Goethes Briefe: GB 2, Nr. 16
An Johann Christian Kestner

〈Frankfurt a. M. , 15. März 1773. Montag〉 → 〈Wetzlar〉


Danck euch lieber Kestner für eure Nachrichten und alles. Hier liegt ein Brief bey an Hansen der mir von acht zu acht Tagen schreiben soll wies euch im Teutsch.h. geht, denn ihr seyd in einem Zustande in dem man keine Blumen pflückt, doch kann ich ihrer nicht entbehren, und muss auch eine Connexion anspinnen mit dem teutsch. haus wenn ihr werdet den Mittelstein geraubt haben aus dem Ringe. denn um ihrentwillen werd ich sie alle lieben mein lebenlang. und ihre Gesichter werden mir alle seyn wie die Erscheinungen der Götter.

Adieu wies mit euch ietzt kracht nach weise des landenden Kahns so stürmts und krachts in der Flotte in der ich diene. Mein eigen Schiff / kümmert mich am wenigsten. Gegen das Frühjahr und Sommer hangen mancherley Schicksaale über meine liebsten. Und ich verderbe die Zeit, welches denn auch eine Kunst ist. Adieu

Die Datierung folgt Kestners Empfangsvermerk unter Berücksichtigung des Postweges von gewöhnlich einem Tag (vgl. GB 1 II, Datum und Überlieferung zu Nr 124 ).

H: GSA Weimar, Sign.: 29/264,I,2, Bl. 19. – 1 Bl. 11(–11,5) × 17 (–17,5) cm, 1 ¼ S. beschr., egh., Tinte; S. 1 oben rechts Empfangsvermerk, Tinte: „acc. W. 16. Mart. 73.“; am linken Rand quer geschr., mit Einfügungszeichen zu Hansen ( 15,7 ) von fremder Hd, Bleistift: „Lottens junger Bruder.“ – Beischluss: Nr 17 (vgl. 15,6–7 ).

E: Goethe und Werther​1 (1854), 142, Nr 56.

WA IV 2 (1887), 69 f., Nr 131.

Der Brief beantwortet einen nicht überlieferten Brief Kestners etwa vom 13. oder 14. März 1773 (vgl. 15,6 ). – Der Antwortbrief (vgl. zu 16,9–10 ) ist nicht überliefert.

für eure Nachrichten und alles] Wie aus Goethes Brief an Hans Buff vom selben Tag hervorgeht, hatte Kestners Bezugsbrief eine Abschrift des Briefes von Hans Buff vom 12. März 1773 an seine Schwester Charlotte beigelegen, die zu dieser Zeit verreist war (vgl. zu 15,20 ).

eure Nachrichten] Offenbar ist der nicht überlieferte Bezugsbrief gemeint.

liegt ein Brief bey an Hansen] Goethes Brief war Nr 17 beigeschlossen.

im Teutsch.h.] Im „Teutschen Haus“, dem Wohnhaus der Familie Buff in Wetzlar, das zum Deutschordenshof, dem Verwaltungssitz des Deutschen Ritterordens, gehörte.

Connexion] Franz.: Verknüpfung, Verbindung, Zusammenhang.

wenn ihr werdet den Mittelstein 〈…〉 Ringe] Anspielung auf die bevorstehende Heirat Kestners mit Charlotte Buff und deren damit verbundenen Auszug aus dem „Teutschen Haus“. Die Hochzeit fand am 4. April 1773 statt, Anfang Juni übersiedelte das Paar nach Hannover.

wies mit euch 〈…〉 Kahns] Offenbar mit Bezug auf die bevorstehenden beruflichen und privaten Veränderungen in Kestners Leben gemeint.

Mein eigen Schiff] Metaphorisch für ‚mein eigenes Leben‘, ‚mein Schicksal‘. – Die Schifffahrtsmetaphorik, möglicherweise über den Pietismus vermittelt, begegnet häufiger in Goethes Werken und Briefen dieser Zeit, so z. B. in dem Aufsatz „Von Deutscher Baukunst“: 〈…〉 eh ich mein geflicktes Schiffchen wieder auf den Ocean wage, wahrscheinlicher dem Tod als dem Gewinnst entgegen 〈…〉 (DjG​3 3, 102); vgl. auch „Geschichte Gottfriedens von Berlichingen mit der eisernen Hand“, DjG​3 2, 143 sowie 20,1–2 ; GB 1 I, 230,6 .

Gegen das Frühjahr 〈…〉 meine liebsten.] Außer der Heirat Kestners und Charlotte Buffs standen auch die Vermählungen von Herder und Caroline Flachsland sowie von Cornelia Goethe und Johann Georg Schlosser bevor. – Herder heiratete am 2. Mai, während sich Schlossers Hochzeit mit Cornelia noch bis zum 1. November 1773 verzögern sollte.

 

 
 

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Zitierhinweis

Online-Edition:
GB 2, Nr 16 (Elke Richter / Georg Kurscheidt), in: https://goethe-biographica.de/id/GB02_BR016_0.

Entspricht Druck:
Text: GB 2 I, S. 15, Nr 16 (Elke Richter / Georg Kurscheidt), Berlin 2009.
Kommentar: GB 2 II, S. 29–30, Nr 16 (Elke Richter / Georg Kurscheidt), Berlin 2009.

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