Goethes Briefe: GB 2, Nr. 197
An Philipp Erasmus Reich

Frankfurt a. M. , 14. Februar 1775. Dienstag → Leipzig

Ihr leztes geehrtes Schreiben habe durch Herrn Jonas 1 richtig erhalten, wie auch gestern die Probebogen die ich sogleich weiter spediren werde. Wegen der Vignetten hab ich schon an Lavatern geschrieben. Der Judas nach Holbein ist nicht Vignette sondern große Platte, und ich glaube zuverläßig der Christus auch, ob ich ihn gleich noch nicht gesehn habe, doch das sollen Sie mit einander hören. Vielleicht hat Ihnen Herr Jonas geschrieben was wir auf ihr leztes vor das erste vorgekehrt. Da das Bücher -Commissariat eine förmliche Anzeige verlangt, so wird solche der Herr Bruder in Büdingen verfertigen, wor inne die Darlegung ​ 2 des vierten und fünften Theils Gellertischer Schrifften, den klarsten und einfachsten Beweis gebrochener Kayserℓ. allerhochster Verfügung abgiebt, da ich denn gerathen habe, dass man von der Commission ein Requisitionsschreiben an dem Magistrat verlangen soll, wordurch derselbige in Obliegenheit gesezt wird wenigstens vorerst gegen den Schiller zu verfahren. Was die Niederlage der Sachsischen Bücher allhier betrifft, sehe ich die Sache zu wenig ein, als dass ich eine gegründete Meinung darüber fassen könnte, schweer würde es immer seyn einen Buchhändler dazu zu finden und zu engagiren. Was ich in dieser Sache dienen kann werd ich mit viel Vergnügen thun. Belieben Sie mich nur mit gefälliger Nachricht und Weisung zu versehen. /

Mit der gestrigen Post sind abermals Zugaben zu dem ​ 3 neunten Phisiognomischen Fragmente an Sie abgegangen, wobei zugleich ein Einschluß an Hℓ. Prof. Oeser ist den ich gütig ​ 4 abzugeben bitte.

Goethe Dr.

  1. J a ​onas​ ↑
  2. A Darlegung​ ↑
  3. D ​dem​ ↑
  4. gütigig ​ ↑

H: UB Leipzig, Slg Hirzel, Sign.: B 41. – Doppelblatt 18,6 × 22,9 cm, Schreiberhd (Liebholdt?), Unterschrift egh., Tinte; S. 4 Adresse von Schreiberhd (Seidel): Herrn / Herrn Reich / vornehmen Buchhändler / nach / Leipzig / ganz franko.; S. 4 am rechten Rand quer geschr. Empfangsvermerk: „1775. 17. Febℓ. Ffurth / Goethe“; Bl. 2 am Rand in der Mitte beschädigt durch Öffnen des Siegels.

E: Goethe-Lavater​1 (1833), 170–172, o. Nr.

WA IV 2 (1887), 236 f., Nr 293.

Antwort auf einen nicht überlieferten Brief Reichs (vgl. 165,7 ). – Ein Antwortbrief ist nicht bekannt; möglicherweise war der nicht überlieferte Brief Reichs, auf den sich Goethes nächster Brief vom 14. März 1775 ( Nr 208 ) bezieht, die Antwort auf den vorliegenden Brief.

Der Brief behandelt den Fortgang der Drucklegung von Lavaters „Physiognomischen Fragmenten“ (vgl. die einleitende Erläuterung zu Nr 178 ) und den unrechtmäßigen Nachdruck und Vertrieb von Büchern aus Reichs Verlag, gegen den einzuschreiten Reich offenbar in seinem nicht überlieferten Brief gebeten hatte. Zu Reichs Auseinandersetzungen mit Nachdruckern vgl. Karl Buchner: Wieland und die Weidmannsche Buchhandlung. Zur Geschichte deutscher Literatur und deutschen Buchhandels. Berlin 1871, S. 9–14.

Hornung] Althochdeutscher Name für Februar; in dieser Form nur selten bei Goethe belegt (vgl. GWb 4, 1407).

Herrn Jonas] Vermutlich ein Buchhändler in Frankfurt, mit dem Reich in geschäftlichen Beziehungen stand und dessen Kommisionär in Leipzig er war (vgl. DjG​3 5, 411).

spediren] Versenden (ital. spedire: abfertigen, versenden).

an Lavatern geschrieben] Der Brief ist nicht überliefert.

Der Judas nach Holbein] Hans Holbein d. J., Maler und Zeichner. – Die ganzseitige Abbildung des Judas („Tab. III“, zwischen S. 78 und 79) gehört zur „Zweyten Zugabe“ (S. 79–83) des „Neunten Fragments“ mit dem Titel „Von der Harmonie der moralischen und körperlichen Schönheit“ (S. 57–77) im 1. Band von Lavaters Werk.

Christus] Bei dieser Abbildung („Christus nach Holbein“, zwischen S. 82 und 83) handelt es sich ebenfalls um eine „große Platte“; sie gehört als „Tab. IV“ zur „Dritten Zugabe“ (S. 83 f.) des „Neunten Fragments“.

was wir 〈…〉 vorgekehrt] Genaues konnte nicht ermittelt werden.

Bücher-Commissariat] Das 1569 gegründete Kaiserliche Bücherkommissariat in Frankfurt, dem die Zensur oblag.

der Herr Bruder in Büdingen] Der Formulierung und dem Kontext nach könnte sich die Anrede ‚Herr Bruder‘ auf einen Angehörigen einer pietistischen Brüdergemeine beziehen (so auch DjG​3 5, 411); Näheres nicht ermittelt. – Büdingen, ein Ort an der Nidda in der Wetterau nordöstlich von Frankfurt, wo sich aufgrund eines Toleranzediktes aus dem Jahr 1712 verschiedene christliche Glaubensgemeinschaften, darunter auch pietistische Gemeinen, angesiedelt hatten.

Darlegung 〈…〉 Gellertischer Schrifften] ‚Darlegung‘ hier vielleicht im konkreten Sinn von ‚Vorlegen‘, ‚Unterbreiten‘ von Schriftstücken (vgl. GWb 2, 1076). – Reich besaß ein Privileg zum Verlag der Schriften Christian Fürchtegott Gellerts und prozessierte jahrelang gegen die Nachdrucker Christian Gottlieb Schmieder in Karlsruhe, Johann Georg Fleischhauer in Reutlingen und Tobias Göbhardt in Bamberg, die sein Privileg missachteten und mit Nachdrucken auf den Markt drängten. – Vgl. Buchner: Wieland und die Weidmannsche Buchhandlung, S. 11 f.

Requisitionsschreiben] Schreiben zum Ersuchen um Rechtshilfe.

Schiller] Vielleicht Benedikt Schiller, Gymnasiallehrer in Frankfurt, der seit 1772 das „Franckfurter Staats-Ristretto“ leitete, eine Zeitung, die unter verschiedenen Titeln von 1772 bis 1832 existierte.

Niederlage der Sachsischen Bücher] Reich plante, „in Frankfurt ein Commissionslager norddeutschen Verlags zu errichten.“ (Goethes Briefe an Leipziger Freunde, 221, Anm. 2.)

Mit der gestrigen Post] Die Sendung war vermutlich ohne Begleitschreiben abgegangen.

abermals Zugaben] Zum „Neunten Fragment“ gehören insgesamt 21 Zugaben; die „Sechzehnte Zugabe“ (S. 118 f.) stammt von Goethe: „Judas und Compagnie nach Rembrand“ (DjG​3 5, 196; Abbildung: WA I 37, 〈366〉, in den „Fragmenten“: „Tab. XVII“ zwischen S. 118 und 119). Was genau hier gemeint ist, muss offenbleiben.

Einschluß an Hℓ. Prof. Oeser] Vgl. EB 59 . – Der Sendung vom Vortag könnte die im Februar 1775 entstandene „Anekdote zu den Freuden des iungen Werthers“ (DjG​3 5, 33–35) beigelegen haben. Die Handschrift fand sich in Oesers Nachlass (vgl. WA I 38, 433).

 

 
 

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Zitierhinweis

Online-Edition:
GB 2, Nr 197 (Elke Richter / Georg Kurscheidt), in: https://goethe-biographica.de/id/GB02_BR197_0.

Entspricht Druck:
Text: GB 2 I, S. 165, Nr 197 (Elke Richter / Georg Kurscheidt), Berlin 2009.
Kommentar: GB 2 II, S. 415–417, Nr 197 (Elke Richter / Georg Kurscheidt), Berlin 2009.

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