer der herlichsten Waßerfälle der gantzen Gegend (Bl 12 Rs) schrieb Passavant. Die Eintragung Thallaman Caspar Antonj Meyer Drey König wird in Ursern an der Math. (Bl 16 Vs) schrieb Caspar Anton Meyer. (Zusätze von unbekannter Hand siehe unten.)

Die Eintragungen befinden sich in einem Heft (110 × 175 mm). Umschlag aus blaugrauem Kartonpapier. Auf dem vorderen Umschlagblatt von Riemers Hand die Überschrift »Tagebuch. Schweizerreise 1775.«. Die Blätter aus Konzeptpapier. Fadenheftung.

Blätter insgesamt (einschließlich des vorderen und hinteren Umschlagblattes): 16

Beschriebene Blätter: 10


Ein nachträglich eingelegtes, wohl um 1813, in Vorbereitung des Achtzehnten Buches von »Dichtung und Wahrheit«, von Goethe eigenhändig quer beschriebenes Blatt (110 × 90 mm), geripptes Schreibpapier. Tinte.

Vs: Liegende Akkolade, darunter: Speranza – dass die fremden Hunde die sich hier verlauffen ein Küssen finden. Von unbekannter Hand rechts oben mit Bleistift »23«.

Rs: (seitenverkehrt:) Der Frau


Schreibmaterial und Zusätze von unbekannter Hand:

Bleistift. Mit Tinte das Gedicht »Gib das tagwerck ...«.

Von Goethe mit Bleistift schräg, zum Teil kreuzweise durchgestrichen die chronologischen Eintragungen vom 16. bis 22. Juni 1775 und die Eintragung Speranza bis verlohren sind.

Die Blätter, einschließlich des vorderen und hinteren Umschlagblattes, von unbekannter Hand mit Bleistift paginiert jeweils Vorderseite rechts oben, die Rückseite der Blätter 11–15 zusätzlich links unten seitenverkehrt paginiert von »11​2« bis »15​2«.


Anordnung und Zählung der Handschrift:

Bl 1 Umschlagblatt

Bl 2 Vs: Überschrift: Den 15 Junius 1775. bis aufm Zürchersee.

Reimstrophe 1–4

Bl 2 Rs: Reimstrophe 5–8

Bl 3 Vs: Reimstrophe 9

Gedicht: »Ich saug an meiner Nabelschnur ...«

Gedicht: »Aug mein Aug was sinckst du nieder ...«

Bl 3 Rs: Gedicht: »Vom Berge in die See Vid. das Privat Archiv des Dichters Lit. L.«

Bl 4 Vs: Notiz: am Steeg bis Capele

Bl 4 Rs: Entwurf (quer geschrieben:) Und dem entgegnenden Priest bis erheitern

Bl 5–7 Vs leer

Bl 7 Rs: Gedicht: »Gib das tagwerck ...«

Bl 8–11 Vs leer

Bl 11 Rs: Notiz (seitenverkehrt geschrieben): Speranza bis verlohren sind

Bl 12 Vs leer

Bl 12 Rs–14 Vs (seitenverkehrt beschrieben von hinten nach vorn)

Bl 14 Rs–13 Vs: Tgb-Eintr 16.–21. Juni 1775: d 16. Abends bis Projeckte.

Bl 12 Rs: Tgb-Eintr 21.–22. Juni 1775: ab 35 Min auf 4. bis s-st. D.

Bl 15 Vs–15 Rs (seitenverkehrt quer beschrieben)

Bl 15 Rs: Entwürfe. Notizen: Doch mir stehn fest bis alber zu stellen

Bl 15 Vs: Entwürfe. Notizen. Bruchstücke: Und die ewig verderblihe bis sein selbst willen

Bl 16 Vs (Innenseite des hinteren Umschlagblattes): Eintragung: Thallaman Caspar Antonj Meyer bis Schiling


D:

WA III 1, 1–7, udT: Schweiz 1775.

21.] Siehe »Dichtung und Wahrheit«, Achtzehntes Buch (DuW 1, 615; WA I 29, 121–122).

aufwärts. allmächtig schröcklich] Siehe »Dichtung und Wahrheit«, Achtzehntes Buch (DuW 1, 615; WA I 29, 121): 〈…〉 aufwärts; die Felsen wurden immer mächtiger und schrecklicher, der Weg bis zum Teufelsstein ⟨Felsbrocken bei Göschenen⟩, bis zum Anblick der Teufelsbrücke immer mühseliger.

gezeichnet] »Teufelsstein«, Bleistift (Corpus I, Nr 125; Datierung: Schweiz 1775); »Teufelsstein«, Bleistift, eigh Datierungs- und Lokalisierungsvermerk Goethes: 23 Jun Teufels Stein (Corpus I, Nr 123); »Teufelsbrücke«, flüchtige Bleistiftskizze, eigh Datierungs- und Lokalisierungsvermerk Goethes: 23 Jun Teufels Brücke (Corpus I, Nr 126); »Teufelsbrücke«, Bleistift, eigh Datierungs- und Lokalisierungsvermerk Goethes: 23 Teufels Brücke (Corpus I, Nr 127); »Im Urner Loch«, Bleistift, eigh Datierungs- und Lokalisierungsvermerk Goethes: 22. Jun Urner Loch (Corpus I, Nr 119); »Am Urner Loch«, Bleistift, eigh Datierungs- und Lokalisierungsvermerk Goethes: 23 Jun Urner Loch (Corpus I, Nr 122). Bezeugt ist die verschollene Zeichnung »Felsental«, Bleistift, Datierungsvermerk von unbekannter Hand: »Juni 1775, I. Schweizerreise« (Corpus VI B, Nr 23).

der teufel] Der Teufelsstein.

belebung im Thal] Im Urserental. Siehe »Dichtung und Wahrheit«, Achtzehntes Buch (DuW 1, 615; WA I 29, 122): Die grünenden Wiesen des Thales waren wieder am Fluß her mit kurzen Weiden geschmückt; man erfreute sich hier einer lange vermißten Vegetation.

trefflichen Käss] Siehe die Legende zum Urserental auf der Landkarte Gabriel Walsers von 1765 (zit. nach Barbara Schnyder-Seidel: Goethes letzte Schweizer Reise. Frankfurt am Main 1980, S. 261): »In diesem Thal, das auf beiden Seiten mit hohen steilen Felsen und Eisbergen eingeschlossen ist, wächset ohne einige menschliche Cultur ein sehr fettes Gras und wird allhier der fette und delicate Urseler Käs der wegen seiner Fettigkeit wie der Butter auf dem Brod kan verstrichen werden, gemacht.«

ab 35 Min auf 4.] Am Nachmittag des 21. Juni 1775. Siehe »Dichtung und Wahrheit«, Achtzehntes Buch (DuW 1, 616; WA I 29, 122): Den 22. halb 4. Uhr verließen wir unsre Herberge, um aus dem glatten Ursener Thal ins steinigte Liviner Thal einzutreten.

Schnee bis der Saumrosse Klengeln. Öde] Siehe »Dichtung und Wahrheit«, Achtzehntes Buch (DuW 1, 616; WA I 29, 122): 〈…〉 hier ward sogleich alle Fruchtbarkeit vermißt; nackte, wie bemooste Felsen, mit Schnee bedeckt, ruckweiser Sturmwind, Wolken heran und vorbeyführend, Geräusch der Wasserfälle, das Klingeln der Saumrosse in der höchsten Oede 〈…〉. Vgl das Gedicht »Kennst du das Land ...« (»Wilhelm Meisters Lehrjahre«, Drittes Buch; WA I 21, 233), Verse 16–19: 〈…〉 Kennst du den Berg und seinen Wolkensteg? / Das Maulthier sucht im Nebel seinen Weg, / In Höhlen wohnt der Drachen alte Brut, / Es stürzt der Fels und über ihn die Fluth 〈…〉.

im Thale des Todts] Gemeint ist der zwischen Hospental und dem Gotthard-Paß gelegene Teil des Urserentales.

Nebel See] Auf der Paßhöhe des Sankt Gotthard befinden sich mehrere kleine Seen. Siehe »Dichtung und Wahrheit«, Achtzehntes Buch (DuW 1, 616; WA I 29, 123): Endlich gelangten wir an kleine Nebelseeen, wie ich sie nennen möchte, weil sie von den atmosphärischen Streifen kaum zu unterscheiden waren.

 

 
 

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Zitierhinweis

Online-Edition:
GT I, 21.6.1775 (Wolfgang Albrecht/Andreas Döhler), in: https://goethe-biographica.de/id/GT01_0007.

Entspricht Druck:
Text: GT I 1, S. 6 (Wolfgang Albrecht/Andreas Döhler), Stuttgart 1998.
Kommentar: GT I 2, S. 379–380 (Wolfgang Albrecht/Andreas Döhler), Stuttgart 1998.

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