BuG: BuG I, A 6
Frankfurt 1755

Dichtung und Wahrheit I (WA I 26, 14)

Frankfurt 1755 (?)

Wir hatten die Straße, in welcher unser Haus lag, den Hirschgraben nennen hören; da wir aber weder Graben noch Hirsche sahen, so wollten wir diesen Ausdruck erklärt wissen. Man erzählte sodann, unser Haus stehe auf einem Raum, der sonst außerhalb der Stadt gelegen, und da, wo jetzt die Straße sich befinde, sei ehmals ein Graben gewesen, in welchem eine Anzahl Hirsche unterhalten worden. Man habe diese Thiere hier bewahrt und genährt, weil nach einem alten Herkommen der Senat alle Jahre einen Hirsch öffentlich verspeiset, den man denn für einen solchen Festtag hier im Graben immer zur Hand gehabt, wenn auch auswärts Fürsten und Ritter der Stadt ihre Jagdbefugniß verkümmerten und störten, oder wohl gar Feinde die Stadt eingeschlossen oder belagert hielten. Dieß gefiel uns sehr, und wir wünschten, eine solche zahme Wildbahn wäre auch noch bei unsern Zeiten zu sehen gewesen.

Dichtung und Wahrheit I (WA I 26, 17)

Frankfurt 1755 (?)

Innerhalb des Hauses zog meinen Blick am meisten eine Reihe römischer Prospecte auf sich, mit welchen der Vater einen Vorsaal ausgeschmückt hatte ... Hier sah ich täglich die Piazza del Popolo, das Coliseo, den Petersplatz, die Peterskirche von außen und innen, die Engelsburg und so manches andere. Diese Gestalten drückten sich tief bei mir ein, und der sonst sehr lakonische Vater hatte wohl manchmal die Gefälligkeit, eine Beschreibung des Gegenstandes vernehmen zu lassen. Seine Vorliebe für die italiänische Sprache und für alles was sich auf jenes Land bezieht, war sehr ausgesprochen. Eine kleine Marmor- und Naturaliensammlung, die er von dorther mitgebracht, zeigte er uns auch manchmal vor.

An Elisabeth Goethe 4. 11. 1786 (WA IV 8, 43)

Frankfurt 1755 (?)

Wie wohl mir’s ist daß sich soviele Träume und Wünsche meines Lebens auflösen, daß ich nun [in Rom] die Gegenstände in der Natur sehe die ich von Jugend auf in Kupfer sah, und von denen ich den Vater so oft erzählen hörte, kann ich Ihnen nicht ausdrücken.

Elisabeth Goethe an Charlotte v. Stein 29. 1. 1787 (Pfeiffer-Belli S. 557)

B2 121

Frankfurt 1755 (?)

Ich freue mich daß die Sehnsucht Rom zu sehen, meinem Sohne geglükt ist, Es war von Jugend auf sein Tags Gedancke, Nachts sein Traum.

Biographische Denkmale von Varnhagen von Ense (WA I 412, 112)

Frankfurt 1755 (?)

Der Tod Schulenburgs ereignete sich ungefähr gleichzeitig mit meines Vaters Aufenthalt in Venedig, wo dem Andenken des Helden eine noch ganz frische Verehrung gewidmet war.

Unter den Kupfern, welche der aufmerksame Reisende zurückbrachte, befanden sich zwei große Blätter, eins von Pitteri mit Fertigkeit des Grabstichels nach Franz Rusca gearbeitet ..., das andere jenes in Korfu ihm errichtete statuarische Denkmal vorstellend; bei welchen Blättern uns viel von den heldenmäßigen Bemühungen des außerordentlichen Mannes erzählt ward, der auch hier als ein wohl Gebildeter, frei Gewachsener, kühn Beweglicher sich sehen ließ.

Zitierhinweis

Online-Edition:
BuG I, BuG01_A_0006 (Ernst Grumach/Renate Grumach), in: https://goethe-biographica.de/id/BuG01_A_0006.

Entspricht Druck:
BuG I, S. 5 (Ernst Grumach/Renate Grumach).

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