BuG: BuG I, A 102
Leipzig - Frankfurt 28.8./1.9. 1768

Dichtung und Wahrheit VIII (WA I 27, 195)

Leipzig 28.8./1.9. 1768

Mit einem so gellenden Nachklange akademischer Großthaten fuhr ich im September [28. August] 1768 von Leipzig ab, in dem bequemen Wagen eines Hauderers und in Gesellschaft einiger mir bekannten zuverlässigen Personen. In der Gegend von Auerstädt gedachte ich jenes früheren Unfalls; aber ich konnte nicht ahnen, was viele Jahre nachher mich von dorther mit größerer Gefahr bedrohen würde, eben so wenig, als in Gotha, wo wir uns das Schloß zeigen ließen, ich, in dem großen mit Stuccaturbildern verzierten Saale, denken durfte, daß mir an eben der Stelle so viel Gnädiges und Liebes widerfahren sollte.

An Käthchen Schönkopf 31. 1. 1769 (WA IV 1, 186)

Leipzig, Naumburg 28.8./1.9. 1768

Sie sind so lustig, sagte ein sächsischer Officier zu mir, mit dem ich den 28. Aug in Naumburg zu Nacht ass; so lustig und haben heute Leipzig verlassen. Ich sagte ihm, unser Herz wisse offt nichts von der Munterkeit unsers Bluts. Sie scheinen unpässlich, fing er nach einer Weile an. Ich binn’s würklich, versetzt ich ihm, und sehr, ich habe Blut gespien. Blut gespien, rief er, ia, da ist mir alles deutlich, da haben sie schon einen grosen Schritt aus der Welt getahn, und Leipzig musste ihnen gleichgültig werden, weil sie es nicht mehr geniessen konnten. Getroffen, sagt ich, die Furcht vor dem Verlust des Lebens, hat allen andern Schmerz erstickt. Ganz natürlich, fiel er mir ein, denn das Leben bleibt immer das erste, ohne Leben ist kein genuss. Aber fuhr er fort, hat man ihnen nicht auch den Ausgang leicht gemacht. Gemacht? fragt’ ich, wie so. Das ist ja deutlich, sagte er, von Seiten der Frauenzimmer; Sie haben die Mine, nicht unbekanndt unter dem schönen Geschlecht zu seyn. – Ich bückte mich für’s Compliment – Ich rede wie ich’s meyne, fuhr er fort, sie scheinen mir ein Mann von Verdiensten, aber sie sind kranck, und da wette ich zehen gegen nichts, kein Mädgen hat sie beym Ermel gehalten. Ich schwieg, und er lachte. Nun sagte er und reichte mir die Hand übern Tisch, ich habe zehen Thaler an sie verlohren, wenn sie auf ihr Gewissen sagen: Es hat mich eine gehalten! Top sagt ich Herr Captain und schlug ihm in die Hand, Sie behalten ihre Zehen Tahler. Sie sind ein Kenner, und werfen ihr Geld nicht weg. Bravo, sagt er, daran seh ich dass sie auch Kenner sind. Gott bewahre sie darinn, und wenn sie wieder gesund werden, so werden sie Nutzen von dieser Erfahrung haben. Ich – und nun ging die Erzählung, seiner Geschichte los die ich verschweige, ich sass und hörte mit Betrübniss zu, und sagte am Ende, ich sey confundirt, und meine Geschichte und die Geschichte meines Freunds Don Sassafras, hat mich immer mehr von der Philosophie des Hauptmanns überzeugt.

Zitierhinweis

Online-Edition:
BuG I, BuG01_A_0102 (Ernst Grumach/Renate Grumach), in: https://goethe-biographica.de/id/BuG01_A_0102.

Entspricht Druck:
BuG I, S. 112 (Ernst Grumach/Renate Grumach).

Zurück zum Seitenanfang