Briefe an Goethe: RA 1, Nr. 162
Von Johann Heinrich Wilhelm Tischbein

29. Juli 1782, Zürich

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Sie sehen wieder ein Bild wo ich nicht Zeit genuch gehabt habe es ferdig
zu machen. Das ist die rechte Sprache eines Stümpers, werden Sie
sagen, auf die wenige Zeit die sie darüber zugebracht haben schieben
sie die Schuld das es schlecht ist, sie wollen einen damit weis machen
das wen sie es nur beliebten so könten sie es besser. Das ist oft
nur Wahn weil man noch nicht versucht hatt das das ferdigmachen das
schwerste ist. Ich halte es eben so schändlich sich mit der Zeit zu entschul-
tigen als ein unferdig Bild aus den händen zu geben, aber ich rede mich
da mit frei, das es nur da zu dienen soll Ihnen die Ard zu zeigen wie
schön das Costum aus der Zeit im bild aussiehet, ich habe Ihnen schon einmal
geschrieben das ich glaubte die teutsche geschichte were gut zu mahlen, und
es gereute mich das ich Ihnen nicht gleich eine Probe mit beylegen konte.
Nun sehen Sie dieses und sagen mir Ihre Meinung. Ich habe auch nicht
eher an den Fürst von Gotha geschrieben weil ich ihn fragen wolte ob
diese Ard Gemählde ihm gefallen, und ihm zu gleich bitten mir ein Sujet
aus der theutschen Geschichte auf zu geben, ich wünschte das man die Edele
Tahten unser vor Eldern mahlte, ich glaube das solche eben der Mühe
werth sind als der Herschsichtigen Römer. Ihnen bitte ich recht ser das
Bild mit dem Brief an den Fürst von Gotha zuschicken, und wen es ihm gefalt
so wil ich viel von unsern starcken teutschen mahlen. auch dieses bladt
von Bodmer bitte ich mit zuschicken, der hatt eine rechte Freude gehabt als
er den Götz sahe, und worde so begeistert daüber das er seinen Stock weg
legte und lief so in der Stube herom, einigetage darauf schickt er mir
dieses Bladt. ofte spreche ich mit ihm von unsern merckwirdigen vorfahren.
ich habe das Glück gehabt von einem Mann geliebt zu werden, von | 2 |
Minister Hertzberg in Berlin der die Alte geschichte noch besser weis als
Bodmer, der erzelte mir ofe von der theutschen geschichte, er sagte das die teut-
schen schon vor der Römer Zeiten nach Griechenland gingen und da Kriegs-
dinste Namen, da von hatt man nachricht, und dabei sind gewis merckwirtige
geschichten vorgefallen, ich glaube wen man die theutsche geschichte Studirt
das man grose handlungen genuch findet die den Römischen Gleichgewicht
halten. Theutsche geschichten oder aus dem Homer mecht ich am liebsten mahlen
ich habe das Buch so lieb, daß wen ich michs nicht Sünde forchtete der weld
ein Exemplar zu rauben, so wolte ich wen ich sterbe die bitten welche om
mich sind das sie mir die Jllias auf die Stirne legen und die Odisse
auf die Brust, den ofte hatt er mir trenen aus dem Auge gebrest und
sind mir auf die Brust gefallen daß sie Nass worte, so lange ich
lebe führe ich bey mir so wie ein Wanderer Brot in der tasche der
sich auf seinen unbekanden wegen nicht an allen Orden speise
vermuthet.   Nun eine der grösten bitten die ich an Ihnen habe, bewe-
gen Sie den Fürst das er mir frey lasse hin zureissen wo ich glaube das es
für mich am nützligsten ist, ich kan nicht teutlich machen mit worden sonst
wolte ich es schreiben und dennoch were es nicht hinlänglich genuch wen ich Ihnen
nicht alle sachen die ich schon gemacht habe dabey hätte, und alles was ich ge-
macht schäme ich mich sehen zu lassen. ich dencke besser von mir, wondern
Sie nicht das ich lieber jezo nach Franckreich reissen will. ich glaube es fest
über zeigt zu sein das es vortheilhafter für mich ist. in einem Jahr sollen
Sie sehen das ich recht hatte, wie es ein Mahler soll, mit einem Bild will
ich mich rechtferdigen, und finden Sie das ich leichtsinnig oder eine andere
Absicht gehalt habe als die weitter in der Konst zu komen, so verliere ich Ihre
Freundschaft, und des Fürsten Ungenade strafe mich wie es ein lügner
verdind. Sie könen sich feste darauf verlassen das ich kein ander Aug- | 3 |
merck habe als ehe ich sterbe ein Bild zu hinderlassen das mer ist als das
ordinere, glauben Sie mir nur ganz zuverlässig. und sehen Sie es daran
ich gehe ja von einen faulen wollistigen weg ab, den das ist ja war-
haftig mühsamer eine Konst zu studiren als die leide abzumahlen. es
fehlet mir ja nichts dabey sie bezahlen mich was ich nur fordere und erzeigen
mir alle freuden, und so lest sich das leben auf eine angeneme ardt ver-
taumeln, O gewis mancher werde sich es wünschen! was ich verlasse, mir
kostet es keine mühe mich loss zureisen, die Zeit weret mir so lange bey den
art freuden das ich wol weinen mechte. ich verlange so sehr heraus als
Ihr Götz aus den Duncklem gefangnis wie er die Sonne dorch das
kleine loch scheinen siehet und sagt es macht drausen ein heller tag
ich mechte da wohl Athmen.   Gehe ich von hir weg so nehme ich
von der Weld abschied, und wil nur blos mit der Konst leben, ich werde mir
ein klein Logis in Paris mithen wo ich recht in Zuhaus sein will, und Eilen
wil ich bald zu Ihnen zu komen.


Eben erfahr ich das der Fürst nach Stuttgardt komen wird, vermuthlich
auch Sie. Kommen selbige? so will ich auch hin reissen ich mechte gerne mit dem
Fürst von Gotha selbst sprechen – – bitte das der Fürst ehe er verreist
das Bild vom Götz siehet.   om die 4 Bilder bitte ich wider zurück.
deß Lavaters Porträt mechte ich Ihnen gerne lassen. aber es gehert
einem Mann der es nicht gerne weg bibt. die Zeichnungen nach Raphel
werden Sie haben? das wünschte ich das die der Fürst von Gotha sehe ehe
er verreist.


   Ich freue mich Ihnen in Stuttgart
   zu sehen.

   Ihr
W. Tischbein.

   


S:  Freies Deutsches Hochstift Frankfurt am Main  D:  Beutler, in: Goethe-Kalender 1934 91-95  B : 1782 Juni 16 (vgl. 5, 347)  A : 1782 August 6 (vgl. 6, 474)  A? : 1782 Oktober 4 (vgl. 6, 66) 

G. erhalte wieder ein Bild ("Götz und Weislingen"), für dessen Fertigstellung T. die Zeit gefehlt habe, doch solle es nur da zu dienen [...] die Ard zu zeigen wie schön das Costum aus der Zeit im bild aussiehet. T. habe G. schon einmal geschrieben, daß sich die deutsche Geschichte gut malen lasse, und bitte um G.s und Herzog Ernsts II. von Sachsen-Gotha Meinung sowie um Angabe eines Sujets aus der deutschen Geschichte. Die Edele Tahten unser vor Eldern halte T. eben der Mühe werth als die der Herschsichtigen Römer. T. bitte G., das Bild, den Brief sowie das bladt von Bodmer, den das Bild begeistert habe, an Ernst II. zu senden. Durch J. J. Bodmer und E. F. Graf von Hertzberg habe T. viel von der deutschen Geschichte erfahren, die mit der römischen Gleichgewicht halten könne. Theutsche geschichten oder aus dem Homer würde T. am liebsten mahlen, und er wünschte, die "Ilias" und "Odyssee" mit ins Grab gelegt zu bekommen, da er sie immer bei sich führe. - T. bittet G., Ernst II. zu bewegen, T. studienhalber nach Frankreich reisen zu lassen, denn er wolle ein Bild [...] hinderlassen das mer ist als das ordinere. T. verlange so sehr heraus als [...] Götz aus den duncklem gefangnis und wolle nur blos mit der Konst leben. - T. bitte G., dafür zu sorgen, daß Ernst II. das Bild vom Götz sowie die Zeichnungen nach Raffael vor seiner Abreise nach Stuttgart sehe, denn er wolle ihn selbst sprechen. Die 4 Bilder (Porträts von Lavater, Bodmer, Doppelbild mit W. Tischbein und J. H. Tischbein, einer den andern malend, und ? S. Geßner) erbitte er zurück.


Anlage(n): Ausführliche Bildbeschreibung zu T.s Gemälde "Götz von Berlichingen und der gefangene Weislingen".
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 Sie sehen wieder ein Bild wo ich nicht Zeit genuch gehabt habe es ferdig zu machen. Das ist die rechte Sprache eines Stümpers, werden Sie sagen, auf die wenige Zeit die sie darüber zugebracht haben schieben sie die Schuld das es schlecht ist, sie wollen einen damit weis machen das wen sie es nur beliebten so könten sie es besser. Das ist oft nur Wahn weil man noch nicht versucht hatt das das ferdigmachen das schwerste ist. Ich halte es eben so schändlich sich mit der Zeit zu entschultigen als ein unferdig Bild aus den händen zu geben, aber ich rede mich da mit frei, das es nur da zu dienen soll Ihnen die Ard zu zeigen wie schön das Costum aus der Zeit im bild aussiehet, ich habe Ihnen schon einmal geschrieben das ich glaubte die teutsche geschichte were gut zu mahlen, und es gereute mich das ich Ihnen nicht gleich eine Probe mit beylegen konte. Nun sehen Sie dieses und sagen mir Ihre Meinung. Ich habe auch nicht eher an den Fürst von Gotha geschrieben weil ich ihn fragen wolte ob diese Ard Gemählde ihm gefallen, und ihm zu gleich bitten mir ein Sujet aus der theutschen Geschichte auf zu geben, ich wünschte das man die Edele Tahten unser vor Eldern mahlte, ich glaube das solche eben der Mühe werth sind als der Herschsichtigen Römer. Ihnen bitte ich recht ser das Bild mit dem Brief an den Fürst von Gotha zuschicken, und wen es ihm gefalt so wil ich viel von unsern starcken teutschen mahlen. auch dieses bladt von Bodmer bitte ich mit zuschicken, der hatt eine rechte Freude gehabt als er den Götz sahe, und worde so begeistert daüber das er seinen Stock weg legte und lief so in der Stube herom, einigetage darauf schickt er mir dieses Bladt. ofte spreche ich mit ihm von unsern merckwirdigen vorfahren. ich habe das Glück gehabt von einem Mann geliebt zu werden, von| 2 | Minister Hertzberg in Berlin der die Alte geschichte noch besser weis als Bodmer, der erzelte mir ofe von der theutschen geschichte, er sagte das die teutschen schon vor der Römer Zeiten nach Griechenland gingen und da Kriegsdinste Namen, da von hatt man nachricht, und dabei sind gewis merckwirtige geschichten vorgefallen, ich glaube wen man die theutsche geschichte Studirt das man grose handlungen genuch findet die den Römischen Gleichgewicht halten. Theutsche geschichten oder aus dem Homer mecht ich am liebsten mahlen ich habe das Buch so lieb, daß wen ich michs nicht Sünde forchtete der weld ein Exemplar zu rauben, so wolte ich wen ich sterbe die bitten welche om mich sind das sie mir die Jllias auf die Stirne legen und die Odisse auf die Brust, den ofte hatt er mir trenen aus dem Auge gebrest und sind mir auf die Brust gefallen daß sie Nass worte, so lange ich lebe führe ich bey mir so wie ein Wanderer Brot in der tasche der sich auf seinen unbekanden wegen nicht an allen Orden speise vermuthet. Nun eine der grösten bitten die ich an Ihnen habe, bewegen Sie den Fürst das er mir frey lasse hin zureissen wo ich glaube das es für mich am nützligsten ist, ich kan nicht teutlich machen mit worden sonst wolte ich es schreiben und dennoch were es nicht hinlänglich genuch wen ich Ihnen nicht alle sachen die ich schon gemacht habe dabey hätte, und alles was ich gemacht schäme ich mich sehen zu lassen. ich dencke besser von mir, wondern Sie nicht das ich lieber jezo nach Franckreich reissen will. ich glaube es fest über zeigt zu sein das es vortheilhafter für mich ist. in einem Jahr sollen Sie sehen das ich recht hatte, wie es ein Mahler soll, mit einem Bild will ich mich rechtferdigen, und finden Sie das ich leichtsinnig oder eine andere Absicht gehalt habe als die weitter in der Konst zu komen, so verliere ich Ihre Freundschaft, und des Fürsten Ungenade strafe mich wie es ein lügner verdind. Sie könen sich feste darauf verlassen das ich kein ander Aug | 3 | merck habe als ehe ich sterbe ein Bild zu hinderlassen das mer ist als das ordinere, glauben Sie mir nur ganz zuverlässig. und sehen Sie es daran ich gehe ja von einen faulen wollistigen weg ab, den das ist ja warhaftig mühsamer eine Konst zu studiren als die leide abzumahlen. es fehlet mir ja nichts dabey sie bezahlen mich was ich nur fordere und erzeigen mir alle freuden, und so lest sich das leben auf eine angeneme ardt vertaumeln, O gewis mancher werde sich es wünschen! was ich verlasse, mir kostet es keine mühe mich loss zureisen, die Zeit weret mir so lange bey den art freuden das ich wol weinen mechte. ich verlange so sehr heraus als Ihr Götz aus den Duncklem gefangnis wie er die Sonne dorch das kleine loch scheinen siehet und sagt es macht drausen ein heller tag ich mechte da wohl Athmen. Gehe ich von hir weg so nehme ich von der Weld abschied, und wil nur blos mit der Konst leben, ich werde mir ein klein Logis in Paris mithen wo ich recht in Zuhaus sein will, und Eilen wil ich bald zu Ihnen zu komen.

 Eben erfahr ich das der Fürst nach Stuttgardt komen wird, vermuthlich auch Sie. Kommen selbige? so will ich auch hin reissen ich mechte gerne mit dem Fürst von Gotha selbst sprechen – – bitte das der Fürst ehe er verreist das Bild vom Götz siehet. om die 4 Bilder bitte ich wider zurück. deß Lavaters Porträt mechte ich Ihnen gerne lassen. aber es gehert einem Mann der es nicht gerne weg bibt. die Zeichnungen nach Raphel werden Sie haben? das wünschte ich das die der Fürst von Gotha sehe ehe er verreist.

 Ich freue mich Ihnen in Stuttgart  zu sehen.  Ihr W. Tischbein.  

 

 
 

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Online-Edition:
RA 1, Nr. 162, in: https://goethe-biographica.de/id/RA01_0162_00176.

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