Goethes Briefe: GB 2, Nr. 11
An Johann Christian Kestner

〈Frankfurt a. M. , 11. Februar 1773. Donnerstag〉 → 〈Wetzlar〉


hat mich nach so langer Pause euer brief wohl ergötzt, und ist gut dass alles so ist.

Die Reuters dauern mich und Lotte mit.

Merck ist fort und hat ein neu Papier unter Lottens Gesicht veranstaltet so schön blau wie aus dem Himmel herunter geschienen, ich habe mich gestern lang mit meinem Vater drüber unterhalten das sich endigte: ob denn Kestner sie nicht bald herüber brächte, meynte er, dass man sie auch kennen lernte.

Ich bereite ietzo ein stattlich Stück Arbeit zum Druck. wenns fertig ist, komm ich, es euch vorzulesen. /

Ehstertage schick ich euch wieder ein ganz abenteuerlich novum .

Das Mädgen grüsst Lotten, im Charackter hat sie viel von Lengen sieht ihr auch gleich sagt meine Schwester nach der Silhouette. Hätten wir einander so lieb wie ihr zwey – ich heisse sie in dessen mein liebes Weibgen, den neulich als sie in Gesellschafft um uns Junggesellen würfelten fiel ​ 1 ich ihr zu. Sie sollte 17 abwerfen, hatte schon den Muth aufgeben und warf glücklich ​ 2 alle 6. Adieu Alter. Erinnere die Leute fleisig an mich.

  1. fiehl fiel​ ↑
  2. gleich ​ücklich​ ↑

Die Datierung folgt Kestners Empfangsvermerk unter Berücksichtigung des Postweges von gewöhnlich einem Tag (vgl. GB 1 II, Datum und Überlieferung zu Nr 124 ).

H: GSA Weimar, Sign.: 29/264,I,2, Bl. 14. – 1 Bl. 11,3(–11,5) × 15,8(–16) cm, 2 S. beschr., egh., Tinte; S. 1 oben Mitte Empfangsvermerk, Tinte: „Acc. W. d 12. Febr. 73.“

E: Goethe und Werther​1 (1854), 137 f., Nr 52.

WA IV 2 (1887), 63 f., Nr 127 (Textkorrektur in den „Berichtigungen“, vgl. WA IV 50 [1912], 206).

Der Brief beantwortet einen nicht überlieferten Brief Kestners etwa vom 9. oder 10. Februar 1773 (vgl. zu 9,8 ). – Ein Antwortbrief ist nicht bekannt.

nach so langer Pause euer brief] Kestners Bezugsbrief ist nicht überliefert. – Der letzte, gleichfalls nicht überlieferte Brief Kestners, auf den sich Goethe bezieht, stammt etwa vom 3. Februar 1773 (vgl. 8,17 ). Ausgehend von der Datierung des vorliegenden Briefes dürfte Kestners Bezugsbrief etwa am 9. oder 10. Februar geschrieben worden sein, die so lange Pause also nur etwa eine Woche gedauert haben.

Die Reuters dauern mich] Möglicherweise hatte Kestner die Nachricht vom Tod des preußischen Gesandten und Tribunalrats Johann Hartwig Reuter mitgeteilt, mit dessen Familie die Buffs befreundet waren (vgl. Gloël, 133 und zu 6,23–24 ).

Merck ist fort] Mercks Besuch ist durch Goethes Briefe an Kestner für den 5. und 6. Februar 1773 belegt (vgl. 8,17–18 ; 9,3 ). Dem vorliegenden Brief zufolge ist er spätestens am 10. Februar wieder abgereist.

hat ein neu Papier 〈…〉 veranstaltet] Offenbar hatte Merck die vermutlich von Goethe selbst angefertigte Silhouette Charlotte Buffs neu mit Papier unterlegt (vgl. GB 1 II, zu 235,22 ).

ein stattlich Stück Arbeit zum Druck] Wahrscheinlich ist die zweite Fassung des „Götz“ gemeint, die schließlich im Juni 1773 im Selbstverlag Mercks unter dem Titel „Götz von Berlichingen mit der eisernen Hand. Ein Schauspiel“ erschien (vgl. Hagen, 102, Nr 46 und GB 1 II, zu 249,14–15 ).

Ehstertage] Ehester Tage: so bald als möglich.

ein ganz abenteuerlich novum] Vielleicht sind die „Zwo wichtigen bisher unerörterten Biblischen Fragen zum ersten Mal gründlich beantwortet, von einem Landgeistlichen in Schwaben“ gemeint, die anonym und mit der fiktiven Ortsangabe „Lindau am Bodensee“ 1773 im Selbstverlag Mercks erschienen (DjG​3 3, 117–124; vgl. Hagen, 1101, Nr 45). – Gleichfalls als novum hatte Goethe die Beilage des vorangehenden Briefs bezeichnet, bei der es sich wahrscheinlich um den den „Biblischen Fragen“ thematisch verwandten „Brief des Pastors zu *** an den neuen Pastor zu ***“ handelte (vgl. zu 9,3–4 ).

Das Mädgen] Die Art der Erwähnung verweist auf Susanne Magdalene Münch, von der Goethe bereits am 26. Januar 1773 geschrieben hatte: ein gewisses Mädgen hier das ich von herzen lieb habe und das ich wenn ich zu heurathen hätte gewiss vor allen andern griffe ( 6,11–12 ).

ich heisse sie 〈…〉 fiel ich ihr zu] Dieses wunderliche Mariage-Spiel (AA DuW 1, 546), das hier offenbar gemeint ist, schildert Goethe ausführlich im 15. Buch von „Dichtung und Wahrheit“, das zugleich auch eine liebenswürdige Charakterisierung Susanne Magdalene Münchs enthält: Hier traf es sich nun wunderbar genug, daß mir das Loos gleich von Anfang eben dasselbe Frauenzimmer zweymal bestimmte, ein sehr gutes Wesen, gerade von der Art, die man sich als Frau gerne denken mag. Ihre Gestalt war schön und regelmäßig, ihr Gesicht angenehm, und in ihrem Betragen waltete eine Ruhe, die von der Gesundheit ihres Körpers und ihres Geistes zeugte. Sie war sich zu allen Tagen und Stunden völlig gleich. Ihre häusliche Thätigkeit wurde höchlich gerühmt. Ohne daß sie gesprächig gewesen wäre, konnte man an ihren Aeußerungen einen geraden Verstand und eine natürliche Bildung erkennen. 〈…〉 Wie uns nun aber das Loos zum dritten Male zusammen brachte, so erklärte der neckische Gesetzgeber feyerlichst: der Himmel habe gesprochen, und wir könnten nunmehr nicht geschieden werden. Wir ließen es uns beyderseits gefallen, und fügten uns wechselsweise so hübsch in die offenbaren Ehestands-Pflichten, daß wir wirklich für ein Muster gelten konnten. (AA DuW 1, 544.)

 

 
 

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Zitierhinweis

Online-Edition:
GB 2, Nr 11 (Elke Richter / Georg Kurscheidt), in: https://goethe-biographica.de/id/GB02_BR011_0.

Entspricht Druck:
Text: GB 2 I, S. 9, Nr 11 (Elke Richter / Georg Kurscheidt), Berlin 2009.
Kommentar: GB 2 II, S. 19–20, Nr 11 (Elke Richter / Georg Kurscheidt), Berlin 2009.

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