Briefe an Goethe: RA 1, Nr. 150
Von Johann Kaspar Lavater

16. August 1781, Zürich

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Lieber Goethe, dein Brief ist ein Strahl dei-
ner eignen großen Natur, der durch mei-
ne Finsterniß drang, wie ein Blitz vom
Himmel.


Du hast recht: Bis ich Seiner so gewiß bin,
wie deiner, ist alles, was ich von Ihm sage,
nur Anbethung meiner selbst.


Aber, wie können wir in ruhigen Stundℓ,
in reinen Momenten, die Evangelien
lesen, ohne eine Art von unmittelbarer
Intuition? "Das ist so wahr, als was ich
vor mir sehe."


   Wenn das, was ich vor mir sehe, nicht
in sondern außer mir ist; wenn du ein
freyes Wesen in Weymar bist, an welches
ich, freyes Wesen in Zürich, izt schreibe –
wenn ich izt nicht an mich selber, sondern
an dich einen andern außer mir schreibe
– so kann's auch einen Christus geben, der
so im Himmel ist, wie du in Weymar – | 2 |
mit dem ich mich so unterhalten kann, wie
mit dir – der so auf mich zurückwirken
kann, wie du auf mich zurück wirkest, wenn
du mir einen Brief beantwortest.


Ist nun diese Evangelische Geschichte wahr;
Erweckt sie mir ähnliche Sensazionen, wie
der Gedanke, wie die Überzeügung: Goethe
ist in Weymar. Goethe in Weymar hat
so u: viel Verstand u: Kraft, die mit dei-
nem Geistes u: Kraftmaaß in solchem
u: solchem Verhältniß steht – u: so viel
Güte, daß Er Wirkungen von dir anneh-
men, u: dir Etwas von sich mittheilen
will – So, u: noch unendlich mehr hat
Christus Relazion zu dir! So ist Er an
dich – So an's Universum attaschirt. Er
ist die Erste (und Eine muß doch die erste
seyn – heiße sie, wie sie wolle) aller
zweyten Ursachen, das Haupt aller will-
kürlich u: freyhandelnden Wesen – das
Zentrum aller – Ist diese Überzeügung | 3 |
der Effekt der evangelischen Lektüre –
zeigt mir das Evangelium ein wirkli-
ches allen meinen u: allen andern Be-
dürfnißen genugsames Wesen außer
mir, (das ich, das alle Menschen, sie wis-
sen's, oder wißen's nicht, wollen's, oder
wollen's nicht, suchen u: unter tausend
Gestalten bedürfen) wie kann ich dann
irgend etwas von dem Reiche deßelben
ausschließen? Wie nicht alles an dassel-
be anhängen? Alles als Abdruck, Eben-
bild, Werk, Ausfluß von Ihm ansehen?
Wie kann dann etwas ohn' Ihn, außer Ihm,
abgeschnitten von Ihm – wie Etwas Ihm
als entgegengesezt angesehen werden,
was gut ist? – – Ich vernichtige, oder
erniedrige nichts gutes – wie könnt' ich
das? Ich würd' etwas erniedrigen, u:
vernichtigen, das Sein ist; das Er gemacht
hat? Aber, daß ich's von Ihm trennen | 4 |
könne, wenn ich einmal zuglauben Ursach
habe – Er hat als Mensch existirt und
sich zum Haupt über alles durch Ver-
dienst aufgeschwungen – wozu Er ein
ursprüngliches Recht hatte, das Er nicht
geltend machte – wenn ich Ursach habe
zuglauben – "wofern Ein Wesen, Pre-
mierchef, Generalißimus des Uni-
versums ist, – so ist Er's – bis ich einℓ
beßern, würdigern kenne, soll Er mir's
seyn" – wie kann ich anders von Ihm re-
den, als ich rede?


Was gut ist, ist gut – rühr' es her, von
wem es wolle. Ich verachte nichts gutes.
Gutes muß von etwas gutem herkommℓ.
Was gut ist in allen Menschen u: Hän-
denwerken ist gut, wir mögen wißen,
oder nicht wißen, woher es kömmt – aber,
wenn wir ein Wesen kennen lernen, an | 5 |
das wir all das gute, als die Erste Mittel-
ursach anhängen können – Ist's dann
nicht natürlich – daß wir alles dran
anhängen?


Wahr ist's, wenn wir das Wesen nicht ken-
nen, das ist, wenn sein Daseyn das un-
sre nicht unmittelbar berührt – So wie
dein Daseyn, auch wenn ich dich nicht sehe,
das meinige berührt – So ist's Täuschung,
Schwärmerey, Selbstanbethung, ich mög-
te fast sagen, eine geistliche Onanie,
Abgötterey, wenn wir's preisen, anrufℓ,
u: ihm Jünger werben. Ich rede nicht so
fast vom Predigen, das eine bürgerli-
che Pflicht seyn kann, als vom Schreiben
u: Reden, das wir entweder ohne Be-
ruf, oder durch innern Beruf thun –
Da mein bisheriger Glaube an Chri-
stus bloß auf den intuitifen Wahr-
heitsgefühl beym Lesen des Evangeli- | 6 |
ums – auf dem unaustilgbaren –
"So erfindet man nicht!" beruht – bloß
auf dem Gefühle der unübertreflichℓ
Schicklichkeit u: Allgenugsamkeit der
Christusreligion zu den Bedürfnißen
der Menschheit – u: auf wenigen Privat-
erfahrungen, die mir was ähnliches zu-
haben scheinen mit einigen sonderbarℓ
Schriftbegebeheiten; So will ich's gern
zugeben – daß es mir noch nicht zuste-
he, die, die noch nicht alles an Christus
allein anhängen – in irgend eine Art
von Bann zuthun. Diejenigen aber
denk' ich mit Recht verachten, u: gerade
zu als schwache Köpfe oder Schurken ta-
xiren zudürfen, die das Evangelische
Christenthum zulehren vorgeben – und
behaupten, dies Evangelium hänge
nicht alles an Christus, oder gar, das
Christenthum, die Welt, die Christen, die | 7 |
Regirung der Welt hänge gar nicht von
der Person, der Wirksamkeit, der Influ-
enz Christi ab – denn wenn ich heüte Deist
oder Atheist wäre, so müßt' ich doch sehen,
u: sagen: "Der ist ein schwacher Kopf, oder
Schurke, der nicht sieht: daß diese Urkun-
de, die man N: Test: nennt, durchaus
den Zweck hat – Christus zum Haupte
der Schöpfung, zum Könige der Mensch-
heit zuerheben" –    Du wirst, mein
Lieber, leicht bemerken, daß diese Leüte
mehr der Gegenstand meines Gignons
sind. Ich wäre selbst ein schlechter Mensch,
wenn ich gegen Deisten u: Atheisten so
dächte, weil es mich sehr natürlich dünkt,
ohne einen gewißen poetisch intuitifen
Erfahrungssinn, beydes zuseyn – das lez-
tere sogar noch viel eher, als das erstere –
Aber, das bleibt mir immer Räthsel, wie
ein Mensch vorgeben könne, das Evange- | 8 |
lium anzunehmen, u: im Stande sey,
den einzigen Helden des Evangeliums
zuverwerfen.


Auch darin geb' ich dir recht – was du
von meinem Reiche dieser Welt sagst.
Es ist wahr. Ich fühl' es; aber, es drückt
u: lastet mich! Ich such' es nicht – u: ich
gebe zu: Bis ich was positifes habe, u:
geben kann – das so greifbar ist, als das,
was ich aufgeopfert wünsche – ist's ge-
fährliche Taüschung.


Nun, noch ein Wort von Calliostro. Die
Etliche Tröpflein aus dem Brunnen der
Wahrheit wirst du gesehen haben? Ob-
gleich ich auf allen anonymen Schurke-
reyen dieser Art nichts halten kann, mag
es doch Aufschluß geben oder befördern.
Mit derselben Post, ja von demselben
Freünd, von dem ich diese Broschüre er-
halte, wird mir geschrieben, daß, was | 9 |
auch C​o sittlicher, medizinischer, chymi-
scher Charakter seyn möge – seine Divi-
nazion, oder Geisterseherey reell und
gar keinem Zweifel ausgesetzt sey –
Gewiß ist's wohl, daß Er im Grunde ein
Enfant gaté der großen Natur ist –
Ein durch große Einseitigkeit unbrauch-
bares Ungeheüer.


Daß wir, daß alle unsere Angelegen-
heiten, Schicksale, an unsichtbaren Fadℓ
hangen, daß es nicht an Jemandes
Wollen oder Laufen liegt – – davon
sind nicht nur alle historischen Urkun-
den, Religionen, Fabeln, Ahndungen
der Menschheit voll, sondern jeder Mensch
muß das glauben, er mag wollen oder
nicht, wenn Er nur 8. Tage bemerkt, was
Er will u: nicht will, u: was geschieht
u: nicht geschieht.

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Br: hat mir einige kleine gute Briefchℓ
geschrieben – Sie hat sich mit C~̣​o, als ei-
nem unleidlich stolzen Lügner ab-
werfen müßen.


Gegenwärtig ist der Graf Wartenslebℓ
bey mir, der sich zur Communion prä-
pariren läßt. Der Junge wird mir alle
Tage lieber. Seine Kindlichkeit u: Fein-
heit, seine Offenheit u: Empfänglichkeit
macht mir viel Freüde.


Von deinem Taßo, du Menschen Mensch,
hab' ich den Anfang mit der süßesten
Empfindung einsam auf der Kirch-
hofmauer zu Oberried gelesen – aber
mit Wehmuth – wer nicht alles sagt,
sagt nichts – gefühlt, weil ich's nicht
ganz hatte.


Izt ist Pontius Pilatus mein Cheval
de Bataille. Ach! daß du bey mir wä-
rest. Ich finde alles, Himmel u: Erde u: | 11 |
Hölle, Tugend, Laster, Weisheit, Thorheit,
Schicksal, Freyheit – in IhmSymbol
von allem an alles.


Dank für alles, was du Toblern bist,
u: thust.


Noch 10. oder 14. Tage Geduld; So hast
du die Geistergeschichte, die ich dir an-
kündigen ließ.


Herdern konnt' ich noch nicht für seinen
II. Theil Briefe danken. Es sind herrliche
Stellen drinn.


Grüß die Stein – die ich aus ihrem
Schattenriß sehr lieb gewinne!


Adieü! Lieber! Einziger! Braver!
Darf das Ding das gedrukte Blat vom 11. Aug. 1781 – wohl dem Merkur
einverleibt werden? Es ist höchst nö-
thig – daß ich ablade – Adieü.


   
    L.


S:  Zentralbibliothek Zürich  D:  GL Nr. 108  B : 1781 Juni 22 (WA IV 5, Nr. 1256)  A? : 1781 November 14 (WA IV 5, Nr. 1338)  V:  Abschrift 

Ausführliche Darlegung seines Glaubens an die Realität des Evangeliums und die Person Christi. - Informationen über Cagliostro, dessen Geisterseherey [...] keinem Zweifel ausgesetzt sein solle. Hinweis auf die anonyme Schrift "Ein paar Tröpflein aus dem Brunnen der Wahrheit. Ausgegossen vor dem neuen Thaumaturgen Caljostros" (1781; ? von J. J. C. Bode). - Gegenwärtig sei K. F. G. von Wartensleben bei L. - Von G.s "Tasso" habe er den Anfang mit der süßesten Empfindung gelesen. - Jetzt arbeite L. am "Pontius Pilatus" (Zürich 1782-85). - In etwa 14 Tagen erhalte G. die Geistergeschichte (vgl. "Lavaters Protokoll über den Spiritus Familiaris Gablidone", Frankfurt und Leipzig 1787). - L. habe Herder noch nicht für den 2. Teil der "Briefe, das Studium der Theologie betreffend" (Weimar 1781) gedankt. - Gruß an C. von Stein. - Dank für alles, was du G. C. Toblern bist [...]. - Anfrage, ob das Ding - wohl dem Merkur einverleibt werden dürfe.

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 Lieber Goethe, dein Brief ist ein Strahl deiner eignen großen Natur, der durch meine Finsterniß drang, wie ein Blitz vom Himmel.

 Du hast recht: Bis ich Seiner so gewiß bin, wie deiner, ist alles, was ich von Ihm sage, nur Anbethung meiner selbst.

 Aber, wie können wir in ruhigen Stundℓ, in reinen Momenten, die Evangelien lesen, ohne eine Art von unmittelbarer Intuition? "Das ist so wahr, als was ich vor mir sehe."

  Wenn das, was ich vor mir sehe, nicht in sondern außer mir ist; wenn du ein freyes Wesen in Weymar bist, an welches ich, freyes Wesen in Zürich, izt schreibe – wenn ich izt nicht an mich selber, sondern an dich einen andern außer mir schreibe – so kann's auch einen Christus geben, der so im Himmel ist, wie du in Weymar –| 2 | mit dem ich mich so unterhalten kann, wie mit dir – der so auf mich zurückwirken kann, wie du auf mich zurück wirkest, wenn du mir einen Brief beantwortest.

 Ist nun diese Evangelische Geschichte wahr; Erweckt sie mir ähnliche Sensazionen, wie der Gedanke, wie die Überzeügung: Goethe ist in Weymar. Goethe in Weymar hat so u: viel Verstand u: Kraft, die mit deinem Geistes u: Kraftmaaß in solchem u: solchem Verhältniß steht – u: so viel Güte, daß Er Wirkungen von dir annehmen, u: dir Etwas von sich mittheilen will – So, u: noch unendlich mehr hat Christus Relazion zu dir! So ist Er an dich – So an's Universum attaschirt. Er ist die Erste (und Eine muß doch die erste seyn – heiße sie, wie sie wolle) aller zweyten Ursachen, das Haupt aller willkürlich u: freyhandelnden Wesen – das Zentrum aller – Ist diese Überzeügung| 3 | der Effekt der evangelischen Lektüre – zeigt mir das Evangelium ein wirkliches allen meinen u: allen andern Bedürfnißen genugsames Wesen außer mir, (das ich, das alle Menschen, sie wissen's, oder wißen's nicht, wollen's, oder wollen's nicht, suchen u: unter tausend Gestalten bedürfen) wie kann ich dann irgend etwas von dem Reiche deßelben ausschließen? Wie nicht alles an dasselbe anhängen? Alles als Abdruck, Ebenbild, Werk, Ausfluß von Ihm ansehen? Wie kann dann etwas ohn' Ihn, außer Ihm, abgeschnitten von Ihm – wie Etwas Ihm als entgegengesezt angesehen werden, was gut ist? – – Ich vernichtige, oder erniedrige nichts gutes – wie könnt' ich das? Ich würd' etwas erniedrigen, u: vernichtigen, das Sein ist; das Er gemacht hat? Aber, daß ich's von Ihm trennen| 4 | könne, wenn ich einmal zuglauben Ursach habe – Er hat als Mensch existirt und sich zum Haupt über alles durch Verdienst aufgeschwungen – wozu Er ein ursprüngliches Recht hatte, das Er nicht geltend machte – wenn ich Ursach habe zuglauben – "wofern Ein Wesen, Premierchef, Generalißimus des Universums ist, – so ist Er's – bis ich einℓ beßern, würdigern kenne, soll Er mir's seyn" – wie kann ich anders von Ihm reden, als ich rede?

 Was gut ist, ist gut – rühr' es her, von wem es wolle. Ich verachte nichts gutes. Gutes muß von etwas gutem herkommℓ. Was gut ist in allen Menschen u: Händenwerken ist gut, wir mögen wißen, oder nicht wißen, woher es kömmt – aber, wenn wir ein Wesen kennen lernen, an| 5 | das wir all das gute, als die Erste Mittelursach anhängen können – Ist's dann nicht natürlich – daß wir alles dran anhängen?

 Wahr ist's, wenn wir das Wesen nicht kennen, das ist, wenn sein Daseyn das unsre nicht unmittelbar berührt – So wie dein Daseyn, auch wenn ich dich nicht sehe, das meinige berührt – So ist's Täuschung, Schwärmerey, Selbstanbethung, ich mögte fast sagen, eine geistliche Onanie, Abgötterey, wenn wir's preisen, anrufℓ, u: ihm Jünger werben. Ich rede nicht so fast vom Predigen, das eine bürgerliche Pflicht seyn kann, als vom Schreiben u: Reden, das wir entweder ohne Beruf, oder durch innern Beruf thun – Da mein bisheriger Glaube an Christus bloß auf den intuitifen Wahrheitsgefühl beym Lesen des Evangeli| 6 |ums – auf dem unaustilgbaren – "So erfindet man nicht!" beruht – bloß auf dem Gefühle der unübertreflichℓ Schicklichkeit u: Allgenugsamkeit der Christusreligion zu den Bedürfnißen der Menschheit – u: auf wenigen Privaterfahrungen, die mir was ähnliches zuhaben scheinen mit einigen sonderbarℓ Schriftbegebeheiten; So will ich's gern zugeben – daß es mir noch nicht zustehe, die, die noch nicht alles an Christus allein anhängen – in irgend eine Art von Bann zuthun. Diejenigen aber denk' ich mit Recht verachten, u: gerade zu als schwache Köpfe oder Schurken taxiren zudürfen, die das Evangelische Christenthum zulehren vorgeben – und behaupten, dies Evangelium hänge nicht alles an Christus, oder gar, das Christenthum, die Welt, die Christen, die| 7 | Regirung der Welt hänge gar nicht von der Person, der Wirksamkeit, der Influenz Christi ab – denn wenn ich heüte Deist oder Atheist wäre, so müßt' ich doch sehen, u: sagen: "Der ist ein schwacher Kopf, oder Schurke, der nicht sieht: daß diese Urkunde, die man N: Test: nennt, durchaus den Zweck hat – Christus zum Haupte der Schöpfung, zum Könige der Menschheit zuerheben" –  Du wirst, mein Lieber, leicht bemerken, daß diese Leüte mehr der Gegenstand meines Gignons sind. Ich wäre selbst ein schlechter Mensch, wenn ich gegen Deisten u: Atheisten so dächte, weil es mich sehr natürlich dünkt, ohne einen gewißen poetisch intuitifen Erfahrungssinn, beydes zuseyn – das leztere sogar noch viel eher, als das erstere – Aber, das bleibt mir immer Räthsel, wie ein Mensch vorgeben könne, das Evange| 8 |lium anzunehmen, u: im Stande sey, den einzigen Helden des Evangeliums zuverwerfen.

 Auch darin geb' ich dir recht – was du von meinem Reiche dieser Welt sagst. Es ist wahr. Ich fühl' es; aber, es drückt u: lastet mich! Ich such' es nicht – u: ich gebe zu: Bis ich was positifes habe, u: geben kann – das so greifbar ist, als das, was ich aufgeopfert wünsche – ist's gefährliche Taüschung.

 Nun, noch ein Wort von Calliostro. Die Etliche Tröpflein aus dem Brunnen der Wahrheit wirst du gesehen haben? Obgleich ich auf allen anonymen Schurkereyen dieser Art nichts halten kann, mag es doch Aufschluß geben oder befördern. Mit derselben Post, ja von demselben Freünd, von dem ich diese Broschüre erhalte, wird mir geschrieben, daß, was| 9 | auch C​o sittlicher, medizinischer, chymischer Charakter seyn möge – seine Divinazion, oder Geisterseherey reell und gar keinem Zweifel ausgesetzt sey – Gewiß ist's wohl, daß Er im Grunde ein Enfant gaté der großen Natur ist – Ein durch große Einseitigkeit unbrauchbares Ungeheüer.

 Daß wir, daß alle unsere Angelegenheiten, Schicksale, an unsichtbaren Fadℓ hangen, daß es nicht an Jemandes Wollen oder Laufen liegt – – davon sind nicht nur alle historischen Urkunden, Religionen, Fabeln, Ahndungen der Menschheit voll, sondern jeder Mensch muß das glauben, er mag wollen oder nicht, wenn Er nur 8. Tage bemerkt, was Er will u: nicht will, u: was geschieht u: nicht geschieht.

| 10 |

 Br: hat mir einige kleine gute Briefchℓ geschrieben – Sie hat sich mit C~̣​o, als einem unleidlich stolzen Lügner abwerfen müßen.

 Gegenwärtig ist der Graf Wartenslebℓ bey mir, der sich zur Communion präpariren läßt. Der Junge wird mir alle Tage lieber. Seine Kindlichkeit u: Feinheit, seine Offenheit u: Empfänglichkeit macht mir viel Freüde.

 Von deinem Taßo, du Menschen Mensch, hab' ich den Anfang mit der süßesten Empfindung einsam auf der Kirchhofmauer zu Oberried gelesen – aber mit Wehmuth – wer nicht alles sagt, sagt nichts – gefühlt, weil ich's nicht ganz hatte.

 Izt ist Pontius Pilatus mein Cheval de Bataille. Ach! daß du bey mir wärest. Ich finde alles, Himmel u: Erde u:| 11 | Hölle, Tugend, Laster, Weisheit, Thorheit, Schicksal, Freyheit – in IhmSymbol von allem an alles.

 Dank für alles, was du Toblern bist, u: thust.

 Noch 10. oder 14. Tage Geduld; So hast du die Geistergeschichte, die ich dir ankündigen ließ.

 Herdern konnt' ich noch nicht für seinen II. Theil Briefe danken. Es sind herrliche Stellen drinn.

 Grüß die Stein – die ich aus ihrem Schattenriß sehr lieb gewinne!

 Adieü! Lieber! Einziger! Braver! Darf das Ding das gedrukte Blat vom 11. Aug. 1781 – wohl dem Merkur einverleibt werden? Es ist höchst nöthig – daß ich ablade – Adieü.

    L.

 

 
 

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