Goethes Briefe: GB 2, Nr. 190
An Johann Heinrich Merck

〈Frankfurt a. M. , zweite Hälfte Januar? 1775〉 → 〈Darmstadt〉


Wär ich nicht auch fleisig gewesen, ich wäre auf deine Zeichnungen neidisch worden ​ 1 . Recht sehr gut sind sie, und Ihr sinn erschliesst sich manigfaltig, ​ 2 sehr geehrtester Herr Zu schicken hab ich dir nichts, denn meine Arbeit hat bisher in Portraits im grosen, und in kleinen Liebes Liedern bestanden. Weisst du der dechant hat mir einen recht herz guten Brief geschrieben. Ich hielte dich für den ​Cristian Zachäus Telonarcha pp so seh ich aber ists Haman. wieder eine herrliche Stär-

  1. × ​worden​ ↑
  2. manigfaltig|,|​ ↑

Goethe erwähnt einen recht herz guten Brief ( 161,19–20 ) Herders. Dabei dürfte es sich um den nicht überlieferten Brief handeln, mit welchem Herder eine seit 1773 bestehende Unterbrechung im Briefwechsel mit Goethe beendete. Diesen Brief beantwortete Goethe am 18. Januar 1775 ( Nr 183 ). Der nächste überlieferte Brief Goethes an Herder stammt vom 25. März 1775 ( Nr 214 ); darin ist von Hamanns „Προλεγόμενα“ (vgl. zu 179,18–19 ) die Rede, die Goethe von Herder erhalten hatte (vgl. Herders Brief an Hamann, 3. Juni 1775; HB 3, 188). Wann genau Herders Sendung bei Goethe eintraf, ist nicht bekannt. Von Hamanns Schrift wird auch im vorliegenden Brief gesprochen (vgl. 161,20–21 ). Bei dessen Datierung wird davon ausgegangen, dass er nicht allzu lange nach Eintreffen des unerwarteten Herder'schen Briefes geschrieben wurde. Ob mit diesem Brief Herders auch Hamanns „Προλεγόμενα“ überschickt worden waren oder ob dies erst mit einem späteren, ebenfalls nicht überlieferten Brief geschah, so dass der vorliegende Brief später zu datieren wäre, ist unsicher. In Goethes Antwort vom 18. Januar ist jedenfalls von Hamann nicht die Rede. Wenn die Übersendung später erfolgte, dann vielleicht in der ersten Februarhälfte; in diesem Zeitraum erhielt Herder seinerseits Exemplare der „Προλεγόμενα“, die er versenden sollte (vgl. seine Briefe an Hamann vom 11. Februar und 25. März 1775; HB 3, 155 und 164).

H: Merck-Archiv Darmstadt, Sign.: A/129. – 1 Bl. 10,5(–10,7) × 16,7 cm, Bordüre aus gereihten Krönchen (vgl. Mick, Nr 1–3), 1 S. beschr., egh., Tinte; der Schluss des Briefes fehlt. – Faksimile: Stargardt-Katalog 548, Auktion am 17. Mai 1960, S. 16, Nr 67.

E: Merck, Briefe​1 (1835), 54 f., Nr 17.

WA IV 2 (1887), 228 f., Nr 283 (nach E und DjG​1 3, 60).

Der Brief antwortet auf die Übersendung von Zeichnungen Mercks; ein Begleitbrief ist nicht überliefert. – Ein Antwortbrief ist nicht bekannt.

deine Zeichnungen] Nicht ermittelt.

Portraits im grosen] Vermutlich ist die Arbeit an dem Singspiel „Erwin und Elmire“ und der nicht vollendeten Tragödie über Iulius Caesar gemeint. Herzog August Friedrich Carl Wilhelm von Sachsen-Meiningen berichtete am 4. Februar 1775 an seine Schwester Wilhelmine über einen Besuch Goethes: „Er sagte mir, dass er jetzt an zwey Stücken arbeite: der Tod J. Caesars, ein Trauerspiel, und eine Oper.“ (BG 1, 314.) Zur Arbeit an „Caesar“ vgl. auch zu 96,16–17 .

kleinen LiebesLiedern] Gemeint sind die im März-Heft der „Iris“ (2. Bd. 3. Stück, S. 240–243) erschienenen Gedichte „Neue Liebe, Neues Leben“ und „An Belinden“, deren Manuskript Goethe vermutlich am 6. Februar an Elisabeth Jacobi schickte (vgl. Nr 192 ).

der dechant] Herder (vgl. 12. Buch von „Dichtung und Wahrheit“; AA DuW 1, 427).

herz guten Brief] Nicht überliefert; vgl. Datierung.

​Cristian ​Zachäus Telonarcha] 〈Johann Georg Hamann:〉 Christiani Zacchaei Telonarchae Προλεγόμενα über die neueste Auslegung der ältesten Urkunde des menschlichen Geschlechts. In zweyen Antwortschreiben an Apollonium Philosophum. o. O. 1774 (vgl. Ruppert, 133, Nr 942). Die Schrift hatte Goethe von Herder bekommen (vgl. Datierung). Sie enthält eine Besprechung von Herders „Aeltester Urkunde des Menschengeschlechts“ (Bd 1. Riga 1774); sie ist hervorgegangen aus dem Briefwechsel zwischen Hamann (Zachaeus) und Kant (Apollonius), der sich kritisch zu Herders Schrift geäußert hatte. Herder schrieb über das Buch an Hamann: „Sie haben meinen Sinn u. Zweck nicht blos wohlgefaßt, sondern auch sehr gesäubert u. idealisirt 〈…〉.“ (Brief vom 14. November 1774; HB 3, 127.)

 

 
 

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Zitierhinweis

Online-Edition:
GB 2, Nr 190 (Elke Richter / Georg Kurscheidt), in: https://goethe-biographica.de/id/GB02_BR190_0.

Entspricht Druck:
Text: GB 2 I, S. 161, Nr 190 (Elke Richter / Georg Kurscheidt), Berlin 2009.
Kommentar: GB 2 II, S. 402–403, Nr 190 (Elke Richter / Georg Kurscheidt), Berlin 2009.

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