Briefe an Goethe: RA 1, Nr. 8
Von Friedrich Wilhelm Gotter

Juni oder Juli 1773, ? Gotha

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Ich schon bis in den neunten Tag Am Röthlein hart darnieder lag, Wobei von Weiblein jung und zart, Wie Weislingen gepfleget ward, Als mir der Göz zu Händen kam, Den alsobald ein Mägdlein nahm, Und mir, weil selbst nicht lesen sollt, Mit süßer Stimme lesen wollt. Als aber kaum das Werk begann, Sie wider einen Scheiskerl rann, Und wurde flugs wie Scharlach roth, Drob ich mich lachen thät halb todt. Sie ließ sich drum nicht schrecken ab, Marien sie gut Zeugniß gab, Auch Gözens Hausfrau liebgewann, Die ihrem rauhen Panzermann Stets unbedingt Gehorsam leist, Was man an Luthers Käth nicht preist. Die Adelheid nicht konnt ausstehn, | 2 | Doch Georgen gern hätt leben sehn, Auch Weißlingen ein besser End Aus Christenliebe hätt gegönnt. Den Gözen nicht genug verstand, Ihn etwas Donquixottisch fand. Dafür soll sie verurtheilt seyn Des kleinen Jacobs Liedelein Und Kolbles fommes Judenkind Straks herzubeten für ihre Sünd. Ob aber gleich gesonnen wär Den Göz zu spielen zu deiner Ehr, Auch einen Bub, der rüstig ist, Von Schweizer Blut, für Gözen wüßt; So thut mir doch im Kopf rum gehn Wo ich die Thäler und die Höhn, Die Wälder, Wiesen und Moräst, Die Warten und die Schlösser fest, Und Bambergs Bischoffs Zimmer fein, Und des Thurmwärters Gärtlein klein, Soll nehmen her und so staffier, Daß Hokuspokus! alt changier. | 3 | Auch möchte gar wen graun, daß nicht Der Reuter seine Noth verricht Und Göz dem Feind zum Schur und Graus Steck seinen Ars zum Fenster raus. Das Weibsbild hier gar körrisch ist, Weil's Tag und Nacht französisch liest. Das Mannsvolk, in Paris gewest, Nur das Theatrum hält fürs best Wo alles züchtiglich geschicht, Und alles in Sentenzen spricht. Drum laß dir nur die Lust vergehn Bey ihnen in der Gnad zu stehn. Nimm denn mit meinem Dank vorlieb! Was dich den Göz zu schreiben trieb Das zwickt auch mich so lange bis Ich mich vom Bösen blenden ließ. Da hast du die Epistel mein, Sollts was für deine Mädel seyn, So freute doppelt mich der Spaß. Ich liebe dich ohn Unterlaß, Und weiß nicht, was in deinem Stil | 4 | Der Weltfreund neulich sagen will. Schrieb ich gleich nicht in langer Frist Du mir doch stets im Sinne bist, Bald schlendr' ich so nach Weilburg mit, Und bald nach Gießen zu dem Schmid. Du nächstens im Merkurius Was finden wirst von meiner Mus', Und wünschete von Herzensgrund Daß dir der Dreck gefallen kunnt. Schick mir dafür den Doktor Faust, Sobald dein Kopf ihn ausgebraust.


   Gotter.


S:  Staatsbibliothek zu Berlin  D:  DjG​3 3, 420-422  B : 1773 ? Juni (WA IV 2, Nr. 159)  A : -  V:  Abschrift 

Briefgedicht: Da er krank gewesen sei, als er G.s "Götz von Berlichingen" erhalten habe, sei ihm dieser von einem Mägdlein vorgelesen worden; über deren Reaktion und Urteil. Erwägungen zur Inszenierung des "Götz". Auch möge sich G. keine Illusionen über die Wirkung machen, da das hiesige Publikum am französischen Theater geschult sei. Nimm denn mit meinem Dank vorlieb! Was dich den Götz zu schreiben trieb Das zwickt auch mich so lange [...]. Im nächsten "Merkur" finde G. etwas von Gotters Mus'.

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Ich schon bis in den neunten Tag Am Röthlein hart darnieder lag, Wobei von Weiblein jung und zart, Wie Weislingen gepfleget ward, Als mir der Göz zu Händen kam, Den alsobald ein Mägdlein nahm, Und mir, weil selbst nicht lesen sollt, Mit süßer Stimme lesen wollt. Als aber kaum das Werk begann, Sie wider einen Scheiskerl rann, Und wurde flugs wie Scharlach roth, Drob ich mich lachen thät halb todt. Sie ließ sich drum nicht schrecken ab, Marien sie gut Zeugniß gab, Auch Gözens Hausfrau liebgewann, Die ihrem rauhen Panzermann Stets unbedingt Gehorsam leist, Was man an Luthers Käth nicht preist. Die Adelheid nicht konnt ausstehn, | 2 | Doch Georgen gern hätt leben sehn, Auch Weißlingen ein besser End Aus Christenliebe hätt gegönnt. Den Gözen nicht genug verstand, Ihn etwas Donquixottisch fand. Dafür soll sie verurtheilt seyn Des kleinen Jacobs Liedelein Und Kolbles fommes Judenkind Straks herzubeten für ihre Sünd. Ob aber gleich gesonnen wär Den Göz zu spielen zu deiner Ehr, Auch einen Bub, der rüstig ist, Von Schweizer Blut, für Gözen wüßt; So thut mir doch im Kopf rum gehn Wo ich die Thäler und die Höhn, Die Wälder, Wiesen und Moräst, Die Warten und die Schlösser fest, Und Bambergs Bischoffs Zimmer fein, Und des Thurmwärters Gärtlein klein, Soll nehmen her und so staffier, Daß Hokuspokus! alt changier. | 3 | Auch möchte gar wen graun, daß nicht Der Reuter seine Noth verricht Und Göz dem Feind zum Schur und Graus Steck seinen Ars zum Fenster raus. Das Weibsbild hier gar körrisch ist, Weil's Tag und Nacht französisch liest. Das Mannsvolk, in Paris gewest, Nur das Theatrum hält fürs best Wo alles züchtiglich geschicht, Und alles in Sentenzen spricht. Drum laß dir nur die Lust vergehn Bey ihnen in der Gnad zu stehn. Nimm denn mit meinem Dank vorlieb! Was dich den Göz zu schreiben trieb Das zwickt auch mich so lange bis Ich mich vom Bösen blenden ließ. Da hast du die Epistel mein, Sollts was für deine Mädel seyn, So freute doppelt mich der Spaß. Ich liebe dich ohn Unterlaß, Und weiß nicht, was in deinem Stil | 4 | Der Weltfreund neulich sagen will. Schrieb ich gleich nicht in langer Frist Du mir doch stets im Sinne bist, Bald schlendr' ich so nach Weilburg mit, Und bald nach Gießen zu dem Schmid. Du nächstens im Merkurius Was finden wirst von meiner Mus', Und wünschete von Herzensgrund Daß dir der Dreck gefallen kunnt. Schick mir dafür den Doktor Faust, Sobald dein Kopf ihn ausgebraust.

 Gotter.

 

 
 

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Zitierhinweis

Online-Edition:
RA 1, Nr. 8, in: https://goethe-biographica.de/id/RA01_0008_00009.

Druck des Regests: RA 1, Nr. 8.

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