Goethes Briefe: GB 2, Nr. 17
An Hans Buff

〈Frankfurt a. M. , 15. März 1773. Montag〉 → 〈Wetzlar〉

〈Druck〉

Vielgeliebter Herr Hans.

Ihr Brief an die liebe Schwester hat mich so ergötzt, dass ich nicht länger mich halten kann an Sie zu schreiben, und Sie zu bitten mir wenigstens wöchentlich einmal Nachrichten von Ihrem Haus und Hof und was drinnen vorgeht zu geben.

Ich bitte Sie darum bey unsrer alten Freundschaft die auch vor die Zukunft dauerhaft bleiben wird. Sie wissen wie lieb und herzlich mir alles ist was aus dem teutschen Haus kommt, Sie haben mich eine gute Zeit so nahe gehabt als einen Vetter und näher vielleicht. Drum, wie ich sage, lieber Hans schreiben Sie mir die Woche gewiß einmal was passirt, damit ich auch wisse wie meine Kleinen sich aufführen. Die Sie alle recht herzlich grüßen werden. Und empfehlen Sie mich Carlingen und Lengen und Lotten wenn sie wieder kommt viel hundert mal.

Der Ihrige Goethe.

Die Datierung folgt Kestners Empfangsvermerk zu Nr 16 , dem der vorliegende Brief beigeschlossen war (vgl. Datierung und Überlieferung zu Nr 16 ).

H: Verbleib unbekannt. – Beischluss zu Nr 16 (vgl. 15,6–7 ).

E: Goethe und Werther​1 (1854), 143, Nr 57.

D: WA IV 2 (1887), 70 f., Nr 132.

Textgrundlage: E. – Der Abdruck des Briefes in D ist identisch mit E, was darauf schließen lässt, dass E die Druckvorlage war, wenngleich in den „Lesarten“ der WA pauschal für alle Briefe an Hans Buff angegeben wird, sie seien nach den Handschriften der Ausfertigungen wiedergegeben (vgl. WA IV 2, 310 f., zu Nr 89). Auch Morris lag für diesen Brief die Handschrift nicht vor, seine Druckvorlage war die 2. Auflage von „Goethe und Werther“ (1855), deren Text identisch mit E ist (vgl. DjG​2 6, 259 f., zu Nr 136).

Der Brief bezieht sich auf Hans Buffs Brief an seine Schwester Charlotte vom 12. März 1773, dessen Abschrift Goethe durch Kestner erhalten hatte (vgl. zu 15,20 ). – Ein Antwortbrief ist nicht bekannt.

Johann (Hans) Buff (1757–1840) war der älteste von Charlotte Buffs sieben jüngeren Brüdern, die Goethe 1772 während seines Wetzlarer Aufenthaltes im Hause des Deutschordens-Amtmanns Henrich Adam Buff kennen gelernt hatte (vgl. GB 1 II, einleitende Erläuterungen zu Nr 99 , 101 ). Wie mit den anderen Geschwistern Charlotte Buffs verband Goethe auch mit Hans ein herzliches Verhältnis, das in den ersten Jahren nach dem Wetzlarer Aufenthalt erhalten blieb und sich durch die Korrespondenz noch vertiefte. – Der vorliegende Brief ist der erste von insgesamt 20 überlieferten Briefen Goethes an Hans Buff. Der Briefwechsel setzte kurz vor der Heirat Charlotte Buffs mit Johann Christian Kestner ein und wurde nach der Übersiedlung des Paares nach Hannover im Juni 1773 besonders intensiv. In den Monaten von Juni bis Dezember 1773 war es vor allem Hans, durch den Goethe Verbindung zur Familie Buff und den Freunden in Wetzlar hielt. An Charlotte und Johann Christian Kestner in Hannover schrieb Goethe in dieser Zeit seltener (vgl. Nr 51 , 54 , 61 ). Wiederholt übertrug Goethe dem damals 16-Jährigen Commissionen ( 37,19 ) im Familien- und Freundeskreis oder ließ durch ihn Briefe an die Kestners in Hannover befördern. Aus Goethes Briefen ist zu entnehmen, dass Hans die Aufträge zuverlässig erledigte. Auch die Bitte, regelmäßig Nachrichten von Ihrem Haus und Hof und was drinnen vorgeht zu geben ( 15,22–23 ), scheint er erfüllt zu haben, schrieb Goethe doch am 25. Dezember 1773 an Johann Christian und Charlotte Kestner nach Hannover: Euer Hans schreibt mir immer wies im deutschen Haus hergeht, und so hab ich eine komplete Chronick aller Löcher, Beulen, und Händel von einigem Belang seit eurer Abreise. ( 63,27–29 .) Obwohl keiner der Briefe Hans Buffs überliefert ist, muss er diesem Brief Goethes an die Kestners zufolge vor allem in der zweiten Jahreshälfte 1773 häufig an Goethe nach Frankfurt geschrieben haben. In der Zeit des freundschaftlichen Briefverkehrs mit Goethe besuchte Hans die Lateinschule in Wetzlar, die er Ostern 1775 beendete, um danach in Gießen die Rechte zu studieren. Später setzte er seine Studien in Göttingen fort. Aus dieser Zeit stammt die knappe Charakteristik Heinrich Christian Boies, der Charlotte Kestners Bruder während eines Besuchs in Hannover im Frühjahr 1777 persönlich begegnet war: „Er wünscht Dich 〈Bürger〉 kennen zu lernen und Du wirst deine Freude an dem guten, offenen Jungen haben.“ (Boie an Gottfried August Bürger; zitiert nach: Gloël, 127 f.) Im November 1778 wurde Hans Buff Praktikant am Reichskammergericht in Wetzlar. Der briefliche Kontakt zu Goethe scheint aber schon mit dessen Übersiedlung nach Weimar im November 1775 zum Erliegen gekommen zu sein. Der letzte erhaltene Brief Goethes an Hans Buff stammt vom 9. August 1775 ( Nr 255 ).

Ihr Brief an die liebe Schwester 〈…〉 ergötzt] Gemeint ist offenbar Hans Buffs Brief an seine Schwester Charlotte vom 12. März 1773, der Kestners nicht überliefertem Brief an Goethe vom 13. oder 14. März 1773 in einer Abschrift beigelegen haben muss (vgl. die erste Erläuterung zu 15,6 ). Die Abschrift ist nicht überliefert. Hans Buffs Brief wurde mehrfach gedruckt, zuerst in Eugen Wolfs „Blättern aus dem Werther-Kreis“ (Breslau 1894, S. 41), danach: Gloël, 128 f.; Goethe-Kestner, 140–142.

Hertzliebste Schwester!

Ich muß dir doch auch einmahl schreiben: und zwar wovon? von unseren Haußangelegenheiten: von dem grösten bis zum Kleinsten will ich dir alles erzehlen. Von der Carline fange ich an. Dieser muß ich das Lob beylegen, daß sie sich recht gut aufführet, hält gute Zucht, verträgt sich mit der Lenge sehr wohl, und tritt völlig in deine Fußtapfen. Die Lenge ist ganz ein ander Mädgen; sonst war sie zwar auch prav, d[er] z[eit] ist sie aber doch viel präver; sie ist die zweyte Lotge. Von mir will ich dir nichts sagen; mich zu loben schickt sich nicht, und schelten mag ich mich nicht. Der Willhelm ist ein ganzer Mensch, wie allzeit. Erst gestern nach dem Essen zanckte er sich mit der Caroline: diese führte sich auch sehr klug hierbey auf. Sie ließe ihn mit gröster Gelassenheit, ohne roth zu werden zancken, und in aller Grandesse schüttete sie ihm ein Glas Wasser über den Kopf herunter. Der Willhelm schwiege still, und die Caroline ginge in aller Gelassenheit mit dem lehren Glaß zur Thür hinauß. Ist dieses nicht eine gute Methode einem das Maul zu stopfen? Du weist aber doch viel bessere Mittel als solche nasse, mit Ohrfeigen und Worten kanst du ohne ein Haar naß zu machen, noch mehr ausrichten. Der Sophie ist es gerathen, daß sie nicht hier ist, ihr loßes Maul, ihr schwarzes Haar, und noch was mehr sollten gewiß herhalten. Itzt will ich sie aber verschonen. Der Fritz ist noch der Fritz, niemand kann ihn besser bezwingen als du. Vorgestern hatte er ein Duell mit der Friederike, er wehrte sich mit der OfenGabel, und die Friederike mit der Feuerkluft. Heute morgen hat er sich mit dem Franz Carl Tapfer geprügelt, und die Mlle. Dorthel oben drauf eine Sau gescholten. Dies sind seine Helden-Thaten. Der George ist ein Topmäuser: er kann die Leute recht Divertiren. Er wollte der Sophie im beyliegendem Briefe eine heimliche Freude machen, und schriebe, die Ammel hätte ihr eine Silberne Schelle verlohren, es ist aber nicht wahr, weiter ist nichts merckwürdiges von ihm zu sagen. Die Ammel ist ein Nasenweises Ding, noch vorhin hat sie die Oberhofmeisterinn angebunden, daß sie stricken sollte, die Bellotte hat sie aber fleisiger in Händen, als das StrickenZeug. Der Albrecht ist noch der alte Philosophische Plegmaticus. Er gehet den ganzen Tag wie gewöhnlich mit der SchlafBetzel herum, bindet sich keine Strümpfe, und ist noch der vorige SchlumpHanß. Der Ernst ziehet herum wie der LappenHenrich, doch noch ein wenig civilisirter als der Albrecht. Eben hängen ihm 2 GlockenSäuler aus der Nase in den Mund. Er ist aber bey allem diesem ein praver Kerl, sein Bauch ist so dick wie immer, so daß ihm alle Knöpfe am Camisol abgesprungen. Der Loui ist ein recht Lustiger Bursche, wann er nur zu essen hat. Gestern morgen legte er sich wegen Kopfweh auf das Canabee. Sobald es aber Mittag ware, und er die Suppe nur sahe, war der Loui am ersten bey der Hand. Er hat sich den besten Platz im ganzen Hauß zum schlafen ausgesucht, deinen zurückgelassenen neben der Caroline, und will solchen auch mit aller Gewalt niemand cediren. Heute ist er 4 Jahre alt worden. Uebrigens sind wir noch insgesamt recht gesund. Morgends Mittags und Abends essen wir, des Nachts schlafen wir. Von Neuigkeiten weiß ich weiter nichts, als daß die Frau v. Voltz sehr schlecht ist. Dies sind meine Neuigkeiten, denn in den Fasten gehet es, wie bekannt, sehr traurig hier zu. Wann nicht jemand kranck wird, oder stirbet, so weiß man gar nichts.

… Es grüßet dich hierbey die Caroline, es grüßet dich die Lene, es grüßet dich der Willhelm, es grüßet dich der Fritz, es grüßet dich der George, es grüßet dich die Ammel, es grüßet dich der Albrecht, es grüßet dich der Ernst, es grüßet dich der Loui, es grüßet dich das Brand'sche Hauß, hauptsächlich die Mlle. Ange, und du möchtest ihr bald wieder schreiben, es grüßen die K[estner] Sch[neider] D[ietz], es grüßet dich das ganze Teutsche Hauß, und was dazu gehöret. Lebe wohl und behalte mich lieb, ich versichere, daß ich bin

Dein

getreuer Bruder

J. C. Buff.

Wetzlar den 12. Märtz 1773.


(Zitiert nach: Goethe-Kestner, 140–142.)


teutschen Haus] Das „Teutsche Haus“, das Wohnhaus der Familie Buff, gehörte zu dem schon im 13. Jahrhundert begründeten, von einer hohen Mauer umgebenen Deutschordenshof, dem Verwaltungssitz des Deutschen Ritterordens für Wetzlar und Umgebung.

meine Kleinen] Gemeint sind wahrscheinlich die jüngsten Brüder Albrecht, Ernst und Ludwig Buff, geboren 1766, 1767 und 1769.

Carlingen und Lengen] Caroline Buff, die 1751 geborene älteste Schwester, lebte zu dieser Zeit noch im Elternhaus. Sie heiratete 1777 Johann Jakob Christian Dietz, einen Großcousin Goethes. Helene, die 1756 geborene drittälteste Schwester Hans Buffs, hatte Goethe während seiner Wetzlarer Zeit vermutlich nicht persönlich kennen gelernt (vgl. GB 1 II, zu 248,10 ), weshalb er sich ein Porträt von ihr erbeten hatte.

Lotten wenn sie wieder kommt] Wie aus dem oben mitgeteilten Brief Hans Buffs an seine Schwester Charlotte hervorgeht, war diese in der ersten Märzhälfte 1773 verreist.

 

 
 

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Zitierhinweis

Online-Edition:
GB 2, Nr 17 (Elke Richter / Georg Kurscheidt), in: https://goethe-biographica.de/id/GB02_BR017_0.

Entspricht Druck:
Text: GB 2 I, S. 15–16, Nr 17 (Elke Richter / Georg Kurscheidt), Berlin 2009.
Kommentar: GB 2 II, S. 31–34, Nr 17 (Elke Richter / Georg Kurscheidt), Berlin 2009.

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