Briefe an Goethe: RA 1, Nr. 170
Von Johann Kaspar Lavater

28. Dezember 1782, Zürich

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Es that mir wohl, Lieber Göthe, auch
wieder einmahl einen Buchstaben
von deiner Hand zu sehen! Du im-
mer Einziger unter uns dreyen, B.
Tobler, und mir.


Hätt ich nur Zeit, ich sagte dir, ich fragte
dich manches; Sagte dir von meinem ar-
men Sünder Pontius Pilatus, deinem
Erzfeind – und und meiner Messiade und mei-
nen übrigen Machenschafften – Fragte
dich vom Herzog, von der wieder
Hoffnungsvollen? Luise .. von der
Stein ... von der Schrödern, deren
du so feine, schöne, krönende Wor-
te in den Mund legst, von Her-
dern, Bode, Wieland und Knebel –
und Allem, was einen lebendigen
Odem hat in dem neuen Bethlehem!
Von einem Gallenfieber, das mich
im November zu Oberried überfiel,
hab ich mich vollkommen wieder erhohlet.
In Ansehung der Franz. Phys. war
meine Meynung diese – du könnest
vielleicht nach und nach einige Exem-
plare abbringen, ohne Jemanden
im allergeringsten zudringlich
zu seyn. Ich erinnere mich dun- | 2 |
kel, daß du einmahl mir schriebst:
du hoffest vielleicht 10 oder 12 abzu-
sezen. Dann, Mein lieber, war mei-
ne Meynung, das davon einge-
hende Geld an die Schuld beym Her-
zog abzubezahlen – und gar und
ganz nicht meine Meynung –
Gott im Himmel weiß, dieß kam mir
nie in den Sinn, Sie dem Herzog
anzuhängen. Ich weiß wohl, daß
Ihr es auch nicht so nahmt. Aber es
würde mich doch scheniren, wenn
der Herzog aus übergrosser Gefäl-
ligkeit alle zwölfe nehmen wollte.
Der SubscriptionsPreis von 12 kom-
pleten Exempl. von 3 Bänden
(wovon die beyde lezte zweymahl so
reichhaltig sind, als der Erste) wäre
108 NLd'or – womit den freylich die
Schuld nett quitt wäre – Einen oder
zween Louisd'or ausgenommen. Aber
so froh ich wäre, dieser Schuld los
zu seyn, so kann ich dennoch auf-
richtig sagen – Es scheint mir
eine Indiscretion zu seyn, wenn | 3 |
ich des Herzogs Anerbieten annehme.
Könntest du allso etwa die Hälffte
wenigstens ableiten, so wäre mir
gleich geholfen und es schenirte mich
weniger. Wie's nun aber immer
kommen mag, ich stelle immer eine
Obligation an dich aus – daß ich
dir so viel komplete Exemplare,
oder den Werth davon schuldig
bin – als du erste Theile abseztest,
und als zur Tilgung der Schuld
nöthig ist.


Nun wieder Einmahl Adieu!
Ich sende diesen Brief in den
Schönenhof, damit er interessanter
ende, als anfange –


Empfehle mich dem Unvergeßlichen,
Erzlieben Herzog – und nenne auch
beyden Herzoginnen meinen
Namen. D. Hoz wäre schier e-
lend umgekommen – Seine Pferde
schleifften Ihn unter einem Schlitten.
Izt ist Er wieder besser.


    L.


S:  Zentralbibliothek Zürich  D:  GL Nr. 121  B : 1781 Dezember 3 (WA IV 5, Nr. 1356); 1782 vor Dezember 28 (vgl. RA 1, Nr. 170)  A : -  V:  Abschrift 

G.s Brief habe L. wohlgetan; Erwähnung seiner Werke "Pontius Pilatus" und "Jesus Messias. Oder die Evangelien und die Apostelgeschichte in Gesängen" (Winterthur 1783-86); über das Herzogspaar Sachsen-Weimar, C. von Stein, C. E. W. Schröter im Zusammenhang mit G.s Gedicht "Auf Miedings Tod", ferner über Herder, J. J. C. Bode, Wieland und Knebel. - Über die Möglichkeit, durch den Absatz von zwölf Exemplaren seiner Französischen Physiognomik seine Schuld bei Karl August zu tilgen. - J. Hotze wäre beinahe elend umgekommen. - L. sende diesen Brief an B. Schultheß, damit er interessanter ende als anfange.

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 Es that mir wohl, Lieber Göthe, auch wieder einmahl einen Buchstaben von deiner Hand zu sehen! Du immer Einziger unter uns dreyen, B. Tobler, und mir.

 Hätt ich nur Zeit, ich sagte dir, ich fragte dich manches; Sagte dir von meinem armen Sünder Pontius Pilatus, deinem Erzfeind – und und meiner Messiade und meinen übrigen Machenschafften – Fragte dich vom Herzog, von der wieder Hoffnungsvollen? Luise .. von der Stein ... von der Schrödern, deren du so feine, schöne, krönende Worte in den Mund legst, von Herdern, Bode, Wieland und Knebel – und Allem, was einen lebendigen Odem hat in dem neuen Bethlehem! Von einem Gallenfieber, das mich im November zu Oberried überfiel, hab ich mich vollkommen wieder erhohlet. In Ansehung der Franz. Phys. war meine Meynung diese – du könnest vielleicht nach und nach einige Exemplare abbringen, ohne Jemanden im allergeringsten zudringlich zu seyn. Ich erinnere mich dun| 2 |kel, daß du einmahl mir schriebst: du hoffest vielleicht 10 oder 12 abzusezen. Dann, Mein lieber, war meine Meynung, das davon eingehende Geld an die Schuld beym Herzog abzubezahlen – und gar und ganz nicht meine Meynung – Gott im Himmel weiß, dieß kam mir nie in den Sinn, Sie dem Herzog anzuhängen. Ich weiß wohl, daß Ihr es auch nicht so nahmt. Aber es würde mich doch scheniren, wenn der Herzog aus übergrosser Gefälligkeit alle zwölfe nehmen wollte. Der SubscriptionsPreis von 12 kompleten Exempl. von 3 Bänden – (wovon die beyde lezte zweymahl so reichhaltig sind, als der Erste) wäre 108 NLd'or – womit den freylich die Schuld nett quitt wäre – Einen oder zween Louisd'or ausgenommen. Aber so froh ich wäre, dieser Schuld los zu seyn, so kann ich dennoch aufrichtig sagen – Es scheint mir eine Indiscretion zu seyn, wenn| 3 | ich des Herzogs Anerbieten annehme. Könntest du allso etwa die Hälffte wenigstens ableiten, so wäre mir gleich geholfen und es schenirte mich weniger. Wie's nun aber immer kommen mag, ich stelle immer eine Obligation an dich aus – daß ich dir so viel komplete Exemplare, oder den Werth davon schuldig bin – als du erste Theile abseztest, und als zur Tilgung der Schuld nöthig ist.

 Nun wieder Einmahl Adieu! Ich sende diesen Brief in den Schönenhof, damit er interessanter ende, als anfange –

 Empfehle mich dem Unvergeßlichen, Erzlieben Herzog – und nenne auch beyden Herzoginnen meinen Namen. D. Hoz wäre schier elend umgekommen – Seine Pferde schleifften Ihn unter einem Schlitten. Izt ist Er wieder besser.

  L.

 

 
 

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Zitierhinweis

Online-Edition:
RA 1, Nr. 170, in: https://goethe-biographica.de/id/RA01_0170_00184.

Druck des Regests: RA 1, Nr. 170.

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