Briefe an Goethe: RA 1, Nr. 158
Von Johann Heinrich Wilhelm Tischbein

13. April 1782, Zürich

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Sie, edler Mann, bedauren mich wegen meinem Schiksaal und Sie sind
gesinnt es beßer zu machen, das habe ich aus einem Briefe gesehen,
den Hℓ. Merk an mich geschikt hat, der sagte mir, ich sollte selbst an
Ihnen schreiben, oder mit Lavater mich darüber bereden, daß
der an Ihnen schrieb. Das scheint bey einem Mann wie Sie sind
überflüßig, da Sie selbst ein Mann von Verstand und Kenntniß
sind, und bei denen braucht es keine Ueberredung. Und ich bin
in dem Fall zu empfindlich, daß ich einem der aus Freundschaft
für mich spräche, Schande und Vorwurf aufladen könnte, die ge-
wiß auf ihn fallen würde, wenn ich nicht so geschikt werde, als
er von mir geglaubt hätte; da Sie ein Mann sind, der den gra-
den Weeg liebt, so bedarf es keine Fürspräche; auch die ist zuwei-
len trüglich.   Sie werden etwas von meiner Arbeit bekom-
men, da können Ihre eigene Augen sehen. Finden Sie et-
was in der Arbeit und glauben mich tauglich, daß ich mit
der Zeit noch ein Mahler werden könnte, so helfen Sie mir
zu der Gelegenheit, daß ich noch einige Zeit studieren kann,
finden Sie das Gegentheil, so schreiben Sie mir: Bleib an
der Erde, die Natur hat dich nicht zu höhern Dingen ge-
schaffen. Ich bitte die Bilder nicht zu betrachten als Sachen
die ich sehen lies um daraus einen Mahler zu erkennen,
sondern betrachten Sie sie, wie sie würklich sind, in was
kurzer und trauriger Zeit ich sie gemacht. Auch sind sie
gar nicht gemacht als gute Gemälde, sondern der Aehnlich-
keit wegen. Das ist genug, wenn Sie so viel darinne
finden, daß ich Anlage zu einem Mahler habe; das übrige
will ich mit der Zeit zu zeigen suchen. – Aber noch ei-
nige andere Sachen, die ich wünschte, daß Sie sie sehen
könnten; es sind Studien welche ich nach verschiedenen
Bildern und Stat^%:uen gemacht habe, um mir Kenntniß
von andern zu erwerben. Ich glaubte, daß das der rechte
Weeg wäre für mich zu studieren. Dem Herrn Merk habe
ich einige geschikt, in dessen Urtheil ich mich ganz gebe, der
dabey gewiß unpartheyisch handelt; und ihm ist auch zu trau-
en; ich habe ihm nie einen Gefallen gethan, und er kennt mich
nicht und ich ihn nicht. Ich würde den Hℓ Merck einen Kenner,
der den wahren Begrif von der großen Kunst hat, nennen, wenn
ich nicht eingebildet scheinen würde, weil er von meiner Arbeit
gut gesprochen hat; Aber gewiß, das nimmt mich nicht vor ihn ein, | 2 |
sondern was ich von ihm gehört, an den wenig Worten kann ich
verstehen, daß er das rechte fühlt, was die wahre Kunst ist. Ich be-
greife gar wohl, wie weit das Lob geht, was er über meine Arbeit
gesprochen hat: Er meynt, daß ich was werden könnte. Das glau-
be ich auch von mir selbst. Ich schäme mich indem ich das schrei-
be, denn ein Mahler sollte es mit dem Pinsel zeigen, aber
dazu habe ich keine Gelegenheit gehabt; ich wurde weggerissen
als ich den Anfang machte. Tantalus kann nicht mehr Schmerz
empfinden, wenn ihm der wohlschmekende Apfel vor dem hung-
rigen Mund wegschnappt und die kühlen Wellen ihm vor der
lezzenden Zunge und troknen Hals wegweichen, als ich em-
pfand, da ich mich so nahe an meinem Wunsche sah und auf
einmal wieder so weit davon entfernt. Ich bin noch taumlich von
dem Fall und kann noch nicht wieder zu Sinnen kommen.


   Ich sollte es Ihnen doch kurz erzählen.   Sie werden wißen
daß ich von Aeltern bin die mir nichts geben konnten, daß
ich gehörig studieren konnte, wie es ein Mahler eigentlich
sollte.   Ich lernte also auf Art, wie gewöhnlich bey einem,
der selbst nicht wußte, was die Mahlerey ist. Die Noth was
zu verdienen brachte mir Leichtigkeit, ein ähnlich Portrait
zu machen; so fing ich an mein zeitlich Glük zu bauen. Ich
hörte, daß der Landgraf eine Akademie anlegte und iunge
Leute nach Italien reisen laßen wollte; ich hielte darum
an, und erhielte es. Gleich verlies ich allen Verdienst und
reißte nach Rom, so froh, so ruhig! Von aller Welt Bekannd-
schaft machte ich mich los und fing an zu studieren. Die Freu-
de die ich darüber empfand die hohe Kunst kennen zu lernen
läßt sich kaum denken. Aber ich Einfältiger vergaß mich
selbst, dachte nicht daran mir Freunde zu erwerben, denn
ich glaubte, das nähme mir nur Zeit und ich hätte keine
nöthig. Ich glaubte der Landgraf werde, wenn er sähe, was
ich machte, mir so viel geben, als ich nöthig hätte. Denn
wie läßt sich es denken, daß iemand eine Stuterey an-
lege, neue Füllen zu ziehen und keine brauchbare Pferde?
Die Zeit, worin man iemand probieret ob er Fähigkeit hat,
und werth ist, noch was an ihn zu wenden, war nun vor-
bey. Ich bat noch um etwas und auch um Arbeit, damit
ich was mache, das dem Landgraf gefalle und er kein Geld
umsonst ausgäbe, aber ich bekam abschlägige Antwort.


Nun ging mir mein unvorsichtiger Sinn auf, und ich sah
mich verlaßen, in einem fremden Lande ohne Hülfe. In
Rom ist es schweer etwas zu verdienen wenn man nicht | 3 |
den niederträchtigen Schmeichler bei den Antiquaren macht.
Ich mag den Dummen nicht klug heißen und den Unwis-
senden nicht betrügen helfen, das ist ganz meinem Herzen
zuwider. – Ich entschloß mich also mit dem wenigen Geld
was ich hatte nach Frankreich zu reißen um da Portraite
und Famielienstüke zu mahlen. Als ich biß Mailand zurük ge-
reißt war, sah ich daß mein Geld nicht mehr biß Paris reichen
werde. Ich nahm also den Weeg nach Deutschland über die
Schweiz. In Zürich war mein Geld alle. Lavater war der ein-
zige Mensch den ich dem Nahmen nach kannte. Ich gab mich dem zu er-
kennen und ward sehr freundschaftlich aufgenommen. Da bin ich
nun noch und schmiere Portraite nach meiner ersten Art. Sie kön-
nen sich leicht denken, wie traurig ich bin. Ich habe noch immer ge-
wartet von Caßel was zur weitern Reise zu bekommen; Und
das Studieren hört von selbst auf.


   Wenn Sie edler Mann nun was können, so thun Sie es der Kunst
wegen, nicht wegen meiner. Betrachten Sie mich als ein lebendig
Ding, daß Ihnen so nahe angehort als ich mir selber gehöre, das
wird Ihnen so wohl als mich selber freuen, wenn's mehr wird als
ein lebendes Ding. Mühe wird es mir machen, die will ich mir
aber gerne geben. Ich wünschte daß ich es Ihnen deutlich machen
könnte, daß es mir in der Lage, worinn ich bin, und ohne Hülfe ohn-
möglich ist, ein gut Werk zu machen. Ich komme mir vor, wie
die Art Dichter denen man ein Glas Wein reicht und sagt: Trin-
ken sie und begeistern sie sich und machen sie einen Reim auf mich.
– Ob ich werth bin daß Sie Sich meiner annehmen weiß ich selbst
noch nicht, ich muß erst eine Probe machen. Und wollte ich Ihnen
mein gutes Herz anrühmen, das ist es nicht werth, denn die Ei-
genschaft hat ieder Stein, der sich nicht von selbst einen an den
Kopf wirft. Bitten will ich Ihnen auch nicht mir zu helfen; Ein
guter Mann welcher Waßer wegzuschütten hat, wird es ger-
ne auf eine schmachtende Pflanze giesen. Von Dank für die
gute Meinung kann ich auch nichts sagen, da Sie ein Kenner
des menschlichen Gemüths sind, so wißen Sie, wie es einem ums
Herz ist.


        Wilh. Tischbein.


   Beylage.
Ob ich frey von Caßel sey? Ganz frey! Denn alle Dienste die
in meinem Vermögen sind habe ich angeboten, und doch wollen
sie mich nicht haben. Kaum nehmen sie meinen Dank an,
der wird aber immer in meinem Herzen bleiben und ich bin
ihn ihnen schuldig, denn sie gaben mir das, daß ich die vie-
le Freude in Italien, die herrliche alte Kunstwerke zu sehen,
genoß. Auch habe ich ihnen das zu danken, was ich in der Zeit | 4 |
gelernt habe, und das wird mir in Zukunft nüzlich seyn.


Wenn mich noch iemand einige Zeit reißen laßen will, daß ich studie-
ren kann, so will ich ihm dafür alles schiken, was ich mache, und
es kann mir aufgegeben werden, damit es nach seinem Willen ist
Und, nach der Zeit, in seinen Dienst; er mag mir einen Unter-
halt geben nach seinem Willen, wenn ich nur mit Ruhe dabey
studieren kann, und die Sachen recht ausmahlen; denn ohne Zeit
läßt sich nichts Guts machen. Da Sie Selbst so trefliche Sachen
machen, werden Sie wißen, was dazu gehört. Der Anfang
kann zuweilen in einem treflichen Augenblik entstehen, aber
den auszuführen daß alles harmonieret und paßt, dazu wills
Zeit. Das ist der Fehler der iezigen Mahler, daß sie mit ihrer
Arbeit zufrieden sind und fertig heißen. In einer Zeit haben sie
es gemacht, da kaum der Keim zu einem Bild reif werden kann.
Einige glauben, es müßte in der ersten Hize gemacht werden, wenn
ein Gedanke das Blut in Wallung gebracht. Beßer ist, wenn man
es erst überlegt mit kaltem langsamem Nachdenken. Ist der Ge-
danke gut gewesen, so iagt er das Blut noch einmal auf. Ists
einem öfters in den Adern herum getrieben, dann wird man
erst mit dem Ding bekannt.   Ich habe mir immer vorgenom-
men an Ihnen zu schreiben, wegen der deutschen Geschichte, um
welche zu mahlen. Wie edel welche sind darf ich Ihnen nicht
sagen, daß sie aber auf einem Bild schön aussehen werden
bin ich gewiß. Die Kleidung der alten Deutschen ist gar mah-
lerisch und das aus allen Zeiten. Die griechische Kleidung
ist schön, aber sie kommt uns so schön vor, weil sie die Künstler
so gut gearbeitet haben, die wußten sie so vortheilhaftig zu le-
gen. Das Nakende ist was der Geschichte aus den warmen Län-
dern den Vorzug giebt, davon schikt sich ein Bild für unsere
Zeiten nicht; denn wer kennt es? Es erwekt nur ekel;
weil es bedeckt ist; und zuweilen, wenn einer ausgepeitscht
wird oder Spißruthen geiagt wird denn bekommt es das
Volk zu sehen. So beym männlichen Geschlecht. Beim weib-
lichen umgekehrt; da wird aber die Schönheit nicht in Betracht ge-
zogen. Wenn mir einmal wieder das Portraitirjoch von den Schul-
tern ist, und ich mahlen kann was ich will, dann will ich bey Ihnen
Raths erholen über deutsche Geschichte. Mich deucht es ist Pflicht vater-
ländische Geschichte zu mahlen, man muß nur anfangen, und ich bin
versichert, es wird gefallen. Da bin ich schon wieder in ein Kunstge-
spräch gekommen, und ich wollte Ihnen doch nur auf diesem Blat schrei-
ben, was ich alles thun wollte, wenn mich noch iemand studieren
laßen wollte. Schrieb ich was ich dächte, so würde es scheinen als hatte ich
zu große Meinung von mir. Es steht auch nicht fein, daß man die Waa-
re die man gern verkaufen will, zu sehr anpreißt. Thun Sie was Sie
können, was Ihr Wille ist. Ich bin es selbst nicht gewiß, ob was aus mir wer-
den wird. Die Probe ist es doch wohl werth. Geht es nicht, so verachten Sie mich
und ich werde mich selbst verachten.   W. T.


S:  LATh - StA Gotha  D:  Beck, Ernst der Zweite 264-270  B : an J. H. Merck, 1782 vor März 6 (vgl. JHM Br, 137)  A : 1782 Juni 16 (vgl. 5, 347); an E. II. Herzog von Sachsen-Gotha, 1782 April 22 (WA IV 5, Nr. 1453)  V:  Abschrift 

Durch einen Brief G.s, den Merck an ihn geschikt habe, wisse T., daß G. das Schiksaal T.s bedaure und es beßer zu machen gedenke. T. wende sich nun selbst an G. und werde ihm zur Beurteilung seines Könnens einige Arbeiten senden. Halte G. ihn für tauglich, daß er mit der Zeit noch ein Mahler werden könnte, so möge G. ihm die Gelegenheit verschaffen, noch einige Zeit studieren zu dürfen. Einige Studien habe T. an Merck geschickt, in deßen Urtheil er sich ganz gebe, da er unpartheyisch sei und das rechte fühle, was die wahre Kunst ist. - Bericht über T.s Werdegang als Maler, der ihn mit einem Stipendium des Landgrafen Friedrich II. von Hessen-Kassel nach Rom geführt habe. Die Finanzierung seiner Studien in Rom sei unterbrochen worden, so daß T. mit dem wenigen Geld, was er hatte, nach Frankreich zu reißen beabsichtigte, doch nur bis Zürich gelangt sei, wo er sich durch Porträtieren seinen Lebensunterhalt verdiene. - T. habe keine Verpflichtungen Kassel gegenüber. Wenn ihn noch iemand einige Zeit reißen lassen wolle, daß er studieren könne, so werde ihm T. dafür alles schiken, was er male, und wolle nach der Zeit, in seinen Dienst treten. Nicht in der ersten Hize, sondern mit kaltem langsamen Nachdenken müsse ein Gemälde entstehen. Motive der deutschen Geschichte halte T. durch die malerische Kleidung der alten Deutschen für die Darstellung sehr geeignet. Die griechische Kleidung ist schön [...] weil sie die Künstler so gut gearbeitet haben, doch das Nakende, angemessen den warmen Ländern, schicke sich für unsere Zeiten nicht. Wenn T. von dem Portraitirjoch befreit sei, wolle er sich bei G. über die deutsche Geschichte Rat holen.

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 Sie, edler Mann, bedauren mich wegen meinem Schiksaal und Sie sind gesinnt es beßer zu machen, das habe ich aus einem Briefe gesehen, den Hℓ. Merk an mich geschikt hat, der sagte mir, ich sollte selbst an Ihnen schreiben, oder mit Lavater mich darüber bereden, daß der an Ihnen schrieb. Das scheint bey einem Mann wie Sie sind überflüßig, da Sie selbst ein Mann von Verstand und Kenntniß sind, und bei denen braucht es keine Ueberredung. Und ich bin in dem Fall zu empfindlich, daß ich einem der aus Freundschaft für mich spräche, Schande und Vorwurf aufladen könnte, die gewiß auf ihn fallen würde, wenn ich nicht so geschikt werde, als er von mir geglaubt hätte; da Sie ein Mann sind, der den graden Weeg liebt, so bedarf es keine Fürspräche; auch die ist zuweilen trüglich. Sie werden etwas von meiner Arbeit bekommen, da können Ihre eigene Augen sehen. Finden Sie etwas in der Arbeit und glauben mich tauglich, daß ich mit der Zeit noch ein Mahler werden könnte, so helfen Sie mir zu der Gelegenheit, daß ich noch einige Zeit studieren kann, finden Sie das Gegentheil, so schreiben Sie mir: Bleib an der Erde, die Natur hat dich nicht zu höhern Dingen geschaffen. Ich bitte die Bilder nicht zu betrachten als Sachen die ich sehen lies um daraus einen Mahler zu erkennen, sondern betrachten Sie sie, wie sie würklich sind, in was kurzer und trauriger Zeit ich sie gemacht. Auch sind sie gar nicht gemacht als gute Gemälde, sondern der Aehnlichkeit wegen. Das ist genug, wenn Sie so viel darinne finden, daß ich Anlage zu einem Mahler habe; das übrige will ich mit der Zeit zu zeigen suchen. – Aber noch einige andere Sachen, die ich wünschte, daß Sie sie sehen könnten; es sind Studien welche ich nach verschiedenen Bildern und Stat^%:uen gemacht habe, um mir Kenntniß von andern zu erwerben. Ich glaubte, daß das der rechte Weeg wäre für mich zu studieren. Dem Herrn Merk habe ich einige geschikt, in dessen Urtheil ich mich ganz gebe, der dabey gewiß unpartheyisch handelt; und ihm ist auch zu trauen; ich habe ihm nie einen Gefallen gethan, und er kennt mich nicht und ich ihn nicht. Ich würde den Hℓ Merck einen Kenner, der den wahren Begrif von der großen Kunst hat, nennen, wenn ich nicht eingebildet scheinen würde, weil er von meiner Arbeit gut gesprochen hat; Aber gewiß, das nimmt mich nicht vor ihn ein,| 2 | sondern was ich von ihm gehört, an den wenig Worten kann ich verstehen, daß er das rechte fühlt, was die wahre Kunst ist. Ich begreife gar wohl, wie weit das Lob geht, was er über meine Arbeit gesprochen hat: Er meynt, daß ich was werden könnte. Das glaube ich auch von mir selbst. Ich schäme mich indem ich das schreibe, denn ein Mahler sollte es mit dem Pinsel zeigen, aber dazu habe ich keine Gelegenheit gehabt; ich wurde weggerissen als ich den Anfang machte. Tantalus kann nicht mehr Schmerz empfinden, wenn ihm der wohlschmekende Apfel vor dem hungrigen Mund wegschnappt und die kühlen Wellen ihm vor der lezzenden Zunge und troknen Hals wegweichen, als ich empfand, da ich mich so nahe an meinem Wunsche sah und auf einmal wieder so weit davon entfernt. Ich bin noch taumlich von dem Fall und kann noch nicht wieder zu Sinnen kommen.

  Ich sollte es Ihnen doch kurz erzählen. Sie werden wißen daß ich von Aeltern bin die mir nichts geben konnten, daß ich gehörig studieren konnte, wie es ein Mahler eigentlich sollte. Ich lernte also auf Art, wie gewöhnlich bey einem, der selbst nicht wußte, was die Mahlerey ist. Die Noth was zu verdienen brachte mir Leichtigkeit, ein ähnlich Portrait zu machen; so fing ich an mein zeitlich Glük zu bauen. Ich hörte, daß der Landgraf eine Akademie anlegte und iunge Leute nach Italien reisen laßen wollte; ich hielte darum an, und erhielte es. Gleich verlies ich allen Verdienst und reißte nach Rom, so froh, so ruhig! Von aller Welt Bekanndschaft machte ich mich los und fing an zu studieren. Die Freude die ich darüber empfand die hohe Kunst kennen zu lernen läßt sich kaum denken. Aber ich Einfältiger vergaß mich selbst, dachte nicht daran mir Freunde zu erwerben, denn ich glaubte, das nähme mir nur Zeit und ich hätte keine nöthig. Ich glaubte der Landgraf werde, wenn er sähe, was ich machte, mir so viel geben, als ich nöthig hätte. Denn wie läßt sich es denken, daß iemand eine Stuterey anlege, neue Füllen zu ziehen und keine brauchbare Pferde? Die Zeit, worin man iemand probieret ob er Fähigkeit hat, und werth ist, noch was an ihn zu wenden, war nun vorbey. Ich bat noch um etwas und auch um Arbeit, damit ich was mache, das dem Landgraf gefalle und er kein Geld umsonst ausgäbe, aber ich bekam abschlägige Antwort.

 Nun ging mir mein unvorsichtiger Sinn auf, und ich sah mich verlaßen, in einem fremden Lande ohne Hülfe. In Rom ist es schweer etwas zu verdienen wenn man nicht| 3 | den niederträchtigen Schmeichler bei den Antiquaren macht. Ich mag den Dummen nicht klug heißen und den Unwissenden nicht betrügen helfen, das ist ganz meinem Herzen zuwider. – Ich entschloß mich also mit dem wenigen Geld was ich hatte nach Frankreich zu reißen um da Portraite und Famielienstüke zu mahlen. Als ich biß Mailand zurük gereißt war, sah ich daß mein Geld nicht mehr biß Paris reichen werde. Ich nahm also den Weeg nach Deutschland über die Schweiz. In Zürich war mein Geld alle. Lavater war der einzige Mensch den ich dem Nahmen nach kannte. Ich gab mich dem zu erkennen und ward sehr freundschaftlich aufgenommen. Da bin ich nun noch und schmiere Portraite nach meiner ersten Art. Sie können sich leicht denken, wie traurig ich bin. Ich habe noch immer gewartet von Caßel was zur weitern Reise zu bekommen; Und das Studieren hört von selbst auf.

  Wenn Sie edler Mann nun was können, so thun Sie es der Kunst wegen, nicht wegen meiner. Betrachten Sie mich als ein lebendig Ding, daß Ihnen so nahe angehort als ich mir selber gehöre, das wird Ihnen so wohl als mich selber freuen, wenn's mehr wird als ein lebendes Ding. Mühe wird es mir machen, die will ich mir aber gerne geben. Ich wünschte daß ich es Ihnen deutlich machen könnte, daß es mir in der Lage, worinn ich bin, und ohne Hülfe ohnmöglich ist, ein gut Werk zu machen. Ich komme mir vor, wie die Art Dichter denen man ein Glas Wein reicht und sagt: Trinken sie und begeistern sie sich und machen sie einen Reim auf mich. – Ob ich werth bin daß Sie Sich meiner annehmen weiß ich selbst noch nicht, ich muß erst eine Probe machen. Und wollte ich Ihnen mein gutes Herz anrühmen, das ist es nicht werth, denn die Eigenschaft hat ieder Stein, der sich nicht von selbst einen an den Kopf wirft. Bitten will ich Ihnen auch nicht mir zu helfen; Ein guter Mann welcher Waßer wegzuschütten hat, wird es gerne auf eine schmachtende Pflanze giesen. Von Dank für die gute Meinung kann ich auch nichts sagen, da Sie ein Kenner des menschlichen Gemüths sind, so wißen Sie, wie es einem ums Herz ist.

    Wilh. Tischbein.

  Beylage. Ob ich frey von Caßel sey? Ganz frey! Denn alle Dienste die in meinem Vermögen sind habe ich angeboten, und doch wollen sie mich nicht haben. Kaum nehmen sie meinen Dank an, der wird aber immer in meinem Herzen bleiben und ich bin ihn ihnen schuldig, denn sie gaben mir das, daß ich die viele Freude in Italien, die herrliche alte Kunstwerke zu sehen, genoß. Auch habe ich ihnen das zu danken, was ich in der Zeit| 4 | gelernt habe, und das wird mir in Zukunft nüzlich seyn.

 Wenn mich noch iemand einige Zeit reißen laßen will, daß ich studieren kann, so will ich ihm dafür alles schiken, was ich mache, und es kann mir aufgegeben werden, damit es nach seinem Willen ist Und, nach der Zeit, in seinen Dienst; er mag mir einen Unterhalt geben nach seinem Willen, wenn ich nur mit Ruhe dabey studieren kann, und die Sachen recht ausmahlen; denn ohne Zeit läßt sich nichts Guts machen. Da Sie Selbst so trefliche Sachen machen, werden Sie wißen, was dazu gehört. Der Anfang kann zuweilen in einem treflichen Augenblik entstehen, aber den auszuführen daß alles harmonieret und paßt, dazu wills Zeit. Das ist der Fehler der iezigen Mahler, daß sie mit ihrer Arbeit zufrieden sind und fertig heißen. In einer Zeit haben sie es gemacht, da kaum der Keim zu einem Bild reif werden kann. Einige glauben, es müßte in der ersten Hize gemacht werden, wenn ein Gedanke das Blut in Wallung gebracht. Beßer ist, wenn man es erst überlegt mit kaltem langsamem Nachdenken. Ist der Gedanke gut gewesen, so iagt er das Blut noch einmal auf. Ists einem öfters in den Adern herum getrieben, dann wird man erst mit dem Ding bekannt. Ich habe mir immer vorgenommen an Ihnen zu schreiben, wegen der deutschen Geschichte, um welche zu mahlen. Wie edel welche sind darf ich Ihnen nicht sagen, daß sie aber auf einem Bild schön aussehen werden bin ich gewiß. Die Kleidung der alten Deutschen ist gar mahlerisch und das aus allen Zeiten. Die griechische Kleidung ist schön, aber sie kommt uns so schön vor, weil sie die Künstler so gut gearbeitet haben, die wußten sie so vortheilhaftig zu legen. Das Nakende ist was der Geschichte aus den warmen Ländern den Vorzug giebt, davon schikt sich ein Bild für unsere Zeiten nicht; denn wer kennt es? Es erwekt nur ekel; weil es bedeckt ist; und zuweilen, wenn einer ausgepeitscht wird oder Spißruthen geiagt wird denn bekommt es das Volk zu sehen. So beym männlichen Geschlecht. Beim weiblichen umgekehrt; da wird aber die Schönheit nicht in Betracht gezogen. Wenn mir einmal wieder das Portraitirjoch von den Schultern ist, und ich mahlen kann was ich will, dann will ich bey Ihnen Raths erholen über deutsche Geschichte. Mich deucht es ist Pflicht vaterländische Geschichte zu mahlen, man muß nur anfangen, und ich bin versichert, es wird gefallen. Da bin ich schon wieder in ein Kunstgespräch gekommen, und ich wollte Ihnen doch nur auf diesem Blat schreiben, was ich alles thun wollte, wenn mich noch iemand studieren laßen wollte. Schrieb ich was ich dächte, so würde es scheinen als hatte ich zu große Meinung von mir. Es steht auch nicht fein, daß man die Waare die man gern verkaufen will, zu sehr anpreißt. Thun Sie was Sie können, was Ihr Wille ist. Ich bin es selbst nicht gewiß, ob was aus mir werden wird. Die Probe ist es doch wohl werth. Geht es nicht, so verachten Sie mich und ich werde mich selbst verachten. W. T.

 

 
 

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