Briefe an Goethe: RA 1, Nr. 181
Von Johann Kaspar Lavater

17. Januar 1784, Zürich

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Lieber Goethe,


Mühe, mir zuschreiben, als ich erwarten
durfte. Ich danke um Alles. Alles
ist mir Wohlthat. Ich mögte nur
mehr Zeit haben mögen. Du mußt
allso mit Wenigem vorlieb nehmen.
So eben erhalt' ich von Karlsruh' aus
einen Brief von der Gevaterinn Luise,
mit welcher ich mich allso nun selber
fein sanft abfinden will. Es macht
mir wohl, daß du Ihr gut bist; So
wie's mich freüt, daß Herder und
du wie zwey Adler über alle Natio-
nen und Zonen hinfliegen. Ich
verachte nicht, was ich nicht habe, nicht
thue, und nicht kann. Alle Wahrheit
ist mir Gottes-­Wort. Erst izt fang' ich
an Herders II. Band seines Geistes | 2 |
hebräischer Poesie zulesen. Wo ich bläter-
te, wär's mir unvergleichlich. Ich bin
Ihm viel schludig.


   Von Deßau hab' ich die erwünsche-
sten Nachrichten. Auch der Herzog schrieb
einige liebe Zeilen bey. Die Fürstinn
und die Comteß' sind Ihm sehr gut.
Die lezte hat dich der Schultheß im
schwarzen Sammtkleide gut vergegen-
wertigt.


Izt eil' ich zum Ende des II. Bandes
meiner Königlichlieben Meßiade – –
Lies doch einmahl in einer verlohr-
nen Stunde der Luise den Lazarus,
und vergieb, daß ich dir diese Pöni-
tenz aufpriestere.


   Mein Pilatus verliert sich izt
in Traümen. Bey Anlaß des Traums    der | 3 |
Frau Pilatusin. Ist dir ein inspirirt
Werck oder eine gute ewige Reflexion
drüber an der Hand, oder Herdern, so
schrieb es mir doch mit Einer Zeile
bald möglichst.


   Die Luftfahrer thun auch mir wohl,
obgleich ich glaube, daß der "Fürst der
Luft" dabey in die Faust lachen mag.
Übrigens muß das Erdentfliehende
Wanklose Schweben eine süße feyer-
liche Situation seyn. Mich freüt alles,
was der Mensch kann. Was zur Ehre
des Hauses Weymar dient, freüt
jeden rechtschaffnen Weymarer; was
zur Ehre der Menschheit dient, jeden
Menschen ... woran aber die Luft-
schiffer am wenigsten dencken, das
ist der Effeckt, den sie auf alle Lie-
benden machen, und der Raum, | 4 |
den sie nun in allen Briefen ent-
fernter Freünde einnehmen.


   So bald meine Unterredung mit
dem Großfürstlichen Paar zu En-
de geschrieben ist, woran mich Mattei
posttäglich treibt, mag und soll sie
nach Weymar gehen. Die mit dem
Kayser muß dir abgeschrieben wer-
den. Ich will an Mattei schreiben.


   Physiognomicken wirst du erhalten
haben? Die, so du nicht brauchen kannst,
laß an einem sichern Orte liegen,
bis alle drey Theile fertig sind. Schon
vor Zwey und einem halben Jahre
hab' ich Füeßlin für ein Gemählde
für den Herzog 20. N'Louisd'or vorge-
streckt. Damals schon schrieb er, daß
sie fertig seyen – und seit er das | 5 |
Geld hat, kein Wort mehr, und kein
Gemähld – die drey Schweizer wer-
den alle Tage erwartet; vielleicht
sendet Er etwas für den Herzog mit.
Zwey Hexenstücke nach Ihm sind in
Schwarzkunst herausgeckommen, die
ganz vortreflich sind.


Diese zwanzig NLd'or bringst du wie
natürlich, noch nicht in meine Rechnung.
Ich habe einige sehr schöne Cabinetsstücke
die ich gegen Physiogn. und Baarschafft
eingetauscht, die ich Euch senden will,
mit der ganz ausdrücklichen, innigst-
aufrichtigen Bitte, sie mir ohne An-
ders zurückzusenden, wenn sie Euch nicht
herzlich wohl thun.


Die Geßnerschen Abdrücke sind bestellt.
Als PorträtMahler hab ich Longastre
merckwürdig gefunden – Sonst keine See-
le, die du nicht kennst.

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Die Lise TürckheimSchöneman hab ich
auch höchstvertrauenswürdig gefunden.


Pfenninger, der unveränderlichtreue,
fromme Schmachter nach dem Herrn
danckt dir für deinen Gruß.


Lips ist in Rom. Seinen Sebastian
nach Van Dyk werd ich dir senden.
Von dem angehenden Doktor in
Offenbach haben wir immer die beßten
Nachrichten.


Über keinem neuen Freunde ver-
geß ich Karl August und Goethe.
Goethe rede nur vorsichtig von
mir – klatschenden Zungen misver-
stehender Reislinge – Doch welch
Gänsgen lehrt den Adler Klug-
heit?


Vale et ama
L.
   
   


S:  Zentralbibliothek Zürich  D:  GL Nr. 129  B : 1783 Dezember Ende (WA IV 6, Nr. 1849)  A : -  V:  Abschrift 

L. danke G. um Alles, müsse ihn aber bitten, mit Wenigem vorlieb zu nehmen. Mit Herzogin Luise, von der er aus Karlsruhe einen Brief erhalten habe, wolle er sich nun selber fein sanft abfinden. Ihn freue auch die Einigkeit zwischen G. und Herder, dem er viel schuldig sei. Den 2. Band von Herders "Geist der Ebräischen Poesie" (vgl. Ruppert 751) beginne er erst jetzt zu lesen. - Von Dessau hab' ich die erwünschtesten Nachrichten. - Er endige den 2. Band seiner Königlichlieben Meßiade (vgl. RA 1, Nr. 170). Sein "Pontius Pilatus" verliere sich izt in Träumen. Bitte um Anregungen durch G. oder Herder. - Die Luftfahrer thun auch mir wohl [...]. - G. erhalte demnächst L.s Niederschrift "Unterhaltungen der Nordischen Herrschaften Paul Petrowitz, Großfürsten von Rußland und Seiner Gemahlin Maria Feodorowna [...] mit Johann Kaspar Lavater, samt einigen mit einschlagenden Anekdoten" und eine Abschrift seines Manuskripts über seine Begegnung mit Kaiser Joseph II., "Die kaiserliche Woche oder Tagebuch vom 20.-26. Juli 1777". - Zum Verbleib der übersandten Physiognomicken. - Zu einem von J. H. Füßli zu liefernden Gemählde für den Herzog und zu dessen Bild "Die drei Eidgenossen" für das Züricher Rathaus. - Ich habe einige sehr schöne Cabinetsstücke [...], die ich Euch senden will [...]. / Die S. Geßnerschen Abdrücke sind bestellt. Hinweis auf den Porträt Mahler [...] Longastre. - Bemerkungen über A. E. von Türckheim, J. K. Pfenninger und J. H. Lips, dessen Sebastian nach Van Dyk er G. senden werde, sowie über L.s Sohn Heinrich. - Über keinem neuen Freunde vergeß ich Karl August und Goethe.

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Lieber Goethe,

 Mühe, mir zuschreiben, als ich erwarten durfte. Ich danke um Alles. Alles ist mir Wohlthat. Ich mögte nur mehr Zeit haben mögen. Du mußt allso mit Wenigem vorlieb nehmen. So eben erhalt' ich von Karlsruh' aus einen Brief von der Gevaterinn Luise, mit welcher ich mich allso nun selber fein sanft abfinden will. Es macht mir wohl, daß du Ihr gut bist; So wie's mich freüt, daß Herder und du wie zwey Adler über alle Nationen und Zonen hinfliegen. Ich verachte nicht, was ich nicht habe, nicht thue, und nicht kann. Alle Wahrheit ist mir Gottes-­Wort. Erst izt fang' ich an Herders II. Band seines Geistes| 2 | hebräischer Poesie zulesen. Wo ich bläterte, wär's mir unvergleichlich. Ich bin Ihm viel schludig.

  Von Deßau hab' ich die erwünschesten Nachrichten. Auch der Herzog schrieb einige liebe Zeilen bey. Die Fürstinn und die Comteß' sind Ihm sehr gut. Die lezte hat dich der Schultheß im schwarzen Sammtkleide gut vergegenwertigt.

 Izt eil' ich zum Ende des II. Bandes meiner Königlichlieben Meßiade – – Lies doch einmahl in einer verlohrnen Stunde der Luise den Lazarus, und vergieb, daß ich dir diese Pönitenz aufpriestere.

  Mein Pilatus verliert sich izt in Traümen. Bey Anlaß des Traums  der| 3 | Frau Pilatusin. Ist dir ein inspirirt Werck oder eine gute ewige Reflexion drüber an der Hand, oder Herdern, so schrieb es mir doch mit Einer Zeile bald möglichst.

  Die Luftfahrer thun auch mir wohl, obgleich ich glaube, daß der "Fürst der Luft" dabey in die Faust lachen mag. Übrigens muß das Erdentfliehende Wanklose Schweben eine süße feyerliche Situation seyn. Mich freüt alles, was der Mensch kann. Was zur Ehre des Hauses Weymar dient, freüt jeden rechtschaffnen Weymarer; was zur Ehre der Menschheit dient, jeden Menschen ... woran aber die Luftschiffer am wenigsten dencken, das ist der Effeckt, den sie auf alle Liebenden machen, und der Raum,| 4 | den sie nun in allen Briefen entfernter Freünde einnehmen.

  So bald meine Unterredung mit dem Großfürstlichen Paar zu Ende geschrieben ist, woran mich Mattei posttäglich treibt, mag und soll sie nach Weymar gehen. Die mit dem Kayser muß dir abgeschrieben werden. Ich will an Mattei schreiben.

  Physiognomicken wirst du erhalten haben? Die, so du nicht brauchen kannst, laß an einem sichern Orte liegen, bis alle drey Theile fertig sind. Schon vor Zwey und einem halben Jahre hab' ich Füeßlin für ein Gemählde für den Herzog 20. N'Louisd'or vorgestreckt. Damals schon schrieb er, daß sie fertig seyen – und seit er das| 5 | Geld hat, kein Wort mehr, und kein Gemähld – die drey Schweizer werden alle Tage erwartet; vielleicht sendet Er etwas für den Herzog mit. Zwey Hexenstücke nach Ihm sind in Schwarzkunst herausgeckommen, die ganz vortreflich sind.

 Diese zwanzig NLd'or bringst du wie natürlich, noch nicht in meine Rechnung. Ich habe einige sehr schöne Cabinetsstücke die ich gegen Physiogn. und Baarschafft eingetauscht, die ich Euch senden will, mit der ganz ausdrücklichen, innigstaufrichtigen Bitte, sie mir ohne Anders zurückzusenden, wenn sie Euch nicht herzlich wohl thun.

 Die Geßnerschen Abdrücke sind bestellt. Als PorträtMahler hab ich Longastre merckwürdig gefunden – Sonst keine Seele, die du nicht kennst.

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 Die Lise TürckheimSchöneman hab ich auch höchstvertrauenswürdig gefunden.

 Pfenninger, der unveränderlichtreue, fromme Schmachter nach dem Herrn danckt dir für deinen Gruß.

 Lips ist in Rom. Seinen Sebastian nach Van Dyk werd ich dir senden. Von dem angehenden Doktor in Offenbach haben wir immer die beßten Nachrichten.

 Über keinem neuen Freunde vergeß ich Karl August und Goethe. Goethe rede nur vorsichtig von mir – klatschenden Zungen misverstehender Reislinge – Doch welch Gänsgen lehrt den Adler Klugheit?

Vale et ama L.    

 

 
 

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Online-Edition:
RA 1, Nr. 181, in: https://goethe-biographica.de/id/RA01_0181_00210.

Druck des Regests: RA 1, Nr. 181.

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