BuG: BuG I, A 66
Leipzig Herbst 1766

Dichtung und Wahrheit VIII (WA I 27, 210)

Leipzig Herbst 1766

Der gute Vater ... hatte mich ... wiederholt vom Kartenspiel abgemahnt; allein Frau Hofrath Böhme, so lange sie lebte, wußte mich nach ihrer Weise zu bestimmen, indem sie die Abmahnung meines Vaters nur von dem Mißbrauch erklärte. Da ich nun auch die Vortheile davon in der Societät einsah, so ließ ich mich gern durch sie regieren. Ich hatte wohl den Spiel-Sinn, aber nicht den Spiel-Geist: ich lernte alle Spiele leicht und geschwind, aber niemals konnte ich die gehörige Aufmerksamkeit einen ganzen Abend zusammenhalten. Wenn ich also recht gut anfing, so verfehlte ich’s doch immer am Ende und machte mich und andre verlieren; wodurch ich denn jederzeit verdrießlich entweder zur Abendtafel, oder aus der Gesellschaft ging. Kaum war Madame Böhme verschieden, die mich ohnedem während ihrer langwierigen Krankheit nicht mehr zum Spiel angehalten hatte, so gewann die Lehre meines Vaters Kraft; ich entschuldigte mich erst von den Partien, und weil man nun nichts mehr mit mir anzufangen wußte, so ward ich mir noch mehr als andern lästig, schlug die Einladungen aus, die denn sparsamer erfolgten und zuletzt ganz aufhörten.

Dichtung und Wahrheit IX (WA I 27, 281)

Leipzig Herbst 1766

Nach meinem Unfall mit Gretchen und während meines ganzen Aufenthalts in Leipzig kam ich nicht wieder auf den Plan; vielmehr weiß ich noch, daß, als man mich auf einem Balle zu einer Menuett nöthigte, Tact und Bewegung aus meinen Gliedern gewichen schien, und ich mich weder der Schritte noch der Figuren mehr erinnerte, so daß ich mit Schimpf und Schanden bestanden wäre, wenn nicht der größere Theil der Zuschauer behauptet hätte, mein ungeschicktes Betragen sei bloßer Eigensinn, in der Absicht den Frauenzimmern alle Lust zu benehmen, mich wider Willen aufzufordern und in ihre Reihen zu ziehen.

Dichtung und Wahrheit VIII (WA I 27, 177)

Leipzig Herbst 1766

Eine sehr angenehme und für mich heilsame Verbindung, zu der ich gelangte, war die mit dem Breitkopfischen Hause ... Gerade zu der Zeit des Baues ward ich mit der Familie bekannt. Der älteste Sohn mochte einige Jahre mehr haben als ich, ein wohlgestalteter junger Mann, der Musik ergeben und geübt sowohl den Flügel als die Violine fertig zu behandeln. Der zweite, eine treue gute Seele, gleichfalls musikalisch, belebte nicht weniger als der älteste die Concerte, die öfters veranstaltet wurden. Sie waren mir beide, so wie auch Eltern und Schwestern, gewogen; ich ging ihnen bei’m Auf- und Ausbau, bei’m Möbliren und Einziehen zur Hand, und begriff dadurch manches, was sich auf ein solches Geschäft bezieht; auch hatte ich Gelegenheit, die Oeserischen Lehren angewendet zu sehn. In dem neuen Hause, das ich also entstehen sah, war ich oft zum Besuch. Wir trieben manches gemeinschaftlich, und der älteste componirte einige meiner Lieder, die, gedruckt, seinen Namen, aber nicht den meinigen führten und wenig bekannt geworden sind. Ich habe die besseren ausgezogen und zwischen meinen übrigen kleinen Poesien eingeschaltet. Der Vater hatte den Notendruck erfunden oder vervollkommnet. Von einer schönen Bibliothek, die sich meistens auf den Ursprung der Buchdruckerei und ihr Wachsthum bezog, erlaubte er mir den Gebrauch, wodurch ich mir in diesem Fache einige Kenntniß erwarb. Ingleichen fand ich daselbst gute Kupferwerke, die das Alterthum darstellten, und setzte meine Studien auch von dieser Seite fort, welche dadurch noch mehr gefördert wurden, daß eine ansehnliche Schwefelsammlung bei’m Umziehen in Unordnung gerathen war. Ich brachte sie, so gut ich konnte, wieder zurechte und war genöthigt dabei mich im Lippert und andern umzusehen. Einen Arzt, Doctor Reichel, gleichfalls einen Hausgenossen, consultirte ich von Zeit zu Zeit, da ich mich wo nicht krank, doch unmustern fühlte, und so führten wir zusammen ein stilles anmuthiges Leben.

Nun sollte ich in diesem Hause noch eine andere Art von Verbindung eingehen. Es zog nämlich in die Mansarde der Kupferstecher Stock ... Ich theilte nun meine Zeit zwischen den obern und untern Stockwerken und attachirte mich sehr an den Mann, der bei seinem anhaltenden Fleiße einen herrlichen Humor besaß und die Gutmüthigkeit selbst war.

Mich reizte die reinliche Technik dieser Kunstart, und ich gesellte mich zu ihm, um auch etwas dergleichen zu verfertigen. Meine Neigung hatte sich wieder auf die Landschaft gelenkt, die mir bei einsamen Spaziergängen unterhaltend, an sich erreichbar und in den Kunstwerken faßlicher erschien als die menschliche Figur, die mich abschreckte. Ich radirte daher unter seiner Anleitung verschiedene Landschaften nach Thiele und andern, die, obgleich von einer ungeübten Hand verfertigt, doch einigen Effect machten und gut aufgenommen wurden ... Zwischen solchen Arbeiten wurde auch manchmal, damit ja alles versucht würde, in Holz geschnitten. Ich verfertigte verschiedene kleine Druckerstöcke, nach französischen Mustern, und manches davon ward brauchbar gefunden.

Zitierhinweis

Online-Edition:
BuG I, BuG01_A_0066 (Ernst Grumach/Renate Grumach), in: https://goethe-biographica.de/id/BuG01_A_0066.

Entspricht Druck:
BuG I, S. 84 f. (Ernst Grumach/Renate Grumach).

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