Goethes Briefe: GB 2, Nr. 187
An Johann Georg Jacobi mit Friedrich Heinrich Jacobi

〈Frankfurt a. M. 〉, 28. Januar 1775. Samstag → 〈Düsseldorf〉



Freu dich, lieber guter George, noch in den 2t Band der Iris giebt uns Göthe ein Drama mit Sang, so schön, so herrlich daß du närrisch werden wirst wann du's ließt. Binnen 8 Tagen soll's fix u fertig seyn. Auch werdℓ gleich eine oder ​ 1 zween der populairsten Arien in Musick gestochen u sollℓ beygefügt werden. Mit diesem Drama, ​Ervin und Elmire , soll das 3te Stück des IIt Theils ​ 2 der Iris anfangen. Morgen schreib ich's an Rost. Schreib's ihm auch den Augenblick, damit er keine Streiche macht, denn er wird des Teufels darüber werdℓ daß wir ihm so viel Raum wegnehmen. – Adieu, laß ​ 3 dir's wohl seyn; ich bin in Gott, selbst ein Gott, leb wohl, ich will dir gnädig seyn –

Frz


Weilen ich über allerley Eyern Brüte, worunter auch ​ 4 freylich Guckucke u. Basilisken flick werden, welche für Ihre Menagerie nicht taugen, kann ich so viel nicht hergeben als ich wohl möchte. Wir haben herrliche ​ 5 Tage, deren Ihnen der gute Geist auch gewähre!      G.


tournez S. V. P. /

Hier eine Arie 6 zur Probe aus Ervin u Elvire:


Ihr verblühet süße Rosen, meine Liebe trug euch nicht, blühtet, ach, dem Hoffnungslosen, dem der Gram die Seele bricht.
Jener Tage denk' ich traurend, als ich, Engel, an dir hing, auf das erste Knöspchen laurend früh zu meinem Garten gieng.
Alle blüten, alle Früchte, noch zu deinen Füßen trug, und vor deinem Angesichte hoffnungsvoll die Seele schlug. –
Ihr verblühet süße Rosen.

Das Veilchen, das Göthe einst Lottchen schickte, gehört auch in dies Drama. – Seltsam ​ 7 ist, daß das Ganze sich so vortrefflich in die Iris schickt; ich möchte sagen, dafür ausdrücklich componiert worden zu seyn. Es ist gewißermaßen ein Stuck 8 Erziehung zur der Töchter

  1. eine∫oder ​(o​ korrigiert) ​ ↑
  2. ⎤des IIt Theils⎤​ ↑
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  5. hr ​errliche​ ↑
  6. Arang Arie​ ↑
  7. Sat ​eltsam​ ↑
  8. Th××××× Stuck​ ↑

H: Öffentliche Bibliothek Universität Basel, Autographensammlung Karl Gelzer 27. – 1 Bl. 19 × 23,5 cm, 2 S. beschr., Friedrich Heinrich Jacobis Hd (Petitdruck) und egh., Tinte; der abrupt endende Brieftext scheint nicht vollständig zu sein.

E: John Meier: Eine ungedruckte Briefnotiz des jungen Goethe. In: GJb XXXI (1910), 47.

WA IV 50 (1912), 7, Nr 285a.

Ein Bezugs- und ein Antwortbrief sind nicht bekannt.

Bey Göthe] Friedrich Heinrich Jacobi hielt sich etwa vom 8. Januar bis 5. Februar in Frankfurt auf.

Jenner] Im Oberdeutschen ‚Januar‘ (vgl. Grimm 10, 2263).

Iris] Von Johann Georg Jacobi herausgegebene und von Wilhelm Heinse redigierte Damenzeitschrift (vgl. zu 75,13 ).

Arien in Musick gestochen] Es gibt keine Notenbeilage in der „Iris“.

Ervin und Elmire] Goethes Singspiel erschien im März 1775 in der „Iris“ (2. Band. 3. Stück, S. 161–224).

Rost] Wilhelm Heinse; über sein Pseudonym vgl. die dritte Erläuterung zu 111,28 .

allerley Eyern 〈…〉 nicht taugen] Möglicherweise dachte Goethe bereits an Erwiderungen auf die im Januar 1775 erschienene Parodie „Freuden des jungen Werthers“ von Christoph Friedrich Nicolai (vgl. zu 166,12 linke Spalte). In diesem Zusammenhang entstanden das Gedicht „Freuden des iungen Werthers“ (DjG​3 5, 26; später unter dem Titel „Nicolai auf Werthers Grabe. 1775“; WA I 5.1, 159) und die Farce „Anekdote zu den Freuden des iungen Werthers“ (WA I 38, 39–43), deren Entstehung auf Februar 1775 zu datieren ist. Beides schien sich nicht für eine Damenzeitschrift zu eignen.

Guckucke] Mit dem Kuckuck, der seine Eier in fremden Nestern ausbrüten lässt, war im Volksglauben eine „fast unübersehbare Anzahl abergläubischer und irrtümlicher Vorstellungen“ verbunden (Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens. Hrsg. 〈…〉 von Hanns Bächtold-Stäubli. Bd 5. Berlin und Leipzig 1932/1933, S. 690). Er galt als unglücksbringend, verkörperte etwas Untergeschobenes und Minderwertiges, und sein Name wird bis heute euphemistisch für den Teufel gebraucht (,Zum Kuckuck!‘).

Basilisken] Fabelwesen; in der Antike schlangenförmig mit tödlichem Biss, Atem und Blick; im Mittelalter halb Drache, halb Hahn, aus missgebildeten Hühnereiern von Schlangen und Kröten ausgebrütet, mit tödlichem Blick.

flick] Synonym zu „flügg, flügge“ (Grimm 3, 1773).

Ihre Menagerie] Gemeint ist die „Iris“.

tournez S. V. P.] Franz. tournez s'il vous plaît: Bitte (das Blatt) wenden!

Arie] Von Erwin gesungen (vgl. WA I 38, 90).

Das Veilchen] Arie der Elmire (vgl. DjG​3 4, 31; ferner DjG​3 5, 44 f.).

Lottchen schickte] Goethe hatte das Lied 1773 an Charlotte Jacobi geschickt, die es abschrieb (Text: DjG​3 4, 337 f.) und ihrem Bruder Johann Georg sandte (vgl. die vierte Erläuterung zu 68,2 ).

Var. Th××××× Stuck] In JB II 1, 243 wird ‚Theilen‘ gelesen.

Erziehung der Töchter] Aufsatz im 3. Stück des 1. Bandes der „Iris“ (Dezember 1774, S. 3–14; von Heinse?).

 

 
 

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Zitierhinweis

Online-Edition:
GB 2, Nr 187 (Elke Richter / Georg Kurscheidt), in: https://goethe-biographica.de/id/GB02_BR187_0.

Entspricht Druck:
Text: GB 2 I, S. 159–160, Nr 187 (Elke Richter / Georg Kurscheidt), Berlin 2009.
Kommentar: GB 2 II, S. 393–394, Nr 187 (Elke Richter / Georg Kurscheidt), Berlin 2009.

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