Goethes Briefe: GB 2, Nr. 27
An Johann Christian Kestner

〈Frankfurt a. M. , 14. April 1773. Mittwoch〉 → 〈Wetzlar〉


Mittwochs. Ich habe Annchen gestern verfehlt, und will ietzo hingehen, ich fürchtete halb ihr mögtets seyn und mich anführen. denn ich geh morgen nach Darmstadt und da wär überall leid gewesen. Eure Plays kriegt Anngen mit. Auch an Hansen ein Paquet. Ich habe noch den ​Pränumerations Schein auf die Biblischen Kupfer, ich will ihn behalten und wenn sie herauskommen Disponirt drüber. Anngen ​ 1 bringt euch auch f 2: 30 Kr von der Carolin wieder der grose kostete einen Duckaten der kleine ​ 2 3 f 30. Auch euren Ring. Lottens granat ring will ich behalten ich hab ihr ihn so tausenmal am finger gesehn und am Finger geküsst er soll unter meinen Bijous liegen biss ich ein Mädgen habe die soll ihn tragen. Grüsst mir euern Engel und Lengen lieb, und schreibt wegen des Merkurs an meine Schwester. Die euch grüsst. /


Anngen ist lieb und brav, hat mir Lottens Brautstraus mitgebracht wohl conservirt, und ich hab ihn heut vorstecken. Ich höre Lotte soll noch schöner lieber und besser seyn als sonst, und dass ihr nicht mit kommen seyd ist auf alle Art nicht hübsch. Grüsst mir Lengen und ihre Freundinn Dorthel, Anne hat mir alles erzählt, wie sie beysammen ​ 3 schlafen, und in alles nur nicht in die Liebhaber teilen ​ 4 , wie ​ 5 der quasi Hofrath fortfährt ein Esel zu seyn pp. Alles erzählt und ich mich ergötze zu horen von euch, gleich wie ich Johannistrauben zu pflücken und Quetschen zu ​ 6 schütteln ​ 7 mir ohne dessen wünschte heute morgen übermorgen ​ 8 und mein ganzes Leben. Grüsst Schneidern wenn er mein denckt und Kielmansegg. Poccocelli hat mir gestern in der Messe einen Grus von ihm bracht. Wir haben einen Teufels Reuter hier und Comöedien und Schatten und Puppenspiel, das könnt ihr Lotten sagen hätt ich ihr all gewiesen wenn sie kommen wäre nun aber —— wärs auch gut —— Schattenspiel Puppenspiel 9 .

  1. Hier Anngen​ ↑
  2. klei× ​ne​ ↑
  3. bes ​ysammen​ ↑
  4. teilt ​en​ ↑
  5. g wie​ ↑
  6. ⎡zu⎤​ ↑
  7. schüttl ​eln​ ↑
  8. übermog ​rgen​ ↑
  9. Pu|p|penspiel​ ↑

Die Datierung folgt dem Empfangsvermerk Kestners (vgl. Überlieferung) in Verbindung mit Goethes Tagesangabe Mittwochs ( 22,12 ). – Der Brief wurde möglicherweise gemeinsam mit Nr 28 und 29 durch Anna Brandt befördert (vgl. Datierung zu Nr 29 ).

H: GSA Weimar, Sign.: 29/264,I,2, Bl. 27. – 1 Bl. 17,4 × 21,4(–21,7) cm, 1 ¾ S. beschr., egh., Tinte, flüchtig geschrieben; S. 1 oben in der Mitte Empfangsvermerk, Tinte: „acc. W. / 16. Apr. 73. von Frckfurt“.

E: Goethe und Werther​1 (1854), 157 f., Nr 67.

WA IV 2 (1887), 78 f., Nr 142.

Ein Bezugsbrief ist nicht bekannt. – Der Antwortbrief (vgl. 23,18 ) ist nicht überliefert.

Annchen] Anna Brandt, Charlotte Kestners Wetzlarer Freundin und Nachbarin, die offenbar zu Gast in Frankfurt war.

ich geh 〈…〉 Darmstadt] Goethe reiste am 15. April nach Darmstadt (vgl. 24,6 ), wo er bis zum 3. Mai blieb (vgl. 27,1 ).

Plays] Vgl. zu 22,9 .

Hansen] Hans Buff.

​Pränumerations Schein] Vorauszahlungsbeleg.

Biblischen Kupfer] In den FGA vom 20. Oktober 1772 war eine von Schlosser stammende „Nachricht von einer Sammlung biblischer Geschichte in Kupfer geätzt 〈von Johann Rudolf Schellenberg〉. Winterthur 1772“ erschienen (Nr 84, S. 672; vgl. Bräuning-Oktavio, FGA 1772, 692, Nr 317). Es folgte der Hinweis, dass der Verleger der FGA Pränumerationen annehme.

von der Carolin] Kestner hatte für die Bezahlung seiner Eheringe eine Goldmünze (Karolin) übersandt.

f 2: 30 Kr] 2 Gulden, 30 Kreuzer.

euren Ring. Lottens granat ring] Proberinge zur Anfertigung der Eheringe.

tausenmal] Verschrieben für ‚tausendmal‘.

Bijous] Von franz. bijou: Kleinod; im 18. Jahrhundert auch allgemein für kleine Dinge, Spielwerk und den weiblichen Putz (vgl. Zedler, Suppl.-Bd: Barc–Bod, 1223).

Lengen] Charlotte Kestners Schwester Helene Buff (vgl. GB 1 II, zu 248,10 ).

Merkurs] Vgl. die zweite Erläuterung zu 22,6 .

Dorthel] Dorothea Brandt.

wie der quasi Hofrath 〈…〉 seyn] Anspielung auf Johann Jakob Christian Dietz, den Sohn von Goethes Großtante, der Hofrätin Lange, der 1777 Caroline Buff heiratete (vgl. zu 11,27–28 ).

heute morgen 〈…〉 ganzes Leben] Eine von Goethe damals häufiger gebrauchte Wendung in Anspielung auf Rousseaus „La Nouvelle Heloïse“ (5. Teil, 7. Brief; vgl. GB 1 II, zu 114,34 ).

Poccocelli] Auch Pokkozelli. – Nicht ermittelt; vermutlich war ein gemeinsamer Wetzlarer Bekannter gemeint.

Wir haben einen Teufels Reuter 〈…〉 Puppenspiel.] Während der Frankfurter Messen traten wandernde Schauspielertruppen und Schausteller auf, die entweder Räume in Gasthäusern anmieteten oder auf eigene Kosten hölzerne ‚Buden‘ aufstellten.

Teufels Reuter] Damit ist wohl das aus England stammende Ehepaar Walton gemeint. Am 15. April 1773 erschien in den „Franckfurter Frag- und Anzeigungs-Nachrichten“ die Mitteilung, dass die Waltons „mit gnädigster Erlaubniß 〈…〉 auch die Ehre allhier haben, verschiedene wunderbare Kunststücker zu Pferde, mit neuen Exercitien vermehret, vorzustellen.“

Comöedien] Vermutlich ist die in Frankfurt gastierende Schaubühne von Marchand gemeint (vgl. zu 24,5–6 ).

gewiesen] Umgangssprachlich für ‚gezeigt‘ (vgl. Adelung 4, 1464).

 

 
 

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Zitierhinweis

Online-Edition:
GB 2, Nr 27 (Elke Richter / Georg Kurscheidt), in: https://goethe-biographica.de/id/GB02_BR027_0.

Entspricht Druck:
Text: GB 2 I, S. 22–23, Nr 27 (Elke Richter / Georg Kurscheidt), Berlin 2009.
Kommentar: GB 2 II, S. 48–50, Nr 27 (Elke Richter / Georg Kurscheidt), Berlin 2009.

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