Goethes Briefe: GB 2, Nr. 3
An Johann Christian Kestner

〈Frankfurt a. M. , 15. Januar 1773. Freitag〉 → 〈Wetzlar〉

Diese Nacht Träumte ich von Lotten, und wie ich aufwachte sass ich so im Bett und dachte an all unser Wesen, von dem ersten Lager in Garbenheim, zum MondenmitternachtsGespräch an der Mauer. und weiter. Es war ein schönes Leben, auf das ich ganz heiter zurücksehe.

Und wie lebt ihr um den Engel? Ich binn ietzt ganz Zeichner, und besonders glücklich im Portrait. Da sagen​ 1 mir die Madgen: wenn sie das nur in Wetzlar getrieben hätten und hätten uns Lotten mitbracht. Da sag ich denn ich wollte ehstens hinüber und euch alle Zeichnen. Da meynen sie das wäre kein sonderlicher Trost. Doch wenns die Leute drüben auch freut dass ich komm.

Es wird ein sonderbaares Frühjahr geben. Ich sehe nicht wie das alles auseinander gehen wird was wir angesponnen haben, indess sind Hoffnungen uns willkommen, und das​ 2 übrige liegt auf den Knien der Götter.

Da ist ein Impressum komikum. Ein Exemplar Kielmanseggen und grüst ihn viel das andre etwa Schneidern. /

Werdet ihr nicht einen ​Teutschen Merkur halten, dessen Nachricht ich hier mitteile.

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Die Ankündigung des „Teutschen Merkur“ erschien in Nr 4 der FGA vom 11. Januar 1773 (vgl. zu 4,5–6 ); der folgende Freitag war der 15. Januar.

H: GSA Weimar, Sign.: 29/264,I,2, Bl. 1. – 1 Bl. 15,2(–15,5) × 18 (–18,2) cm, 1 S. und 3 Zeilen beschr., egh., Tinte.

E: Goethe und Werther​1 (1854), 119 f., Nr 40.

WA IV 2 (1887), 52 f., Nr 118 (Textkorrektur in den „Berichtigungen“, vgl. WA IV 50 [1912], 206).

1) Möglicherweise 3 Exemplare von Johann Heinrich Mercks „Rhapsodie von Johann Heinrich Reimhart, dem Jüngern“ (o. O. 1773; vgl. die erste Erläuterung zu 4,3 ).

2) Nr 4 der FGA vom 11. Januar 1773 mit Wielands „Nachricht an das Publikum“ (vgl. zu 4,5–6 ).

Ein Bezugs- und ein Antwortbrief sind nicht bekannt.

von dem ersten Lager in Garbenheim] In dem nur eine halbe Stunde von Wetzlar entfernten, lahnaufwärts auf halbem Weg nach Atzbach gelegenen Dorf Garbenheim waren sich Goethe und Kestner zuerst begegnet (vgl. GB 1 II, einleitende Erläuterung zu Nr 99 ).

MondenmitternachtsGespräch] Über dieses Gespräch berichtet Kestner in seinem Tagebuch vom 15. August 1772: „〈…〉 ich ging mit Göthe noch Nachts bis 12 Uhr auf der Gasse spatzieren; merckwürdiges Gespräch, wo er voll Unmuth war, und allerhand Phantasien hatte, worüber wir am Ende, im Mondenschein an eine Mauer gelehnet, lachten.“ (Goethe-Kestner, 100.)

Engel] Charlotte Buff.

Ich binn ietzt ganz Zeichner] Über seine Leidenschaft für das Zeichnen und Malen berichtet Goethe in dieser Zeit wiederholt in seinen Briefen an Kestner (vgl. z. B. 4,14 ; 32,17–18 ; GB 1 I, 251,17–22 ; GB 1 II, zu 246,24–247,1 ).

auf den Knien der Götter] Anklang an Homer, Odyssee 1,267.

Impressum komikum] Möglicherweise ist damit Mercks parodistische „Rhapsodie von Johann Heinrich Reimhart, dem Jüngern“ („Der Herrn Poeten giebt es viel …“) gemeint. Sie erschien ohne Angabe des Verfassers und des Druckorts im Januar 1773. Drei Exemplare des nur 16 Seiten umfassenden Drucks könnten dem Brief beigelegen haben.

Kielmanseggen] Christian Albrecht Freiherr von Kielmannsegg, 1772 Praktikant am Reichskammergericht (vgl. GB 1 II, zu 237,26 ).

viel] Hier in verstärkender Bedeutung. – Nach Adelung begann dieser Gebrauch von ‚viel‘ Ende des 18. Jahrhunderts zu veralten und sich auf die Umgangssprache zu beschränken (Adelung 4, 1201); er findet sich bei Goethe noch gelegentlich in seinen frühen Briefen (vgl. GB 1 I, 195,2 ; 242,26 ; 243,15 ).

Schneidern] Offenbar ebenfalls ein Praktikant am Reichskammergericht, dessen Name noch in zwei weiteren Briefen an Kestner erwähnt wird (vgl. 23,5 ; GB 1 I, 248,12 ).

​Teutschen Merkur 〈…〉 Nachricht] Die von Wieland in Weimar nach dem Vorbild des Pariser „Mercure de France“ begründete und selbst verlegte Zeitschrift „Der Teutsche Merkur“ erschien, zunächst quartalsweise, seit April 1773 (1. Bd. 1.–3. Stück. Januar–März 1773 unter dem Titel „Der Deutsche Merkur“). In Nr 4 der FGA vom 11. Januar 1773 war in einer „Nachricht an das Publikum“ (vom 12. Dezember 1772; S. 28–32) das Erscheinen des „Teutschen Merkur“ angekündigt worden (vgl. zu 6,4–5 ). – Wie aus späteren Briefen Goethes an Kestner hervorgeht, hatte Goethe offenbar die Verteilung des „Merkur“ für den Wetzlarer Freundeskreis übernommen (vgl. die zweite Erläuterung zu 22,6 ; zu 27,7 ; zu 37,9 ). Möglicherweise geschah dies zur Unterstützung Mercks, der im Dezember 1772 als Kollekteur des „Merkur“ in Darmstadt gewonnen worden war (vgl. Hans Wahl: Geschichte des Teutschen Merkur. Ein Beitrag zur Geschichte des Journalismus im achtzehnten Jahrhundert [Palaestra CXXVII]. Berlin 1914, S. 12).

 

 
 

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Zitierhinweis

Online-Edition:
GB 2, Nr 3 (Elke Richter / Georg Kurscheidt), in: https://goethe-biographica.de/id/GB02_BR003_0.

Entspricht Druck:
Text: GB 2 I, S. 3–4, Nr 3 (Elke Richter / Georg Kurscheidt), Berlin 2009.
Kommentar: GB 2 II, S. 5–6, Nr 3 (Elke Richter / Georg Kurscheidt), Berlin 2009.

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