Briefe an Goethe: RA 1, Nr. 153
Von Johann Kaspar Lavater

23. November 1781, Zürich

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Eben da Tobler wieder bey mir ist, er-
halt' ich, lieber Goethe, deinen Brief.
Du kannst nicht glauben, wie unenthu-
siastisch mich all das nahe, auch wahrge-
glaubte Geisterwesen läßt.


Es will mich gar nicht affiziren. Wenn
ich auch Thun für den Betrogenen
halten wollte, so könnt' ich doch Einer-
seits Reitern, den ich zwar nicht per-
sönlich kenne, der mir aber aus vielen
Datis ein treflicher, fester Mensch zu-
seyn scheint, gewiß nicht weder für ei-
nen Betrieger, noch Betrogenen haltℓ.
Anderseits laßen mich Stöße von
Exzerptis, die gar nicht die Miene we-
der hoher Inspiration, noch vielweni-
ger der Taschenspielerey haben, nicht | 2 |
an der Unbetrogenheit Thuns, in An-
sehung des HauptFaktums, d. i. der
Intervention eines Geistes zweifeln.
Ich glaube aber, u: sehe es alle Tage,
daß jeder Art von Gold, so physisch oder
überphysisch es seyn mag, eine Art
von Kupfer zugesetzt zuwerden
pflegt, u: daß Niemand in größerer
Gefahr ist, Betrieger zuwerden, als
wer eine ungewöhnliche Kraft hat.
Sobald diese einmahl theatrirt, so
kommen Zuschauer zur ungelegnen
Zeit – diese will man sich nicht sofort
auszischen laßen, u: will den Geist,
der nicht da ist – so unterschieben, und
da Taschenspielen wir. So kann's viel-
leicht auch mit dem Orden, u: Kreütz-
holz gegangen seyn. Aber daß ein
Taschenspieler als solcher mit dieser | 3 |
Hundsarbeit für Nichts u: wieder
Nichts zehen Jahre sich herumschleppe,
u: Stuffen der Seeligkeit – u: tausend
Dinge buchstabenweise diktire – u:
zwey Menschen, die den Charakter
der Menschen kennen, immer zum Beß-
ten habe – kommt mir nicht glaublich
vor. Doch laß ich's gern dahin gestellt.
Das ist wahr, daß so gar nichts heraus-
kommt (die Stuffe des Gerichts ausge-
nommen) die auf mich mehr Effekt
machen, als Gablidonisches Porträt)
ist ein trauriges Siegel auf alle mir
bekannten Geistergeschichten.


Auf deinen Taßo freü' ich mich herz-
lich.


Noch einmahl Dank für alles, was
der Herzog u: Du für Toblern thaten.
Heüt waren wir bey den Orells
nahe bey dir .. Deine Amtstreüe | 4 |
u: Gewißenhaftigkeit wurde mir
neüe Ermunterung.


In Constantins Porträt ist was
fremdes, vergröbertes.


Von meinem sehr biblischen Pilatus
sollt Ihr bald was haben.


Vergieb das fatale Papier, die fatale
Dinte, die fatale Feder, u: das Geist-
leere Geschrieb.


Wenn du Zeit hast, so mögt' ich wohl
wünschen, daß du das XVIII und
XIX. Cap: Johannis – Pilatus u: mir
zu lieb läsest, u: mir einige Apho-
rismen Aus deiner Seele Tiefen
sendetest. Aber Bald.


Vielleicht kommen dir einige Exem-
plare der französischen Physiognomik
zu – kannst du ohne alle Beschwerde
2. oder 3. los werden, so schreib das Geld
an meiner Schuld beym Herzog ab.


   
    L.


S:  Zentralbibliothek Zürich  D:  GL Nr. 110  B : 1781 November 14 (WA IV 5, Nr. 1338)  A : 1781 Dezember 3 (WA IV 5, Nr. 1356)  V:  Abschrift 

Verteidigung seiner Geistergeschichte (vgl. RA 1, Nr. 150). - Auf die Fortsetzung von G.s "Tasso" freue sich L. - [...] Dank für alles, was der Herzog u. Du für G. C. Toblern thaten. - In W. Tischbeins Porträt vom Prinzen Konstantin von Sachsen-Weimar sei was fremdes, vergröbertes. - Ankündigung einiger Exemplare seiner französischen Physiognomik und eines Manuskriptteiles seines "Pontius Pilatus". Bitte um einige Aphorismen zum XVIII und XIX. Cap. Johannis.

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 Eben da Tobler wieder bey mir ist, erhalt' ich, lieber Goethe, deinen Brief. Du kannst nicht glauben, wie unenthusiastisch mich all das nahe, auch wahrgeglaubte Geisterwesen läßt.

 Es will mich gar nicht affiziren. Wenn ich auch Thun für den Betrogenen halten wollte, so könnt' ich doch Einerseits Reitern, den ich zwar nicht persönlich kenne, der mir aber aus vielen Datis ein treflicher, fester Mensch zuseyn scheint, gewiß nicht weder für einen Betrieger, noch Betrogenen haltℓ. – Anderseits laßen mich Stöße von Exzerptis, die gar nicht die Miene weder hoher Inspiration, noch vielweniger der Taschenspielerey haben, nicht| 2 | an der Unbetrogenheit Thuns, in Ansehung des HauptFaktums, d. i. der Intervention eines Geistes zweifeln. Ich glaube aber, u: sehe es alle Tage, daß jeder Art von Gold, so physisch oder überphysisch es seyn mag, eine Art von Kupfer zugesetzt zuwerden pflegt, u: daß Niemand in größerer Gefahr ist, Betrieger zuwerden, als wer eine ungewöhnliche Kraft hat. Sobald diese einmahl theatrirt, so kommen Zuschauer zur ungelegnen Zeit – diese will man sich nicht sofort auszischen laßen, u: will den Geist, der nicht da ist – so unterschieben, und da Taschenspielen wir. So kann's vielleicht auch mit dem Orden, u: Kreützholz gegangen seyn. Aber daß ein Taschenspieler als solcher mit dieser| 3 | Hundsarbeit für Nichts u: wieder Nichts zehen Jahre sich herumschleppe, u: Stuffen der Seeligkeit – u: tausend Dinge buchstabenweise diktire – u: zwey Menschen, die den Charakter der Menschen kennen, immer zum Beßten habe – kommt mir nicht glaublich vor. Doch laß ich's gern dahin gestellt. Das ist wahr, daß so gar nichts herauskommt (die Stuffe des Gerichts ausgenommen) die auf mich mehr Effekt machen, als Gablidonisches Porträt) ist ein trauriges Siegel auf alle mir bekannten Geistergeschichten.

 Auf deinen Taßo freü' ich mich herzlich.

 Noch einmahl Dank für alles, was der Herzog u: Du für Toblern thaten. Heüt waren wir bey den Orells nahe bey dir .. Deine Amtstreüe| 4 | u: Gewißenhaftigkeit wurde mir neüe Ermunterung.

 In Constantins Porträt ist was fremdes, vergröbertes.

 Von meinem sehr biblischen Pilatus sollt Ihr bald was haben.

 Vergieb das fatale Papier, die fatale Dinte, die fatale Feder, u: das Geistleere Geschrieb.

 Wenn du Zeit hast, so mögt' ich wohl wünschen, daß du das XVIII und XIX. Cap: Johannis – Pilatus u: mir zu lieb läsest, u: mir einige Aphorismen Aus deiner Seele Tiefen sendetest. Aber Bald.

 Vielleicht kommen dir einige Exemplare der französischen Physiognomik zu – kannst du ohne alle Beschwerde 2. oder 3. los werden, so schreib das Geld an meiner Schuld beym Herzog ab.

    L.

 

 
 

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Online-Edition:
RA 1, Nr. 153, in: https://goethe-biographica.de/id/RA01_0153_00167.

Druck des Regests: RA 1, Nr. 153.

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